Ein schlechter Kompromiss

Enttäuschung EZB-Präsident Draghi scheut vor eigener Courage. Nicht sofort wird die Bank auf dem Anleihemarkt aktiv, um Spanien und Italien zu helfen. Eine riskante Verzögerung
Mario Draghi scheint abzuwarten, bis ihm die Lage der Krisenländer recht gibt
Mario Draghi scheint abzuwarten, bis ihm die Lage der Krisenländer recht gibt

Foto: Daniel Roland / AFP / Getty Images

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hat den erhofften ultimativen Befreiungsschlag vertagt. Oder ihn sich bis auf weiteres ganz verkniffen. Vorerst wird es laut Mario Draghi keine Direkthilfen seines Instituts für Spanien und Italien geben. Deren Regierungen müssen über den Rettungsfonds EFSF oder einen künftigen ESM (Europäischen Stabilitätsmechanismus) gehen, um Hilfsgelder zu erbitten, mit denen dann neu emittierte Staatsanleihen aufgekauft werden. Erst wenn das passiert ist, will auch die EZB eingreifen, um alte Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu erwerben und so den Zinsdruck zu mindern.

Mit anderen Worten, die Zentralbank erzeugt eine künstlich gesteigerte Nachfrage und hofft, dies werde den genannten Staaten Preisnachlässe bescheren, falls sie neue Schulden aufnehmen beziehungsweise alte refinanzieren müssen. Der Kursverfall an den Börsen in Madrid und Rom unmittelbar nach der Sitzung des EZB-Rates vermittelt die Gewissheit: Damit wird es nicht getan sein!

Die EZB-Führung fürchtet offenkundig die eigene Courage und hat sich auf einen Kompromiss einglassen, bei dem Rücksichten auf Deutschland oberstes Gebot scheinen. Für Europas Zentralmacht gilt ein Axiom, an dem zu rütteln einem Sakrileg gleichkommt: Die Federführung von EFSF und ESM bei Hilfsmaßnahmen darf nicht angetastet werden, weil nur über diesen Weg hilfsbedürftige Staaten beauflagt und in ihrer Haushaltspolitik reglementiert werden können. Das hat bei Griechenland so perfekt funktioniert, dass dort zwischenzeitlich ein Staatsbankrott herauf dämmert.

Entrüstet und verbissen

Es geht bei allem Streit um Paradigmen der EZB in Wirklichkeit um einen Machtkampf und die Frage – wer hat die Federführung im Euro-Krisenmanagement? Die Hegemonie der deutsch-französischen Achse, die das ganze Krisenjahr 2011 dominiert und zum Fiskalpakt geführt hat, ist zerbrochen. François Hollande lässt sich um seiner Glaubwürdigkeit willen von der deutschen Kanzlerin nicht für deren Austeritätspolitik vereinnahmen. Das kommt der gesamten EU zugute, treibt Deutschland in die Einsamkeit und wird dort ohne die gebotene Contenance quittiert – entrüstet und verbissen.

So heftig und feindselig sind die EZB und deren Präsident noch nie aus dem deutschen Regierungslager und der Bundesbank angegriffen worden wie in den wenigen Tagen, seit Mario Draghi angedeutet hat, den Euro durch massive Interventionen seines Hauses stützen zu wollen. Was da hervorbrach, zeugt von der Wut des Patriarchen, dem Gehorsam verweigert wird und die Felle davon zu schwimmen drohen. Die CSU-Führung gefällt sich in aufgebrachter Hysterie, bei der nicht weiter interessiert, ob eine Institution wie die EZB daran Schaden nimmt.

Es ist mit Händen zu greifen, wie die Berliner Regierungsparteien Hegemonie beim Euro-Krisenmanagement beanspruchen. Dabei hat es zu bleiben, dem Fiskalpakt sei Dank! Die neben der ökonomischen Superiorität unverkennbar gewachsene politische Macht Deutschlands in Europa soll keiner wie auch immer gearteten Schuldengemeinschaft geopfert werden. Und eine EZB, die einen Teil der Staatsschulden Spaniens und Italiens übernimmt – und nichts anderes ist der Erwerb von Schuldverschreibungen – wäre ein Schritt in die kollektive Verantwortungsgemeinschaft, in der sich andere EU-Staaten von Deutschland emanzipieren können.

Die EZB als Anti-Brüning

Im Bestreben, der EZB dabei in den Arm zu fallen, manifestiert sich ein ökonomisches Denken, das es verdient, restaurativ, wenn nicht reaktionär genannt zu werden. Im Prinzip sind die CSU-Führung wie auch die Kanzlerin und ihr FDP-Wirtschaftsminister nicht weit über den einstigen katholischen Reichskanzler Heinrich Brüning hinausgekommen, der in den frühen dreißiger Jahren eine angeschlagene deutsche Wirtschaft durch seinen rigiden Austeritätskurs vollends ruinierte.

Brüning für Euroland – das kann nicht gut gehen. Geht es ja auch nicht. Die EZB gibt notgedrungen den Anti-Brüning. Sie wird zu einer Art Notdienst, die von der Politik verursachte Schäden reparariert. Diese Schäden entstehen durch die Ignoranz einer Wirtschaftsgeschichte, bei der man vor allem eines erinnern sollte: Sie wurde zum Türöffner eines faschistischen Obrigkeitsstaates. Auf Brüning folgten von Papen und Hitler.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden