Auf Gegenmacht kommt es an

Generalstreik Ein historischer Moment für Europas Gewerkschaften. Von Belgien bis Griechenland gibt es Massenproteste gegen den Aufmarsch des Neoliberalismus und brachiale Spardogmen
In Rom kommt an diesem Tag auch Pyrotechnik zum Einsatz
In Rom kommt an diesem Tag auch Pyrotechnik zum Einsatz

Foto: Filippo Monteforte/AFP/Getty Images

Schade, dass es erst jetzt zu diesem Aktionstag der Aufbegehrens und der Empörung kommt. Sehr schade sogar, weil ein Veto der Gewerkschaften und ihres Anhangs gegen einen rabiaten Neoliberalismus, der Europa zusehends ruiniert, so lange schon fällig ist (und inzwischen vielleicht zu spät kommt). Noch bedauerlicher, dass es an diesem 14. November 2012 keinen EU-weiten Generalstreik gibt. Nur der würde einen solchen Eindruck hinterlassen, dass er die Regierenden zum Umdenken zwingt.

Nur wenn aus Protest und Widerstand eine ernstzunehmende, zum Handeln entschlossene Gegenmacht erwächst, wird sich etwas erreichen lassen. Die Arbeitnehmer in der Eurozone könnten sich an die Beharrlichkeit und den Mut, die Ausdauer und den Opfersinn der Avantgarde des Arabischen Frühlings halten, um zu wissen, was sich wie durchsetzen lässt. Nur, wollen sie das? Vor allem, können sie es?

Wo der soziale Druck enorm, die Angst um den Arbeitsplatz stets spürbar und eine Familie zu versorgen ist, wächst eben auch die Entmutigung. Sie steht neben der Gewissheit, dass es nicht anders geht, als sich zu ducken und disziplinieren zu lassen. Durch Regierungsentscheidungen und Parlamentsvoten sind längst riesige Schneisen in die Soziallandschaften des Kontinents geschlagen. Dazu kommen Entlassungen und Unternehmenspleiten. Wegen der Globalisierung und der Konkurrenz in Asien geht Europa die Lohnarbeit aus. Und die unter dem Druck der Finanzmärkte beschlossenen Spardiktate, die besonders den "Arbeitgeber Staat" aufs tote Gleis setzen, werden so schnell nicht rückgängig zu machen sein.

Abgehängte Generation

Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone nähert sich der Marke von zwölf Prozent und scheint weiter ausbaufähig. Vollkommen abgehängt ist die junge Generation der unter 25-Jährigen. Allein in Portugal, Irland, Frankreich und Italien sucht jeder Dritte aus dieser Altersgruppe nach einer – vorsichtig formuliert – Beschäftigung und muss mit Lohndumping rechnen, falls er sie findet. In Griechenland und Spanien hat die Erwerbslosigkeit der 18- bis 25-Jährigen in diesem Jahr die 50-Prozent-Marke überschritten. Dort ist es jeder Zweite, der keine Chance hat, dem deprimierenden Gefühl zu entkommen, nicht gebraucht zu werden und abgeschrieben zu sein.

Die Gewerkschaften in Griechenland, Portugal, Spanien, Frankreich oder Italien sollten jedoch ihr "J'accuse" nicht nur wegen der hohen Arbeitslosigkeit, eines skandalös gekappten Kündigungsschutzes oder der gekürzten Löhne und Renten über die Lippen bringen. Sie sollten sich politisieren, wie es der DGB in seinem Aufruf zu diesem Aktionstag getan hat, indem er beklagt, dass in erster Linie die Arbeiter und Angestellten die Lasten der Krise tragen, „während man die Krisenverursacher in den Finanzzentren und die Besitzer großer Vermögen ungeschoren davon kommen lässt“.

Name, Anschrift und Gesicht

Linke Parteien wie Syriza in Athen oder Bewegungen wie die Indignados von der Puerta del Sol in Madrid, aber eben auch die Gewerkschaften sind schon dann in der Vorhand, wenn sie sich nur auf eine Kritik der Krisenbewältigung in der Eurozone beschränken. Die bleibt seit 2010 den Erfolg in makabrer Weise schuldig. Trotz aller geworfenen Stabilitätsanker und gedeckelten Haushalte sind 2011 und 2012 die Schuldenquoten in allen Krisenländern von Griechenland über Irland bis zu den unsicheren Kantonisten in Osteuropa (Estland, Slowenien) weiter gestiegen. Selbst der ökonomische Laie begreift: Wer eine nationale Ökonomie quasi trockenlegt, der kann nicht ernsthaft damit rechnen, dass die Springquellen der Schuldentilgung munter sprudeln.

Dass die Finanzkrise einen willkommener Vorwand liefert, den lange Zeit nur noch als Faktotum durch die Erinnerung geisternden Neoliberalismus zu beatmen, kann nicht überraschen. Um ein beklagenswertes, weil unabwendbares Schicksal, das nach sozialem Opfer und Entbehrung schreit, handelt es sich hingegen nicht. Je bewusster die Entscheidungen zum Sozialabbau – zur Verbilligung von Arbeit und Prekarisierung von menschlichem Leben – getroffen wurden, desto bewusster müssen sie gekämpft werden. Das mag selbstverständlich und abgedroschen oder phrasenhaft klingen – aber am Willen zur Gegenmacht führt kein Weg vorbei. Um Bertolt Brecht zu paraphrasieren: Die dunklen Mächte, die euch da schinden, sie haben Namen, Anschrift und Gesicht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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