Das Debakel für François Hollande hielt sich mit gut 38 Prozent für seinen Parti Socialiste dann doch in Grenzen – das für die V. Republik eher nicht. Sie hat als bipolares politisches System ausgedient und ihre Rechts-Links-Balance verloren. Damit zugleich ihr inneres Gleichgewicht? Mehr als fünf Jahrzehnte hat man sich darauf verlassen können: Ganz egal, ob es die Sozialisten als Mehrheitsführer bei der Linken auf der Gegenseite mit Gaullisten, Neogaullisten, unabhängigen Liberalen, Zentristen oder zuletzt der UMP eines Nicolas Sarkozy zu tun hatten – es gab zwei Lager, die sich in Schach hielten, miteinander konkurrierten, sich zuweilen egalisierten und dann notgedrungen kollaborierten.
Nun aber etabliert sich mit dem Front National (FN) unwiderruflich ein dritter Pol, der seine Anziehungskraft entfaltet, als seien dem so erzeugten Gravitationsfeld unter Anhängern und potenziellen Wählern kaum Grenzen gesetzt. Auch wenn die Parteivorsitzende Marine Le Pen die jetzigen Regionalwahlen mehr als Probelauf für das Votum zum EU-Parlament Ende Mai betrachtet, hat sie die Kampagne zuvor wie eine Materialschlacht betrieben. Als ginge es um alles oder nichts. Oder eben schlichtweg darum, sich als ultranationalistisches Korrektiv der französischen Politik aufzudrängen.
Hatten sich FN-Kandidaten 2008 noch um Mandate in 119 Conseils Municipaux beworben, traten sie am 23. März 2014 allein in 596 Städten mit über 1.000 Einwohnern an, von kleinen Provinzgemeinden ganz zu schweigen. Sollte bei der Stichwahl am 30. März ein halbes Dutzend FN-Politiker in größeren Kommunen zur Bürgermeisterschärpe kommen, geschieht es dann wegen ihrer kommunalpolitischen Expertise oder wegen aggressiver Parolen wie „Raus aus dem Euro!“ und „Frankreich den Franzosen!“ ? Sprüche wie diese zeigen, weshalb eine solche Tripolarität der V. Republik einer Niederlage aller Republikaner in Frankreich gleichkäme.
Leider wirkt besonders die Regierung angesichts dieser Herausforderung macht-, wehr- und kraftlos. Was soll sie dem Front National auch entgegensetzen? Ihre Wirtschaftsbilanz, die Arbeitslosigkeit oder den Statusverlust Frankreichs in der EU? Slogans wie „Europa ist Frankreich“ oder „Frankreich hat eine Idee, wohin Europa steuert“, wie sie 2008 an der Schwelle zur EU-Ratspräsidentschaft eines Nicolas Sarkozy zu hören waren, würden aus dem Munde von Hollande wie Kabarett-Einlagen klingen, die einen Hang zur Selbstparodie offenbaren. Die Finanzkrise lässt Paris inzwischen im Europakonzert einen eher kleinen Ton pfeifen und ganz verstummen, wenn die deutsche Kanzlerin Merkel in Sichtweite gerät.
Davon profitiert Marine Le Pen und sorgt für eine groteske Situation. Im Land eines Jean Monnet, Jacques Delors oder Valéry Giscard d’Estaing, die zu verschiedenen Zeiten dem europäischen Projekt mit Leidenschaft dienten, wird dasselbe heute vielfach zum Motiv, EU-Nihilisten zu wählen.
Als im Mai 1958 die IV. Republik wegen des Algerienkrieges und innerer Erosion der Agonie verfiel, war Charles de Gaulle zum nationalen Erlöser berufen. Die V. Republik braucht keine derartigen Heilsbringer. Sie kann sich sehr wohl selbst erlösen – sie muss es in den Augen von Millionen Franzosen nur wert sein, verteidigt zu werden.
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