Israel hat mit einem intakten syrischen Staat in permanenter Feindschaft gelebt. Aber die war berechenbar und vor jähen Wendungen einigermaßen sicher. Es gab so etwas wie eine konfrontative Koexistenz – und eine auf beiden Seiten respektierte Hemmschwelle, sich in keine neuen militärischen Konflikte zu stürzen. Weder sollte eine Wiederholung des Sechs-Tage-Krieges von 1967, der zum Verlust der syrischen Golan-Höhen führte, noch des Oktoberkrieges von 1973 riskiert werden, der fast zur Rückeroberung dieses Höhenzuges durch die Syrer führte. Aber eben nur fast. Im Dezember 1981 hat Israel dieses Territorium offiziell annektiert.
Kalter Frieden
Seither gab es zwischen Damaskus und Tel Aviv bzw. Jerusalem das stillschweigende Agreement, ändern lässt sich dieser Zustand nur durch Verhandlungen und einen Friedensvertrag, wenn es die Interessen beider Staaten zulassen, sich auf diese Weise anzunähern. Als in Damaskus noch eine handlungsmächtige Regierung saß, ist es trotz gelegentlicher Versuche – unter anderem moderiert von der Türkei – nie zu einem derartigen Ausgleich gekommen. Dennoch schienen sich Syrien und Israel in einem zwischen ihnen geführten kalten Krieg auf einen kalten Frieden verständigt zu haben, obwohl sie kaum je direkt miteinander sprachen. Auch gab es Situationen, in denen sich Ambitionen und Ziele nicht vollends oder grundsätzlich widersprachen.
So hat Syrien zu Beginn einer jahrzehntelangen Präsenz als Ordnungsmacht im Libanon objektiv israelische Interessen bedient. Durch ein Eingreifen in den dortigen Bürgerkrieg während der frühen achtziger Jahre sorgte die syrische Armee dafür, dass die Bäume der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die damals ihr Hauptquartier in Beirut hatte, nicht in den Himmel wuchsen. Eine der Konsequenzen bestand darin, dass die palästinensische Führung unter PLO-Chef Yassir Arafat Beirut im Spätsommer 1982 räumen und in das von Palästina weit entfernte Tunis ausweichen musste.
Dieser Partner einer nicht existierenden Partnerschaft geht Israel seit März 2011 – seit Beginn der inneren Unruhen in Syrien – Stück für Stück verloren. Ein in die Agonie driftender Staat, der ein kolossales Machtvakuum hinterlassen kann und ebenso kolossale Waffenarsenale, von denen niemand weiß, wer darüber demnächst verfügt, ist für Israel ein Sicherheitsrisiko, wie es das Assad-Regime – verkörpert von Vater Hafiz oder Sohn Bashar – nie war.
Alarmierende Aktion
Wer sich das vor Augen hält, wird zu dem Schluss kommen: Genau genommen ist es völlig sekundär, ob am 31. Januar das Militärforschungszentrum CERS nahe Damaskus oder ein Waffenkonvoi unterwegs in den Libanon – bestimmt für die Hisbollah und möglicherweise bestückt mit Flugabwehrraketen – von der israelischen Armee aus der Luft attackiert worden ist. Gab es diese Operation – egal wo und gegen wen – dann deutet sie das Ende bisheriger Zurückhaltung im syrischen Bürgerkrieg an. Mit der Auswahl des Angriffsziels wurde Partei ergriffen. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah steht als Alliierter ebenso zu Bashar al-Assad wie die Regierung in Teheran. Einem dieser Verbündeten schaden, heißt den syrischen Staatschef schwächen. Es könnte auch heißen, durch eine Militäraktion wie die vom 31. Januar bewusst die Gefahr eines Flächenbrandes heraufzubeschwören, um die externen Paten des syrischen Desasters – die USA, die westlichen Staaten überhaupt, die Golfländer die Arabische Liga und die Vereinten Nationen sowie Russland und China – mehr zum Handeln zu zwingen als zu drängen. Auf israelischer Sicht ist ein schwaches oder ökonomisch kollabierendes Syrien keine existenzielle Herausforderung – ein politisch und vor allem militärisch in seine Einzelteile zerfallender Front- und Feind-Staat schon.
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