Gebt denen, die haben

Tabubruch Die US-Zentralbank hat es vorgemacht – nun nähert sich auch die EZB einem Leitzins um die null Prozent. Ob das die europäische Konjunktur rettet, erscheint zweifelhaft
EZB-Präsident Mario Draghi gibt das Geld mit vollen Händen aus
EZB-Präsident Mario Draghi gibt das Geld mit vollen Händen aus

Foto: Fredrik von Erichsen / AFP / Getty Images

Die Europäische Zentralbank (EZB) verschießt nicht ihr allerletztes Pulver, aber das Reservoir der Möglichkeiten ist augenscheinlich erschöpft. Der bisherige Leitzins war schon auf einem so niedrigen Niveau wie noch nie zu Lebzeiten der Währungsunion und hat trotzdem wenig bewirkt. Der Interbanken-Verkehr blieb rudimentär, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft befand sich auf keinem Höhenflug, die prekäre Situation der Geldhäuser in Südeuropa wurde nicht besser – faule Kredit im Portfolio bleiben faule Kredite. Sie können nicht abgelöst werden, weil eine aufgeblähte Immobilienwirtschaft nun einmal über Nacht kein Wunder erlebt und auf eine jäh wieder zahlungsfähige Nachfrage stößt.

Wird sich das mit einem Leitzins von 0,75 Prozent ändern? Bestenfalls kann mit billigen Geld Zeit gekauft werden, damit sich marode Banken über Wasser halten, bis staatliche Rettungsakte greifen oder malade Kreditnehmer wieder zu Kräften kommen.

Üppiger Kreditschub

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie sehr Europa am Abgrund steht und die Angst vor einer Depression umgeht – nicht einer Rezession, der viele Staaten bereits ausgesetzt sind –, dann wurde er mit dem erneuten Zinsschnitt durch die EZB erbracht. Es zeugt von Verzweiflung, wenn die Leitbank ihr Geld noch einmal billiger macht, als ob sie das nicht schon ausgiebig getan hätte. Genau genommen erleben wir den dritten Akt eines gigantischen Bankenrettungsaktes. Die Phasen eins und zwei gab es Ende Dezember 2011 sowie Februar 2012 mit einem höchst üppigen Kreditschub von etwas über einer Billion Euro (zunächst 489 Milliarden, dann noch einmal 530 Milliarden), aus denen sich zu einer Verzinsung von einem Prozent (!) und einer Laufzeit von drei Jahren Banken verproviantieren konnten. Annähernd 800 europäische Institute griffen zu.

Wer so günstig an Geld kam, das wenig kostete, konnte dasselbe vergolden, indem es Euro-Staaten angeboten wurde, die dringend Geld brauchten, weil sie neue Schuldentitel auflegen mussten, um alte refinanzieren zu können. Wie teuer das war, ist kein Geheimnis. Es reicht, sich einen Überblick zu verschaffen, welchen Zinssatz der spanische und italienische Staat in den vergangenen Monaten hinnehmen mussten, wenn Staatspapiere bei privaten Investoren – und das sind vorzugsweise Banken – unterzubringen waren. Wer die Differenz zwischen dem Kreditzins der EZB und den gegenüber den Schuldenstaaten erhobenen Zinsen errechnet, weiß um den Gewinn der Banken.

Mit anderen Worten, aus dem billigen Geldern der EZB wurden teure Anlagen verschuldeter Staaten, denen nichts weiter übrig blieb, als sich noch höher zu verschulden. Dieser Teufelskreis lässt sich seit mehr als zwei Jahren nicht durchbrechen – stattdessen werden seit mehr als zwei Jahren immer mehr Staaten und Gesellschaften in ihn hineingezogen. Denn die Anti-Krisen-Strategie einer europäischen Institution wie der EZB trifft auf Finanzmarktlogik und wird von den beabsichtigten Effekten her in ihr Gegenteil verkehrt.

Auffallend kümmerlich

Um dieses System vollständig darzustellen, sei ergänzt, dass bei der Liquiditätsschwemme vom Dezember bzw. Februar beispielsweise eine spanische Bank für den mit einem Prozent verzinsten EZB-Kredit spanische Staatsanleihen als Sicherheit hinterlegen konnte, die mit sechs oder sieben Prozent verzinst waren – das heißt, fünf oder sechs Prozent blieben in der Kasse dieser Bank, die damit rechnen kann, dass für diese Schuldverschreibung Zinsen und Tilgung fließen. Notfalls mit Finanzhilfen aus dem bisherigen EU-Krisenfonds EFSF oder künftig dem ESM.

Man halte sich vor Augen, wie kümmerlich gemessen am Kapitaleinsatz und der Zinspolitik der EZB das vor einer Woche beschlossene europäische Wachstumspaket mit seinen 120 Milliarden Euro daher kommt.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden