Gott ohne Jenseits

Glaube "Gott" und "Jenseits" gelten den meisten Gläubigen als unzertrennliches Duo. Wie wäre es mit der Möglichkeit: Es gäbe Gott, jedoch kein Jenseits?

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Viele Menschen, in den meisten Ländern eine klare Mehrheit, glauben an Gott. Viele Menschen – erst Recht diejenigen, die an Gott glauben, glauben ebenfalls an ein Jenseits und/oder Reinkarnation, in beiden Fällen an „ein Leben danach“. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Menschen, die sich Atheisten oder Agnostiker nennen, und die weder an Gott noch an ein Jenseits glauben, beziehungsweise daran zweifeln. Zweifeln, glauben und nicht glauben sind aber alles dieselbe Kategorie – persönlich, individuell, spirituell, fern des Wissens und erst recht eines Nachweises. Alle sind sie somit „Gläubige“ an etwas, an einen Zustand des Universums und des Seins: Religiös/transzendent Gläubige glauben, daß es „etwas gibt“. Atheisten glauben, daß es nichts dergleichen gibt. Agnostiker sind gläubige Zweifelnde.

Oft werden allerdings, grob und oberflächlich betrachtet, daraus nur zwei Gruppen gemacht: die Gottgläubigen glauben zumeist auch an ein Jenseits, von den Atheisten nimmt man an, sie würden sowohl an Gott, wie an ein Jenseits (worunter ich auch den Reinkarnationsglauben subsummiere) nicht glauben.

Dabei sehe ich eher vier Glaubens-Möglichkeiten:

  1. Glaube an Gott und an ein Jenseits.

  2. Glaube an Gott & kein Glaube an ein Jenseits.

  3. Glaube an Jenseits, aber nicht an Gott.

  4. Glaube weder an Gott noch an ein Jenseits.

Ich persönlich gehöre der zweiten Gruppe an: Ich glaube nicht an ein Leben oder Weiterexistieren des Menschen nach dessen Tod. Das schließt für mich allerdings in keiner Weise die Möglichkeit der Existenz eines Gottes aus.

Es ist aber auch verständlich, daß die Möglichkeit 1 die am weitesten verbreitete ist. In den meisten Religionen bzw. Glaubensansätzen werden die beiden Punkte verknüpft, sogar sehr stark. Entweder enger - d.h. man glaubt an ein Weiterleben „im Himmel/Fegefeuer/Hölle“, „im Paradies“, „im Nirwana“ (Christentum, Islam, Hinduismus, die meisten s.g. „primitiven Glauben“), oder - in indirekter Form - man glaubt an ein Weiterleben als „Reinkarnation“, als „Geist“, als „Seele im Universum“.

Der Grund für eine solche Verknüpfung von „Gott“ einerseits, und „Jenseits“ andererseits liegt in der Idee der „Gerechtigkeit“: Der Mensch hat den Eindruck, daß in „dieser Welt“ - ihm oder allgemein (fast) allen Menschen - keine Gerechtigkeit geschieht. Dabei geht man aber davon aus, daß es eine solche „Gerechtigkeit“ auf jeden Fall in einer Welt geben sollte/müßte (wenn es schon einen „Gott“, der auch "gerecht" sein sollte, gibt). Also wird diese "Gerechtigkeit" – so der Gedanken und Wunsch des Gläubigen - in einer anderen Lebensform, nach dem Tod (oder im neuen Leben) wiederhergestellt, es kommt dann doch – mit einer Verspätung - zu einem Ausgleich.

Ein solcher Glaube (ein solcher Wunsch) beinhaltet zwei große Fehler: Erstens, man versucht, Gott zu definieren („er/sie/es muß gerecht sein“). (Über meine Auffassung, Gott sei nicht seitens des Menschen definierbar, siehe: http://www.freitag.de/autoren/lukasz-szopa/die-freiheit-der-unmoeglichen-gottesdefinition). Zweitens, eine „Gerechtigkeit“ müsse und könne es geben, diese sei glücksbringend bzw. an sich „gut“. Außerdem macht damit der Mensch den „Gott“ zu seinem Diener (auch wenn in „Vater/Mutter/Chef/Lehrer“-Funktion): Man erwartet vom „Gott“, etwas für den Menschen tun zu müssen - die „Gerechtigkeit wiederherzustellen“ oder „einem Menschen eine weitere Chance zu geben“ (Reinkarnation).

In meinem Verständnis haben wir Menschen nicht nur kein Recht, sondern auch keine Fähigkeiten, nicht nur über die Existenz, sondern auch über die Ziele, Wertvorstellungen und das Tun Gottes zu urteilen. Mag sein, daß es Gott gibt, mag auch sein, daß es sogar Gerechtigkeit gibt, mag sein, daß es tatsächlich „ein Leben danach“ gibt. Ist es aber richtig (und gesund) für den Menschen, es zu erwarten? Kein Wunder, daß Marx & Freunde Religionen als „Opium fürs (dumme & arme) Volk“ ansahen.

