Erst die Gessler-Hüte grüßen

Syrien Die Bundesregierung laviert und schwadroniert beim Thema Syrien, anstatt eine Intervention klar als unverantwortliche Aktion und gefährliches Abenteuer abzulehnen
Erst die Gessler-Hüte grüßen

Bild: US Navy

Es ist ein blamables Armutszeugnis für einen Politiker mit außenpolitischer Ambition und Expertise, ausgerechnet jetzt die UN „als Totalausfall“ zu attackieren. Sie sei „als Weltpolizist eben ein Totalausfall“, gab Philipp Mißfelder als außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag gerade im DLF-Interview zum Besten. Dies lässt auf ein auffallend schlichtes Verständnis der Weltorganisation schließen. Als „Weltpolizist“ war sie nie gedacht. Eher als „Weltgemeinschaft“, die sich um die „Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bemüht, wie es in Artikel 33 ihrer Charta heißt. Dazu stehen ihr als Mittel zur Verfügung: „Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen durch andere friedliche Mittel eigener Wahl“ (ebenfalls zitiert aus Art. 33). Welcher „Polizist“ hat das im Besteckkasten?

Diffuses Gerede

Wenn sich Mißfelder schon an solche Begrifflichkeiten wagt, sollte das Verdikt „Totalausfall“ verantwortungslosen Großmächte wie den USA, Großbritannien und Frankreich gelten, die eine Intervention gegen Syrien ostentativ vorantreiben, bevor es irgendeinen Befund der Waffeninspekteure gibt, die den mutmaßlichen Giftgaseinsatz vom 21. August bei Damaskus untersuchen. Immerhin hat Mißfelders Parteifreund Ruprecht Polenz erklärt, dass „eine Untersuchung der Vereinten Nationen von unabhängiger Seite wichtig“ sei. Daraus müsse hervorgehen, „a), ist Giftgas eingesetzt worden, und vor allen Dingen b), wenn ja, von wem?“ Erst dann sollte man über Reaktionen nachdenken. Der CDU-Außenpolitiker räumt gleichzeitig ein, dass es Situationen gäbe, in denen „von außen keine Möglichkeit bestehe, so zu intervenieren, dass es besser wird“, sondern der Konflikt nur „weiter entgrenzt“ werde.

Leider hat Polenz keinen Sitz im Bundeskabinett. Es gäbe dann wenigstens eine Stimme aus dem Regierungslager, die relativ klar vor den Risiken einer militärischen Selbstermächtigung von Franzosen, Briten und Amerikaner in einer leicht entflammbaren Gegend warnt. Außenminister Westerwelle gefällt sich dagegen bisher in einem diffusen Gerede, das auf einen leicht bellizistischen Sound wert legt, aber ausreichend schwammig bleibt, um jede Festlegung zu vermeiden. Hier eine Kostprobe: „Wenn sich ein solcher Chemiewaffen-Einsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denen gehören, die Konsequenzen für richtig halten.“ Welche sollten das sein? Wird sich die Regierung Merkel angesichts der Gewaltexzesse in Syrien und einer sich intensivierenden Einmischung von außen für eine Friedenskonferenz sowie ein Waffenembargo gegen alle Konfliktparteien und für alle EU-Staaten einsetzen. Oder wird sie Obama und Cameron zur Hand gehen, wenn die losschlagen? Mit den Patriot-Batterien in der Türkei ist man unter Umständen mittendrin im Schlamassel, wenn sich die syrische Armee bei einem Angriff zu Abwehrmaßnahmen oder Gegenschlägen entschließt.

Kultur der Zurückhaltung

Noch einmal aus dem Westerwelle-Statement vom 26. August: „Der Begrenztheit unserer Möglichkeiten kann man nicht dadurch glaubwürdig begegnen, eine interventionistische Politik zu predigen und die damit verbundenen Unwägbarkeiten und Gefahren zu übergehen.“ Bei aller verschlüsselt-verdrucksten Semantik kann man heraushören, dass sich die deutsche Exekutive keinen unnötigen Risiken aussetzen möchte, aber die Ansage scheut, dass sie eine Intervention weder für zwingend, noch für gerechtfertigt, geschweige denn für richtig hält.

Es gäbe gerade jetzt die Chance, eine unter Schwarz-Gelb verschämt vertretene Kultur der militärischen Zurückhaltung zu akzentuieren, wie sie bei der Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat durchschimmerte, als dort im März 2011 über die Libyen-Resolution votiert wurde. Man könnte ausnahmsweise auf jenen untertänigen Opportunismus verzichten, erst die Gessler-Hüte zu grüßen, indem man Obama, Cameron und Hollande gewähren lässt, um dann hinter vorgehaltener Hand Zweifel zu äußeren.

Wer eine Intervention für ein hochmütiges militärisches Abenteurer hält, kann das durch die Weigerung zum Ausdruck bringen, sich daran zu beteiligen. Besser und international hilfreicher wäre es, einem solchen Unternehmen energisch zu widersprechen. Von der Regierung Merkel ist das freilich nicht zu erwarten.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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