Angenommen, es regierte in Berlin keine Koalition aus CDU/CSU und SPD, sondern eine rot-grün-rote Allianz, dann müsste ein weiterer Afrika-Einsatz der Bundeswehr – und besonders dieser – Einspruch und Widerspruch der Linkspartei provozieren. Würde das Unternehmen Zentralafrika dadurch nicht gestoppt, täte die Partei gut daran, die Koalition zu verlassen. Und sie hätte recht damit. Es sei denn, der Koalitionsvertrag wäre von solcher Qualität und Klarheit, dass Interventionen a priori verboten sind, die beschlossen werden, bevor es ein UN-Mandat dafür gibt, und bei denen erneut höchst diffuse politische Ziele einen militärischen Vorstoß flankieren.
Soweit das Auge reicht
Das Vorhaben „Wir in der Zentralafrikanischen Rep
Vorhaben „Wir in der Zentralafrikanischen Republik“, wie es die EU-Außenminister soeben in Brüssel abgesegnet haben, ist ein typisches Beispiel für Eingreif-Aktionismus europäischer Staaten, ohne dass auch nur der Hauch einer Krisen-Agenda oder Exit-Strategie erkennbar wäre. Es gibt so gut wie keine Antworten auf Fragen wie diese: Was soll getan werden, um einen gescheiterten Staat (failed state) wieder in die Lage zu versetzen, ein funktionierender Staat zu sein, der seine Bürger zu schützen weiß? Mit welcher politischen Nachsorge der EU darf man rechnen, damit die Zentralafrikanische Republik nicht auf Dauer zum postkolonialen Mündel Frankreichs oder irgendeiner ominösen Staatengemeinschaft verkümmert? Wie werden diejenigen einbezogen, die aus nahe liegenden Gründen am ehesten dafür zuständig sind, den inneren Zerfall eines ihrer Mitgliedsländer aufzuhalten? Etwa die Afrikanische Union, die mit ihren MISCA-Einheiten ebenfalls eingreifen könnte, was sie teilweise bereits tut. Verteidigungsministerin von der Leyen spricht beschwörend von einer „humanitäre Katastrophe“, die auf der Zentralafrikanischen Republik laste, und der man begegnen müsse. Wird dieses Einsatzkriterium geltend gemacht, sollte sich die Bundeswehr auch für Somalia zuständig fühlen, im Südsudan eingreifen, die unhaltbaren Zustände in Libyen und den Autoritätsverfall der dortigen Administration aufhalten, im Ostkongo die hundertfache Vergewaltigung von Frauen durch Hutu-Legionäre stoppen und mit ihrem logistischen Arsenal hungernde Wüstennomaden in Niger versorgen. „Humanitäre Katastrophen“, soweit das Auge reichtUnd nicht so ganz nebenbei gefragt: Wenn Bangui und andere Gebiete des zentralafrikanischen Staates unter dem Joch von Anarchie und Barbarei leiden, wenn Massaker christlicher und muslimischer Milizen kein Ende nehmen – weshalb beginnt dann die Militärmission der EU nicht sofort, sondern erst in einigen Wochen, wie in Brüssel zu hören ist? Neue asymmetrische Kriege Noch wird es nur halblaut ausgesprochen, aber es scheint ein Paradigmenwechsel fällig. Afghanistan ist noch lange – möglicherweise sehr lange – nicht vorbei, aber es wird schon nach Ersatz gesucht. Wird Deutschlands „Freiheit“ demnächst nicht mehr allein am Hindukusch verteidigt, sondern auch am Airport der Zentralafrika-Kapitale Bangui? Eine in der Tat absurde Annahme, aber nicht absurd genug, um zu verhindern, dass sich Andreas Schockenhoff, stellvertretender CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, animiert fühlt, eine „ganze Reihe (sic!) von scheiternden und gescheiterten Staaten“ südlich der Sahelzone zu beklagen, von denen „eben eine unmittelbare Bedrohung für die Europäische Union“ ausgehe. Welche Bedrohung? Vermutlich jene aus dem gern bemühten Horrorszenario „gewaltiger Flüchtlingsströme“? Tatsächlich sind die Gründe für die beschlossene EU-Operation profaner und gefährlicher. Frankreich hat zwar bereits im Dezember kraft eigenen Willens 1.600 Soldaten nach Bangui entsandt, ohne jedoch der Lage Herr zu werden. Also wird nach entlastender Teilhabe durch EU-Partner gerufen –„burden sharing“, in der NATO sehr geläufig. Die Lastenverteilung erlebt ihre afrikanische Variante wie in Mali bereits vollzogen. Auch dort wurde bekanntlich vor einem Jahr durch Frankreich mit der Opération Serval interveniert, um drohenden Staatszerfall und in diesem Fall den Vormarsch islamistischer Verbände zu stoppen.Was wissen wir eigentlich über den politischen und militärischen Ertrag dieses Eingriffs in einer ehemaligen Kolonie des frankophonen Afrikas? Es wird der Eindruck erweckt, der Norden Malis sei vom Zugriff islamistischer Freischärler befreit. Aber diese Kombattanten haben sich augenscheinlich zurückgezogen, sind weder geschlagen noch verschwunden und dürften ihren asymmetrischen Krieg weiter führen, sobald sich Gelegenheit dazu bietet. Ganz zu schweigen vom Sezessions-Begehren der Tuareg. Deren Wille zum eigenen Staat ist nicht aus Ehrfurcht vor der Rückkehr einer Kolonialmacht erloschen. Bei der Präsidentenwahl in Mali Mitte August 2013 hat sich mit Ibrahim Boubacar Keita eine Galionsfigur des malischen Establishments durchgesetzt. Garantiert kein enthusiastischer Anhänger innerer Reformen, die jener Pfründewirtschaft ein Ende macht, die den desolaten Zustand der Nordregionen mit zu verantworten hat. Also, welche innere Katharsis hat Mali der französischen Präsenz zu verdanken? Diese sichert Einflusssphären, aber vergreift sich nicht oder kaum an den Ursachen, die Staaten wie Mali und die Zentralafrikanische Republik an den Rand von Unregierbarkeit und Selbstaufgabe treiben.Bevor übrigens Präsident Hollande sein Hilfeersuchen an Deutschland und die EU richtete, war von einem Teilabzug des französischen Korps aus Mali die Rede. Warum sollen andere aufstocken, wenn Paris abrüstet? Hat es auf Seiten der Franzosen Opfer gegeben, die der Öffentlichkeit verschwiegen werden und Paris veranlassen, nach Entlastung zu rufen? Dann sollte die Öffentlichkeit davon erfahren, bevor unter dem inzwischen sakrosankten Siegel des Anti-Terror-Kampfes in asymmetrische Kriege gezogen wird, als ob die „alten nicht gelanget hätten“, um es mit Bertolt Brecht zu sagen.