Über die Abschaffung des Eigentums

Eigentum Gehöre ich mir selbst? Oder kann es kein "Eigentum" geben? Aus meiner Sicht haben nur Pantheisten einen Anspruch darauf, sich "Eigentümer" zu nennen.

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Vor ein paar Jahren ging ich mit meinem damals vierjährigen Sohn spazieren, als dieser ein weinendes, vielleicht zweijähriges Kind vor sich erblickte. Einige Meter vor dem traurig stehenden Kind stand wartend ein junger Mann – für uns beide offensichtlich der Vater. Mein Sohn fragte besorgt: „Gehört der Junge zu dir?“ Worauf der Mann (der natürlich doch der Vater war) verärgert und lehrerhaft: „Der Junge gehört sich selbst!“ Mein Sohn hat die Szene wohl schon längst vergessen, ich jedoch mache mir nicht nur darüber Gedanken, in wie weit jemand einem anderen oder sich selbst gehören kann, sondern generell über den Begriff des Eigentums.

Im deutschen Grundgesetz ist „Eigentum“ im Artikel 14 – also einem der Grundrechte-Artikel - gleich doppelt vorhanden:

„(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

„(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Damit erhält das „Eigentum“ gleich zwei Eigenschaften: Erstens, daß es „gewährleistet“ ist, und zweitens, daß es „verpflichtet“. Was beides genau bedeuten soll, ist offen – aber Hauptsache, daß die Gründerväter des Grundgesetzes hier sowohl eine „recht-konservative“, wie auch eine „linke“ Eigenschaft oder gar Funktion des Eigentums niedergeschrieben hatten. So wird es auch gerne seitens des Bürgers aufgenommen – für die meisten ist „Eigentum“ etwas Unantastbares, ja beinahe etwas Heiliges, ohne dem weder der Staat, die Gesellschaft, noch der Mensch funktionieren könne.

Dass diese zwei Punkte sich meist widersprechen, scheint Wenige zu stören – gegeben falls sollen eben „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“ werden.

Das ist und war vielen Linken oder erst recht Kommunisten zu wenig. Eine spannende Erklärung des „Eigentums“ fand ich zum Beispiel in Bertolt Brechts Bearbeitung von „Mutter“ nach Maxim Gorki. Am Anfang des Stückes versuchen junge kommunistische Aktivisten, der Mutter Pelagea Wlassowa das Eigentum zu erklären, wobei sie als erstes wissen will, was denn der Unterschied zwischen ihrem Tisch als ihr Eigentum und den Maschinen als Eigentum des Fabrikbesitzers sein soll. „Kann ich mit diesem Tisch machen was ich will? … Kann ich ihn zum Beispiel kurz und klein schlagen, wenn ich will?“ Das bejahen die Revolutionäre. Auf die Nachfrage, warum der Fabrikbesitzer denn nicht mit seiner Fabrik machen darf was er will, geraten sie in Schwierigkeiten, und argumentieren ausweichend: „Weil er zu seiner Fabrik uns Arbeiter braucht.“ oder „Wenn Ihnen eine Fabrik gehört, können Sie damit vielen hundert Menschen schaden.“ Schließlich schaffen sie es, Wlassowa von dem Sinn ihrer Pläne (Streik) zu überzeugen – mit dem Argument der Ausbeutung der Arbeiter und deren Elend. Sie schaffen es jedoch nicht, das „Eigentum“ und die Rechte daran in einer stich- und nagelfesten Definition zu vereinen, oder zu erklären, wo die Grenze zwischen ihrem Tisch, der Fabrik oder sonsteinem Eigentum und dessen Eigenschaften zu ziehen sei. Wie das Grundgesetz bleiben sie wage: „Das Eigentum verpflichtet.“ Sie sind zwar – anders als das GG – Revolutionäre, doch an eines wagen sie sich wie viele Linke und Kommunisten nicht: nicht nur das Eigentum, sondern gleich den Begriff des Eigentums gleich abzuschaffen. Es geht ihnen bloß darum, daß das Eigentum „richtig“ genutzt (bzw. nicht mißbraucht) wird, oder daß es nicht dem Einen oder einigen Wenigen gehört – sondern der Arbeiterschaft oder dem Volk.

Aus meiner Sicht gibt es kein Eigentum. Es ist ein abstrakter, von Menschen (manchen Menschen...) erdachter Begriff mit der Funktion, einige Sachen „zu regeln“ und zu bestimmen. Es ist genauso abstrakt wie andere von den Menschen erdachte Begriffe wie „Gerechtigkeit“, „Freiheit“, „Freundschaft“ oder „Glück“. Im Gegensatz zu jenen Begriffen scheint „das Eigentum“ dennoch für die meisten – ob Links-Revolutionäre oder eigentumsschwere Grundgesetz-Gläubige – nicht nur etwas Reales zu beschreiben wie „Baum“ oder „Zahn“, sondern ein Grundpfeiler der gewünschten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung zu sein. Denke dir das Eigentum weg, und unsere ganze - ob kommunistische oder neoliberale – Welt würde einstürzen!...

Dabei zeigen neoliberale Praktiken wie der Aktienhandel oder feindliche Übernahmen sogar mehr als ehemalige kommunistische Enteignungen, wie schnell „das Eigentum“ den „Eigentümer“ wechseln – oder gar verschwinden kann. Von „gewährleistet“ bis „verpflichtet“ kann gar keine Rede sein. Wenn Sie heute „Eigentümer“ von Vodafone-Aktien sind, sind Sie es 2014 vielleicht nicht mehr: ohne ihre Stimme und Einwilligung sind sie dann vielleicht AT&T-Aktionär – wenn dieser Konzern Vodafone übernehmen sollte. War Ihr „Eigentum“ vor 2013 ein 200.000 EUR-Sparbuch auf Zypern war – so ist es heute durchaus „angetastet“. Waren Sie bisher als Bürger Mit-Eigentümer eines kommunalen Wasserversorgers – sind sie es morgen vielleicht nicht mehr...

