Manchmal verdammt der Fluch des Daseins zur Wahrheitsliebe. So kann ein französischer Präsident, dem zu Hause die Gelbwesten zusetzen, der EU bescheinigen, sie sei aus Sicht vieler Bürger ein „seelenloser Markt“ und auch deshalb „in großer Gefahr“. Nachzulesen in einem Essay, der gerade die kontinentale Runde machte.
Man kann dieser Einsicht nur beipflichten und auf die allein logische Schlussfolgerung hoffen. Sie lautet, derzeit bietet die EU ihren Bürgern zu wenig sozialen Schutz, vielmehr müssen diese vor der EU geschützt werden. Dem plötzlich jakobinisch anmutenden Macron scheint diese Konsequenz bewusst, da er geltende Abkommen ändern will. Nimm dir die neoliberalen Dogmen des Lissabon-Vertrages als Erstes vor, möchte man ihm zurufen. Nur mit wem sollte erreichbar sein, was nottäte?
Deutschland war schon von Macrons Reformideen zur Eurozone nicht angetan, obwohl seit der Eurokrise unstrittig war, dass die Währungsunion eine Inventur braucht, um ein Auseinanderdriften konkurrierender Ökonomien unterm gleichen Währungsdach aufzuhalten. Allerdings tendiert das deutsch-französische Verhältnis längst zur Partnerschaft ohne Parität, wofür es vor allem einen Grund gibt: Ob mit oder ohne EU wird Deutschland dank seiner Handelskraft stets europäische Führungsmacht bleiben. Frankreich muss ohne europäischen Anker zurück ins Glied, es hat in der EU nur als politische Führungselite eine Chance, was sich erledigt hat, sollte das vereinte Europa erledigt sein. Damit das allen Vorzeichen zum Trotz unterbleibt, will Macron ein Aktionsprogramm zu den „drei Ambitionen“ Freiheit, Schutz und Fortschritt auflegen, womit u. a. an eine Agentur zum Schutz der Demokratie gedacht ist.
Überzeugen wird das kaum, weil wieder regulatorischer Ordnungseifer durchschimmert, der die EU so unbeliebt macht und in Osteuropa auf wenig Gegenliebe stößt. Dort grassiert der Wille zu mehr Selbstbestimmung, sei es in Warschau, Budapest, Bratislava oder anderswo. Je ungehaltener dies als Nationalismus verachtet wird, desto weniger wird die EU zu halten und von der Schicksalsfrage erlöst sein: Erreicht Europa nach dem Transit seines östlichen Teils gen Westen wieder festes Ufer? Dazu hat Macron so gut wie nichts gesagt, die Europawahl im Mai dürfte da beredter sein.
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