Wer singt?

Genderkolumne Wie fehlende Bilder und sinnlich schwelgende Texte zwei heterosexuelle Musiker zu einem Frauenduo werden lassen, zeigt das Slow-Motion-Popduo Rhye
Wer singt?

Foto: Ausschnitt des Albumcovers

Okay, Zeit für ein Geständnis: Ich habe eine Schwäche für schmalzig-daherkommenden Sound im glitzernden Slow-Disco-Gewand, schön poppig und soft. Ein Klang, der sich harmlos wie eine kuschelige Decke am Ende des Tanzabends um die Schultern legt. Oder zur letzten Zigarette des Tages all die fiesen Geister vertreibt. Musik an – und ab ins heile Phantasialand. Genau das liefert das Duo Rhye mit ihrem Debütalbum Woman und lässt mich zwischen Verzückung und aufkeimendem Zweifel hin und her schwanken.

Rhye, das sind zwei Musiker, die sich über eine Kooperation ihrer musikalischen Vorgängerprojekte gefunden haben. Zum einen Sänger, Cellist und Produzent Mike Milosh, der allein schon drei Alben auf dem Label Plug Research aus Los Angeles veröffentlicht hat. Zum anderen Robin Hannibal, der zusammen mit Sängerin Coco O. als Quadron für seinen Hang zu sechziger Jahre Soul und R’n’B-Sounds bekannt ist. Mit zwei Singles, Open und The Fall, sorgten Rhye dann im vergangenen Jahr für viel Aufsehen in der digitalen Musik-Community – auch, weil zu Beginn niemand wusste, wer hinter den dezent-sexy Songs und ihrer Videoübersetzung steckte. Und genau hier wird es spannend. Denn manche begeisterten Schreiber_innen, die über das neue Duo berichteten, nahmen an, es singe eine Frau. Das Online-Magazin Slate sieht Milosh in einer Reihe mit Sängerinnen wie Jessie Ware, Lianne La Havas oder Nite Jewel. Und der Guardian schreibt sogar: „The girl – female, really, she's a woman, she's lived a life, she's been hurt – sings in that hesitant, barely-emoting way that suggest she's exhausted after all that arguing and fighting.” Dazu kommen dann viele Vergleiche mit dem distanzierten Gesang des nigerianisch-britischen Superstars Sade oder Singer-Songwriterin Tracy Thorn.

Androgyne Stimme

Hier wird also offensichtlich, dass nicht über die Stimme – und auch nicht über andere körperliche Eigenschaften – das Geschlecht einer Person bestimmt werden kann. Und wie einflussreich gesellschaftliche Kategorisierungen sich auf Körper legen. Zuallererst ist da eine stereotype Vorstellung von weiblichen oder männlichen Eigenschaften, die dann auf Personen projiziert werden. In der westlichen Kultur werden männliche und weibliche Stimmen primär durch die Tonhöhe, aber auch durch Sprechweise, Betonung oder Lautstärke akribisch in das zweigeschlechtliche System eingeordnet – nervige Piepsstimme dahin, autortär tiefe Stimme dorthin.

Im Zusammenhang mit Rhye ist spannend, worauf Milosh im Artikel der New York Times hinweist: Er vermutet den Grund für die Verwirrung um sein angeblich biologisches Geschlecht nicht in der Tonhöhe, sondern in seiner sanften Art zu singen. Hinzu kommen die zelebrierte Intimität, die Hingabe und die durchgehende Zurückhaltung des Albums, das die rosa Liebeswolke in keinem Song ankratzt. Ein Puzzle, das auf den ersten Blick viele stereotyp-weibliche Bausteine enthält. Und das mit der Offenlegung der Identität des Duos einen kleinen Bruch erzeugt, zumindest beim Autor der Consequence-of-Sound-Review, der dadurch auf seine vorschnelle geschlechtliche Einordnung aufmerksam wurde.

Bröckelnde Fassade

Obwohl Rhye also eine Männlichkeit darstellen, die gefühlvoll und verletzlich sein darf und sie ihre Platte gern als Gegenstatement zu einer übersexualisierten Popwelt präsentieren – alles grundsätzlich tolle Aspekte – kann trotzdem keine Auszeichnung für fortschrittliches Geschlechterdenken vergeben werden. Die vollkommene und ernsthafte Verehrung von Sex und Liebe zwischen Mann und Frau, die Beschreibung der Platte als Ode an das weibliche Geschlecht, die Bezeichnung der Ehefrau als Muse oder Textzeilen wie „I’m so bad, I’m so bad / you’ll be my body of work“ wie in Major Minor Love lassen mich aufgrund dieser selbstverliebten, heterosexuellen Männlichkeit dann doch hinter die Fassade dieser anfangs so verlockend gurrenden Fotofilter-Traumwelt blicken – damn it.

Rhye
"Woman"
Polydor / Universal
rhyemusic.com

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

liz weidinger

freie journalistin und girlmonster

liz weidinger

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden