Fiskalunion oder -autokratie?

EU-Reform Kurz vor dem nächsten EU-Gipfel schockt Finanzminister Schäuble die Euro-Partner, weil er den EU-Währungskommissar zum Brüsseler Oberaufseher befördern will
In Versuchung bringen lässt sich der deutsche Finanzminister so gut wie nie - komme was wolle
In Versuchung bringen lässt sich der deutsche Finanzminister so gut wie nie - komme was wolle

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Schneller als gedacht wird das deutsche Bekenntnis zu Griechenlands Verbleib in der Eurozone politisch ausgepreist. Der Fall der Großschuldners verweist auf die Notwendigkeit einer Fiskalunion – Finanzminister Schäuble auf deren mögliche Hierarchien. Wenn er dem EU-Währungskommissar und damit der EU-Kommission in Gänze ein haushaltspolitisches Interventionsrecht gegenüber jedem Eurostaat einräumen will, hat man es mit dem zu tun, was gewöhnlich als „klare Ansage“ gilt: Die Fiskalunion soll ohne Souveränitätsverzicht der beteiligten Staaten nicht zu haben sein. So jedenfalls die deutsche Position. Und die hat bekanntlich Gewicht beim Euro-Krisenmanagement. Sollte passieren, was Schäuble vorschwebt, würde die Integration der Europartner gehörig Fahrt aufnehmen. Fragt sich nur, unter welchen Vorzeichen und mit welchem Ziel? Nationale Parlamente wären zu Statisten degradiert und dürften ihr Haushaltrecht bestenfalls im Schrein für historische Relikte bewundern.

Ohne Berufungsinstanz

Es geht nicht allein darum, dass EU-Instanzen ein Vetorecht bei Staatshaushalten, also der nationalen Finanzpolitik zugestanden wird. Die Frage lautet, was wird – was will diese Brüsseler Oberaufsicht mit solchen Interventionen bewirken? Wird die Euro-Stabilisierung weiter so betrieben wie bisher, setzt sich der oligarchische Staatsstreich gegen die sozialen Besitzstände der Völker in der Eurozone fort. Steuerrecht, Haushaltsplanung und Haushaltrecht werden mehr denn je in die Hände von Bürokraten gelegt, die sich an die Interessen der Gläubigerkartelle halten. Und das sind vorzugsweise Banken- und Banken-Kartelle. Wir hätten eine Gratwanderung zwischen Fiskalregime und Fiskalautokratie im Namen des Euro und der Euro-Rettung. Es entfiele die Berufungsinstanz für die Bevölkerung in den Euro-Staaten, die unter der Sparfuchtel zu leiden haben. An wen sollen sie sich wenden? Ihre Regierungen und Parlamente können sich auf das möglich Veto aus Brüssel berufen und kommen als Klagemauer nicht mehr in Betracht.

Es ist doch höchst aufschlussreich, dass Schäuble die Disziplinierung von Staaten vorantreiben will, während die Disziplinierung von Banken zeitlich weiter gestreckt wird. Erst hieß es aus dem Mund von EZB-Präsident Mario Draghi, man werde 2013 auf jeden Fall der Bankenunion und somit europäischen Bankenkontrolle nähertreten. Inzwischen kommt aus gleicher Quelle der Bescheid, frühestens (!) 2014 könne damit gerechnet werden. Also die Staaten und deren soziale Verantwortung an die Kandare nehmen, aber den Banken bei Risikotransaktionen weiter freie Hand lassen. Auch die ab Januar 2013 in Teilen umgesetzten Auflagen von „Basel III“ werden daran zunächst nicht ändern, gelten sie doch einer aufgestockten Eigenkapitalvorsorge, nicht jedoch der Legitimation von Eingriffen in die Geschäftspolitik von Geldhäusern.

Sicher, vorerst werden Schäubles Ideen Widerspruch, Abwehr und den Hinweis ernten, sie seien für die Euro-Staaten nicht verfassungskonform. Aber was ist zuletzt – zum Wohle des Euro – nicht schon alles an geltendem Verfassungsrecht vorbei lanciert worden? Der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und zum Fiskalpakt spricht Bände. Aber es ist letzten Endes sekundär, ob Schäuble den EU-Währungskommissar als obersten Sparpatron der Gemeinschaft in Stellung. Worauf es aus deutscher Sicht offenbar ankommt, dass alle Partner wissen, wie die Fiskalunion gedacht ist. Der Minister hat seinen Vorstoß gewiss nicht zufällig kurz vor dem nächsten EU-Gipfel unter die Leute gebracht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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