Oft wird – vor allem seitens konservativer, aber auch liberaler Gesellschaftsschichten - „das Eigentum“ in Religion verortet. „Macht Euch die Erde untertan!“ - glauben viele sich an die Worte Gottes aus der Bibel halten zu müssen. Doch selbst dieser fundamentalistischer Spruch deutet nicht auf „Eigentum“ hin – lediglich auf eine Tätigkeit in Bezug auf diesen Planeten. Wenn ich zu meinem Nachbar sage: „Ja, nimm ruhig den Rasenmäher und mähe damit den Rasen vor deinem Haus!“ - ist es noch lange keine Schenkung und somit Übertragung des Eigentums! Auch sonst findet man weder in der Bibel noch im Koran klare Hinweise darauf, Gott hätte den Menschen zu Eigentümern von irgendetwas (Paradies, Erde, Weltall, sich selbst) gemacht. Denn – soviel ist nicht nur dem Atheisten, sondern selbst dem fundamentalsten Religionsanhänger klar - Vor der Existenz des Menschen konnte dieser (Mensch) kein Eigentum haben. Es gab also kein „menschliches“ Eigentum. Erst recht kann es keinen Eigentum gegeben haben, wenn es keinen Gott gab. Und wenn es Gott gab und gibt – kann bestenfalls Gott Alles gehören. Das einzige, was in Heiligen Schriften geregelt oder geboten wird (falls man die Aussagen dieser Schriften als Gottes Worte und Wille versteht), sind Vorschriften und Definitionen von „Besitz“. In den Zehn Geboten wird folgendes verlangt:

„Du sollst nicht stehlen.“ (Geb. 8) und

„Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“ (Geb. 10).

Das letzte, vor allem wegen des Wortes „gehört“, könnte man höchstens als Bestätigung des vorhandenen Eigentums verstehen. Anderseits, wenn man sich nicht nur auf das Gebot 10, sondern andere Stellen und Aussagen der Bibel verinnerlicht, scheint hier eher die Rede von Nutzung und „Besitz“, als vom „Eigentum“ zu sein. Und auch da darf nicht vergessen werden: unabhängig von Gottes Existenz und Gottes Vorstellung vom „Eigentum“ - die Bibel wurde von Menschen geschrieben und mehrmals übersetzt...

Es gibt nämlich einen deutlichen Unterschied zwischen „Eigentum“ und dem „Besitz“. Siehe Duden:

„Besitz: Gesamtheit der (materiellen) Güter, die jemand geerbt oder erworben hat, sodass er bzw. sie darüber verfügen kann.“

„Eigentum: jemandem Gehörendes; Sache, über die jemand die Verfügungs- und Nutzungsgewalt, die rechtliche (aber nicht unbedingt die tatsächliche) Herrschaft hat.“

Der Unterschied ist vielleicht klein, für mich jedoch deutlich. Das „Eigentum“ versteht sich als „Recht“ auch wenn dieses nicht „tatsächlich“ sei. „Besitz“ hingegen bedeutet mehr etwas reales, vorüber einer verfügt“. Nehmen wir die beiden Wörter beim Wort: „Eigentum“ ist sehr mit („mein“)„eigen“ verwandt, mit „mein Eigentum“ scheint jemand sich zu identifizieren. Hingegen ist „Besitz“ bloß das Ding, worauf ich gerade sitze – oder es eben besetze. Vergänglich und vorübergehend. Kein Dogma sondern Zustand. Kein Recht sondern Fakt.

Ich weiß zum Beispiel gar nicht mehr, ob der Stuhl, auf dem ich gerade schreibend sitze – mein Eigentum ist. Ich habe ihn – glaube ich... - vor Jahren zusammen mit meiner Freundin bei einem Altmöbel-Laden in Neukölln gekauft, also keine Rechnung, keine Überweisung, erst Recht kein Eigentumsvertrag. In der Praxis besitze ich diesen Stuhl jedoch – da zu 90% nur ich darauf sitze. Wortspielereien? Keinesfalls. Ich denke nämlich, daß gerade das kritische Nachdenken über Sprache und Begriffe ein wichtiger Weg sein kann, sich über real existierende Zustände klar zu werden. Wenn man den Begriff „Eigentum“ abschafft, schafft man auch das Eigentum an sich ab. Der Abschied vom „Eigentum“ müsste einem logisch denkenden Atheisten leicht fallen, und einem Gott-gläubigen Menschen ebenso: für die ersten gilt, daß ihnen ja keiner ein „Eigentum“ vermachen konnte, für die zweiten, daß bestenfalls Gott der Eigentümer von irgendetwas sein kann. Auch von einem Selbst – um zu der Frage zurückzukehren, ob jemand sich selbst gehören kann. Da ich weder im Eigentum der Samen und Eizellen meiner Eltern war, noch das Eigentum über das bisher gegessene, getrunkene und eingeatmete beweisen kann – kann ich für mich diese Frage nur verneinen: Ich gehöre mir selbst nicht.

Die einzigen, die logisch und glaubwürdig behaupten können, Eigentümer von etwas zu sein (oder gar von Allem!) - sind die Pantheisten. Denn wenn Gott eins mit dem Kosmos und der Natur ist, sind sie als Teil der Natur auch zum Teil Gott – und somit mindestens Mit-Eigentümer des Kosmos.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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