Das erschöpfte Europa

Termin in Karlsruhe Wird mit dem Fiskalpakt das Grundgesetz gebrochen? Das Verfassungsgericht will darüber nach der heutigen Anhörung noch im Juli entscheiden. Es steht viel auf dem Spiel
In Karlsruhe werden Schicksalsfragen des Euro verhandelt
In Karlsruhe werden Schicksalsfragen des Euro verhandelt

Foto: Ralph Orlowski / Gety Images

Wenn Karlsruhe dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) die Verfassungstauglichkeit abspricht, kann der dauerhafte Rettungsschirm getrost aufgegeben und entsorgt werden. Der deutsche Anteil am ESM mit 27 Prozent der bisher vorgesehenen Einlagen von 700 Milliarden Euro ist einfach zu groß, als dass sich darauf verzichten ließe.

Allein diese Aussichten erlauben nicht den geringsten Zweifel an der politischen Tragweite der heute vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Streitfälle. Was von der Euro-Rettung übrig bleibt, kommt der neue Krisenfonds nicht zustande, lässt sich schwer sagen. Viel kann es nicht sein – muss es aber. Die nächsten Bedürftigen stehen bereits auf der Schwelle zum Rettungscontainer. 30 Milliarden Euro für Spanien sind so gut wie ausgehandelt, wenn man der gestrigen Sitzung der EU-Finanzminister glauben darf. Doch auch Zypern muss alimentiert werden. Möglicherweise kann Slowenien ein Defizit von über zehn Milliarden Euro nur durch externe Hilfen überbrücken. Man muss nicht soweit gehen, den Karlsruher Richtern zu attestieren – und das wäre keine Übertreibung und schon gar keine Unterstellung –, sie würden über Bestand oder Auflösung der Eurozone befinden. Aber die Signal- und Symbolwirkung ihres Votums übertrifft die anderer Entscheidungen zur europäischen Integration.

Schließlich gehörte Deutschland in der Person seiner Kanzlerin zu denen, die energisch einem Junktim und den sich daraus ergebenden Konsequenzen das Wort geredet haben. Die Essenz der vehementen Fürsprache lässt sich in zwei Sätzen auf den Punkt bringen: Ohne Fiskalpakt kann es auf Dauer keine Euro-Rettung geben, an der sich alle Euroländer engagiert beteiligen. Scheitert aber der Euro, dann scheitert Europa, zumindest das bisher in der Eurozone versammelte.

Ein klärendes Urteil

Angela Merkel wäre bei einem negativen Bescheid aus Karlsruhe politisch so schwer angeschlagen, dass sich eine dominante Mediation der Euro- und Finanzkrise erledigt hätte – nur wer sollte sie ersetzen?

Mit einem Wort, den Verfassungsrichtern ist zu viel aufgebürdet, als dass sie vollkommen unbeeinflusst von den Folgen ihres Urteils verhandeln können. Das stellt nicht die Unabhängigkeit eines Verfassungsorgans und ihre Entscheidung in Frage, doch ein klärendes Votum, das über Fiskalpakt und ESM hinausgeht, wäre wünschenswert. Es könnte im Auftrag an Exekutive und Legislative bestehen, einem Verfassungsreferendum in Deutschland näher zu treten. Solches wäre geboten, würde das deutsche Grundgesetz europäischen Bedürfnissen angepasst. Leider sind diese Bedürfnisse momentan eher Unwägbarkeiten und alles andere als zukunftssicher. Auch erscheint der Zustand der Europäischen Union zu erschöpft und fragil fürs plebiszitäre Befragen. Was geschieht, wenn Europa in Deutschland keine Mehrheit findet?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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