Die russische Diplomatie schien bisher unverdächtig, verdeckte Sympathien für die Obama-Administration zu hegen. Aber die muss es geben. Das von Außenminister Lawrow unterbreitete und von Damaskus mit getragene Angebot, die syrischen Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht zu vernichten, baut den Falken in Washington eine goldene Brücke, schmal, aber tragfähig. Wenn sie wollen, können sie wieder aus den Stiefeln steigen und hinter die rote Linie zurückkehren. Und das ohne allzu schmerzhaften Gesichtsverlust, auch wenn der generell für Obama und seine Umgebung nicht mehr zu verhindern ist. Zu unprofessionell und unbedacht wirkt das Krisenmanagement seit dem 21. August, seit dem mutmaßlichen Giftgas-Einsatz bei Damaskus.
Wenn nun der US-Prösident die amerikanische Drohkulisse lobt, weil sie Präsident Assad zum Einlenken gezwungen habe, sollte er zugleich das Bekenntnis ablegen: Gibt es einen friedlichen Weg, sämtliche Chemiewaffen von syrischem Boden zu verbannen, sollte er eingeschlagen werden.
Damit wäre eine realistische, vor allem konstruktive Option formuliert. Die Regierung in Damaskus hat bereits angedeutet, wieder UN-Inspektoren-Teams ins Land zu lassen. Überdies gäbe es in Den Haag die Organization for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW), die seit Inkrafttreten der Internationalen Chemiewaffen-Konvention im Jahr 1997 die Vernichtung der entsprechenden Depots in den Unterzeichnerstaaten verifiziert hat. Sie wäre prädestiniert, in Syrien ihr segensreiches Wirken zu entfalten so weit der Bürgerkrieg dies zulässt, soweit die Rebellen dies und soweit Amerikaner dies zulassen. Wenigstens räumt Präsident Obama ein, man könnte vor einem „signifikanten Durchbruch“ stehen.
Harry Reid handelt
Einiges spricht daher dafür, dass ein Angriff auf Syriens vertagt sein könnte und dem Weißen Haus eine peinliche Abstimmungsniederlage im US-Kongress erspart bleibt. Warum sonst hat Obamas Parteifreund Harry Reid als demokratischer Mehrheitsführer im Senat die dort angesetzte Probeabstimmung sofort annulliert, als sich die Syrien-Diplomatie plötzlich wieder freizuschwimmen begann?
Doch sei vor übertriebener Zuversicht gewarnt. Noch nie haben die USA seit 1990 nach einem militärischen Aufmarsch großen Stils wieder den Rückzug angetreten. Auch wirkt es wenig überzeugend, wenn US-Außenminister John Kerry Damaskus ein Ultimatum für die chemische Abrüstung stellt und sein Ministerium dies anschließend relativiert. Einmal mehr bestätigt sich der Eindruck, dass die US-Regierung nicht immer Herr ihrer Worte ist – eine alarmierende Erkenntnis, die fragen lässt, wie verhält es sich dann erst mit ihren Taten.
Der große Kommunikator Obama wirkt in diesen Tagen oft wie ein Gefangener seiner lockeren Rhetorik. Konsequenzen getroffener Aussagen werden unterschätzt oder zu spät erkannt. Das galt für die „rote Linie“, den unsäglichen Syrien-Ruanda-Vergleich oder die Option, der Kongress dürfe mitmachen, aber letzten Endes nicht mit entscheiden, da sich der Präsident notfalls über ein Veto gegen einen Syrien-Angriff hinweg setzen werde. Warum wurde dann der Kongress erst bemüht? Offenbar hat auch Kerry sein Ultimatum gegenüber Damaskus in dem Glauben serviert, Assad werde das sowieso ausschlagen. Man könnte getrost bei der eigenen Strategie bleiben.
Das Exil ist enttäuscht
Was auch immer in den nächsten Tagen passiert, es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass eine politische Reaktion Russlands und Syriens die USA zumindest veranlasst hat, ihre militärische Option zu überdenken – vielleicht vorübergehend oder ganz aufzugeben. Damit wäre ein Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg abgewendet, das so unmittelbar bevorstand wie noch nie.
Die Exilorganisationen des Anti-Assad-Lagers haben bereits enttäuscht reagiert, woraus geschlossen werden kann, dass sie sich im Rücken der Amerikaner einiges erhofft hatten, mindestens eine Schwächung der Assad-Armee. Durch Gewalt von außen den Bürgerkrieg zu entscheiden und einen Regimewechsel auszulösen, erweist sich mehr denn je als hoch riskantes Unterfangen, dem viele Staaten unwillig gegenüber stehen. Offenbar wächst deren Zahl, was einer diplomatischen Lösung nur dienlich sein kann.
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