Ohne Skrupel, ohne Erbarmen

Griechenland Da der Besuch von Angela Merkel viele Griechen nicht zu Freudentränen rührt, findet das Ereignis unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und dauert nur sechs Stunden
Anti-Merkel-Proteste in Athen
Anti-Merkel-Proteste in Athen

Foto: Louis Gouliamaki /AFP / Getty Images

Da hat man es doch mit einem beeindruckenden Beispiel für die Volksnähe der EU und ihrer Spitzenpolitiker zu tun – der Besuch der deutschen Kanzlerin in Athen braucht Polizeischutz, wird abgeschirmt und findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. So viel mobilisierte Sicherheit gab es an gleicher Stelle zum letzten Mal, als US-Präsident Clinton im November 1999 die griechische Kapitale besuchte. Er kam, um sich für die Unterstützung zu entschuldigen, die sein Land militärfaschistischen Obristen erwiesen hatte, als diese Griechenland zwischen 1967 und 1974 regierten.

Derart bußfertig wird Angela Merkel die Stunden in ihrem Gastland kaum verbringen. Gäbe es Grund dafür? Immerhin gilt sie vielen Griechen als Fiskaldiktatorin, die weder Skrupel noch Erbarmen kennt. Zehntausende von Demonstranten, die Gewerkschaften und linke Parteien wie Syriza und die KP werfen ihr vor, für schmerzhafte Verluste an Lebensstandard und -qualität verantwortlich zu sein. Gemeint sind die Kollateralschäden einer brachialen Krisenbewältigung, die in der EU – besonders für die von Merkel geführte Regierung – als alternativlos betrachtet wird. Deren Axiome lauten: Es gibt einen kollektiven Finanztransfer gegen den drohenden Staatsbankrott eines Eurolandes, sofern sich der potenzielle Bankrotteur der ökonomischen Selbstentleibung, einer ferngesteuerten Haushaltspolitik und dem steten sozialen Aderlass unterwirft. Zweitens – diese Hilfe gibt es nicht als solidarischen Beistand der anderen Euro-Länder, sondern als Hilfe zur kollektiven Selbsthilfe.

Teuer bezahlt

Der Währungsunion würde ein Auseinanderbrechen Worst-Case-Szenarien bescheren, die wahrscheinlich schon bei einem Euro-Exit Griechenlands drohen. Bei der deutschen Kanzlerin hat sich diese Annahme längst zur bösen Ahnung verdichtet, so dass seit Sommer konziliantere Töne gegenüber Athen angeschlagen werden. Egal, was ihr Vizekanzler von der FDP oder die CSU über ihren Finanzminister in Bayern zum besten gibt – vorerst soll die Eurozone zusammen bleiben. Man käme nicht glimpflich davon, müsste Athen seinen Abschied nehmen, sagen alle Experten. Nicht zu Unrecht grassiert die Angst – von anderen Folgen abgesehen –, könnten die Zinswogen der Gläubiger haushoch über Spanien. Italien oder Portugal zusammenschlagen und die Kapitalvorräte des neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) schneller aufbrauchen als befürchtet.

Insofern trifft es sich gut, dass der Griechenland-Abstecher Merkels mit der lange verzögerten Inauguration des ESM fast auf einen Tag fällt. Dessen Existenz kommt nämlich einem Versprechen gleich: Es wird genauso weitergehen wie bisher. Griechenland (und andere Staaten natürlich auch) muss für seine Rettung bezahlen, durch weiter schrumpfende Sozialausgaben (freilich nicht durch ein schrumpfendes Militärbudget, denn damit werden deutsche und französische Waffen gekauft), durch eine wachsende Steuerlast, die den Bürgern die Kauf- und Unternehmen die Investitionskraft nimmt und durch die Privatisierung auch des letzten Tafelsilbers, das der Staat in seinen Schatullen weiß. Griechenland war kaum je wettbewerbsfähig in der Eurozone – es wird nach dieser ökonomischen Kastration nie wieder wettbewerbsfähig sein. Das ergibt sich ganz einfach aus dem Wirken ökonomischer Gesetz und – ist politisch gewollt. Griechenland taugt zum warnenden Exempel, weil es seine „Rettung“ so teuer bezahlen muss.

Solch „Teufelszeug“

Man wird das Land durch Sparprogramme weiter knebeln, aber tut damit nichts für seine Gesundung, schon gar nichts für seine Konkurrenzfähigkeit. Stattdessen wird eine Jugendarbeitslosigkeit von 55 Prozent und eine allgemeine Erwerbslosigkeit von 24 Prozent festgeschrieben. Daran wird der ESM nichts ändern, denn in Kürze gilt die mit dem Fiskalpakt dekretierte Schuldenbremse, die Regierungen des Euroraums nur noch minimale Spielräume für solch „Teufelszeug“ wie eine eigene Konjunkturpolitik lässt.

Was da als Krisenpolitik betrieben wird, ist nicht anderes als Klassenkampf von oben. Darin besteht die Euro-Rettung, darauf reduziert sich derzeit die Europäische Idee oder was davon übrig blieb. Welchen Widerspruch und Widerstand das auslöst, davon kann sich Angela Merkel in Athen einen besseren Eindruck als in Deutschland verschaffen, wo willfährige Gewerkschaften bestenfalls murren, anstatt sich kraftvoll zu wehren.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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