Es gibt natürlich auch „Halb-Atheisten“, die sich „das beste Stück“ des Glaubens aussuchen: Sie möchten nicht an Gott glauben (wozu einen „Chef“ oder „Kontrolleur“ haben?), würden sich aber sehr über ein „Jenseits“ freuen – angenommen natürlich, dieses wäre eine bessere Existenz als diese hier auf Erden. So ist es unter allen „Jenseits“-Gläubigen auch kein Wunder, daß man lieber an einen „Himmel“ als an eine „Hölle“ glaubt. Bei den meisten Filmen wünscht man sich ja auch ein Happy End.

Einmal, vor Jahren, als Besucher eines Lyrik-Festivals in Polen, nahm ich an einer gemütlichen „erstes Bierchen vor 12“-Vormittagsrunde teil, wo im wahrsten Sinne des Wortes über „Gott und die Welt“ sinniert wurde. Dazu muss man sagen, daß ein großer Teil junger polnischer Literaten und Intellektueller sich nicht nur als gläubig, sondern auch als sehr katholisch betrachtet. Ich hatte gar den Eindruck – je mehr ich ihnen zuhörte – daß es den Zusammenhang gab: Je jünger, desto erzkatholisch (Also anders als im „Westen“, wo man von jungen Dichtern es anders kennt: Je jünger desto linksrevolutionärer.). Irgendwann stellte ich die spekulative Frage: Was haltet ihr von der Idee „Gott existiert, aber kein Jenseits“. Die Antwort kam recht schnell, auch wenn etwas schmunzelnd verpackt: „Dann schon lieber ein Jenseits, aber keinen Gott.“ Übrigens, mir war bald klar, daß der liberalste Rundenteilnehmer ein 80jähriger Dichter & Pfarrer war. Er predigte am wenigsten, trank am wenigsten, war dennoch auf seine Art ein Missionar: Sein Auto und seine Fahrweise in der polnischen Provinz brachte die ehrlichsten kroatischen Atheisten (Lyriker, die ich als Übersetzer begleitete) dazu, beim Aussteigen ein „Danke o Gott!“ auszurufen.

Was meinen persönlichen Glauben angeht, so glaube ich zwar an Gott, nicht aber an „ein Leben danach“. Aufrichtiger, auch wenn unpräziser und „es mir einfach machend“ würde ich sagen: Ich glaube eher, daß es einen Gott gibt, als daß es ihn nicht gibt, während ich es mit dem „Leben danach“ genau umgekehrt sehe: eher nicht.

Auch, weil ich es aus oben erwähnten Gründen für unanständig halte, daß der Mensch von Gott etwas erwarten sollte, daß der Mensch Gott seine (des Menschen) Ideale vorschreibt („Gerechtigkeit“), und schließlich, weil ich es zu platt finde, daß die Welt so konstruiert sein sollte, daß „alles“ immer („irgendwann“, „irgendwie“) aufgewogen sein wird.

Auf keinen Fall glaube ich an „Gottes Gerechtigkeit“. Schon eher, wenn schon ein „Weiterleben“, dann aufgrund von Gottes „weiser Barmherzigkeit“: Jeder wird nach dem Tod weiterleben und beglückt werden. Aber eben nicht als „Lohn“, sondern als „unverdiente Überraschung“. Das wäre aber schon ein anderes Thema.

Schließlich finde ich die Vorstellung, das irdische Leben sei nur eine „Vorstufe“ zum „richtigen“ Jenseits-Leben, unmoralisch, sofern man gleichzeitig an Gott glaubt. Denn was wäre das für ein schrecklicher Gott, der mit uns ein Spiel treibt, dem wir als Versuchskaninchen dienen, der uns auf eine Probe stellt, und je nachdem wie wir uns verhalten, wird uns ein besseres oder schlechteres Jenseits - Belohnung oder Strafe, Himmel, Fegefeuer, Hölle - erwarten? Hat ein Gott so was nötig? Es wäre schön, aus meiner Sicht, wenn die Menschen glauben würden, daß wenn sie etwas Gutes tun, dies nicht als ein „Plus für das Jenseits-Konto“ gewertet wird und nur diesen Sinn hat, sondern daß es bereits in diesem Leben und direkt für die Beteiligten wichtig ist, Gutes zu tun. Ebenso bei bösen Taten. Beides gilt für unsere einzige Existenz, und hat Auswirkungen vor allem auf uns - schon hier.

Wenn man all das bedenkt, verschwinden Gedanken wie „Wie kann Gott so was hier auf Erden erlauben?“ oder wie „später wird es eine Strafe / eine Belohnung geben, und nur dafür lohnt es sich zu leben“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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