Get Over It!

Genderkolumne Mit dem neuen Hamburger Trio "Die Heiterkeit" wird das selbstbewusste und schlechtgelaunte Champagnerschlürfen auch für Frauen zur Karrierestrategie im Pop-Business
Überspitzung ins Groteske: Die Bandmitglieder von "Die Heiterkeit" spielen lustvoll mit Musikerklischees
Überspitzung ins Groteske: Die Bandmitglieder von "Die Heiterkeit" spielen lustvoll mit Musikerklischees

Foto: Presse

Es ist Zeit für Erfolg, Champagner und Applaus. Denn mit ihrem am vergangenen Freitag erschienen Debütalbum Herz aus Gold hat die Hamburger Band Die Heiterkeit, bestehend aus Stella Sommer, Stephanie Hochmuth und Rabea Erradi, "eigentlich schon alles erreicht". Auf ihrer Homepage heißt es weiter: "Sie wird geliebt, viele sprechen ihren Namen nur flüsternd aus. Von manchen wird sie gar gefürchtet. Sie muss sich die Bewunderer vom Hals halten, mit Sonnenbrille, schwarzem Schleier."

Diese Selbstverliebtheit, Großmauligkeit und das etwas Zuviel an Selbstbewusstsein finde ich klasse. Und ist es nicht das, was weißen, westlichen Mittelschichtsfrauen angeblich immer fehlt – für den ökonomischen Erfolg, für mehr Einfluss in den Führungsetagen der Politik, für den finalen Umsturz der männlichen Dominanz? Deswegen gibt es Durchsetzungs- und Sprachtrainings oder Tipps für die richtige Körperhaltung in wichtigen Meetings. Aber auch wenn eine in diesem ganzen Karrierezirkus nicht mitspielen will, braucht es eine laute Stimme und den Mut sie an prominenter Stelle zu erheben, um zum Beispiel als Künstlerin, Journalistin oder Studentin ernst genommen zu werden. In wiederkehrenden Alltagssituationen werden wegen des Geschlechts immer noch Kompetenzen in Frage gestellt: "Du kennst dich mit Webdesign aus?" "Soll nicht jemand anderes diesen Vortrag halten?" "Warte, ich helf' dir beim Tragen."

In Pop- und Subkultur sieht die Situation etwas anders aus. In vielen Liedern wird sich maßlos in Selbstmitleid gesuhlt, verflossenen Lieben hinterhergeheult und die Depression gefeiert. Ich behaupte sogar, es gibt ein ganzes Genre von Musik, das privilegierten jungen Männern dazu dient, sich selbst zu bemitleiden. Verständnis und Mitgefühl für deren damatische Situation will ich nicht vorgauckeln, es gibt wichtigere Baustellen. Das hat jedoch nichts zu tun mit Nina Pauers Kritik am sogenannten Schmerzensmann, denn ich wünsche mir in keinem Fall die Rückkehr zur Glorifizierung des Machos, sondern bin für Vielfalt und Erosion von Männlichkeit genauso wie von Weiblichkeit.

Welche Rolle das Geschlecht in diesem Punkt für Die Heiterkeit spielt, ist unklar. Sommer sagte im Gespräch jedoch: „Uns haben diese depressiven Songs total genervt. Für uns war es Zeit über das Gegenteil zu singen. Deswegen haben wir es uns zur Aufgabe gemacht möglichst viele Lieder darüber zu schreiben, wie super es uns geht, wie megaerfolgreich wir sind und wie nett uns alle Leute finden.“ Zu diesem Konzept gehört genauso, keine Demos zu verschicken, ziemlich lange keine Neuigkeiten zum Bandprojekt preiszugeben und sich nicht bei Plattenfirmen, Bookingagenturen oder anderen Bands anzubiedern, nur um als Vorband spielen zu dürfen. Die Beobachtung dahinter: Wenn man sich klein und unwichtig präsentiert, wird man auch so behandelt.

Die Strategie scheint aufzugehen. Obwohl das Album Herz aus Gold musikalisch kein total innovativer Wurf ist und eher weniger Perfektion das Instrumentenspiel dominiert – es ist schließlich ein Debütalbum –, spielen die drei Damen schon große Festivals wie das Reeperbahnfestival oder in den kommenden Tagen das Berlin-Festival, veröffentlichen ihre Platte auf dem beliebten Berliner Indie-Label "Staatsakt" oder sprechen nachts auf NDR Info eine Stunde über ihre Band.

Der Gitarrenpop des Trios ist vielleicht nicht neu, sondern hörbar von Bands wie Sonic Youth, Pavement aber auch Tocotronic und Blumfeld beeinflusst, aber so lässig, dass selbst Mitsummen cool wird. Text, Melodie und die wunderbar tiefe Stimme von Sommer tun ihr Übriges. Das ist einfache, textzentrierte und tolle Musik.

Und während sich die drei große Mühe geben auf keinen Fall in den Hamburger-Schule-Topf geworfen zu werden, liefern sie die perfekte Folie, um in ihnen all die klassischen Musikerklischees zu finden: Sie lernten sich beim Trinken in einer Musikkneipe kennen, rauchen möglicherweise Kette, haben schlechte Laune, beschweren sich über nicht vorhandene Korkenzieher auf Festivals und nehmen sich selbst ziemlich wichtig. Alles Punkte, die bei Männern ein Garant für Ansehen und Glaubwürdigkeit wären. Bei Frauen ruft dies noch eine gewisse Skepsis hervor – der Vorwurf von Zickigkeit schwebt im Raum – und lässt vielleicht auch durch die Aneignung und Überspitzung das Groteske eines solchen Images sichtbar werden.

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Geschrieben von

liz weidinger

freie journalistin und girlmonster

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