Schokolade für einen Freund

Wachstum Wie mich die Merci-Werbung über die Frage nachdenken ließ, ob sich Wachstumsskeptiker und -befürworter, wirklich so grundsätzlich widersprechen, wie sie vorgeben.

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Merci, dass es dich gibt. Auch in meinen Kopf hatte sich der Satz eingepflanzt, ohne dass es mir an diesem Abend bewusst gewesen wäre. Ich lag auf der Schlafcouch im Zimmer meines alten Schulfreundes – bei dem ich einige Tage abgestiegen war, weil ich aus beruflichen Gründen nach Hamburg musste – und dachte darüber nach, was ich ihm zum Abschied schenken könnte. Da ich nicht besonders kreativ mit solchen Sachen bin, war ich dankbar, als mir die Merci-Werbung wieder einfiel. Einfach runter, um die Ecke beim Kiosk oder am Bahnhof so ein Teil abfischen und gut ist, dachte ich.
Vor ein paar Monaten hatte ich einen Artikel über ein paar Aktivisten geschrieben, die Werbung scheiße fanden und sie komplett abschaffen wollten. Seit dem beschäftigt mich das Thema immer wieder. Eigentlich fand ich Idee der Aktivisten genial. In einem ersten Schritt wollten sie Kreuzberg von sämtlichen Werbetafeln „befreien“. Vor kurzem haben sie genug Unterschriften gesammelt, um einen Antrag ans Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zu stellen. So weit so gut. Dann aber machte ich mir Gedanken übers Bloggen und mir fiel auf, dass auch ich einmal auf Werbung angewiesen sein könnte.
Die Argumentation der Aktivisten basiert auf der Überlegung, dass Werbung die Leute per se zu übermäßigen Konsum auffordere. Dass man im Grunde genommen nur Schrott kaufen würde, den man nicht brauche. Die Grenzen des Wachstums seien erreicht, die Natur kaputt genug – irgendwann müsse auch mal Schluss sein mit dem ganzen Kram.
Ich sah das genauso. Bis ich irgendwann das Buch „Intelligent wachsen“ von Ralf Fücks von der Heinrich Böll-Stiftung las.
Der Drang nach Expansion sei dem Menschen nicht auszutreiben, meint Fücks. Wachstum an sich sei nichts schlechtes, solange es „intelligent“ sei. Windräder zum Beispiel steigerten das Bruttosozialprodukt, sorgten aber am Ende auch dafür, dass die Umwelt geschont würde.
Hm, dachte ich. Der Typ hat ja auch recht. Ich fand seine Haltung sogar fast in bisschen sexyer als die der Wachstumskritiker. Die klangen immer so ein bisschen verkrampft. Zum Beispiel schien einer von ihnen – Harald Welzer – sich fast dafür zu schämen, dass er auf schnelle, schicke Sportwagen stand.
Auf der anderen Seite schwang bei Fücks immer auch eine Art von Größenwahn mit. Alles sei möglich, wenn nur die richtige Technik zum Einsatz komme. Die Natur sei beherrschbar, kontrollierbar, manipulierbar. Gentechnik lehnt er nicht grundsätzlich ab. Man hatte beim Lesen das Gefühl, dass uns eine großartige Zukunft bevorsteht, in der alles möglich sei, wenn man sich nur endlich von der irrationalen Wachtumsskepsis befreien würde.
In Fücks‘ Welt würde man ohne Ende schicke Sportwagen fahren können. Angetrieben mit der geilsten Hybrid-Technik. Aber es bestand auch die Gefahr, dass der nächste Baum an der Straße dem ganzen Spuk ein Ende setzen konnte, eh man sich versehen hatte. Meine Euphorie für Fücks erhielt also einen Dämpfer.
Konnte es am Ende sein, dass die Wahrheit in der Mitte lag? Dass die ständigen Grabenkämpfe zwischen Wachstumsskeptikern und -befürwortern das eigentliche Problem waren? Konnte es sein, dass sich beide Ansätze gar nicht so grundsätzlich widersprachen, wie sie vorgaben?
Konnte es sein, dass Werbung nicht per se schlecht war, sondern dass es gute und schlechte Werbung gab? Und wenn ja, würde ich dann vielleicht gute Werbung für mein Blog einsetzen können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen?
Anders gefragt: Sollte ich meinem Kumpel eine Packung Merci aufs Kopfkissen legen, als Dankeschön? Oder würde ich mich damit zum Opfer einer Werbung machen, die das flache Versprechen – Schokolade=Dankbarkeit – in meinen Kopf gepflanzt hatte? Die mich manipuliert, die mich einer Gehirnwäsche unterzogen hatte?
Ich entschied mich dafür, diese Frage bewusst offen zu lassen. Vielleicht würde ich es tun. Vielleicht auch nicht. Es gab wichtigeres als eine Packung Schokolade. Aber noch bin ich hier in Hamburg. Ich fahre erst Morgen wieder zurück nach Berlin. Bis dahin ist sicher noch genug Zeit, sich mal kurz um die Ecke beim Kiosk oder am Bahnhof eine Packung Merci zu fischen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jacques Kommer

Journalist. Bloggt unter www.jacqueskommer.de zum Thema künstliche Intelligenz.

Jacques Kommer

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