Nehmt euch nicht zu wichtig

Denkanstoß. Der schleichende Niedergang der Sozialdemokratie offenbart die kollektive Unfähigkeit heutzutage, ernsthaft an einer besseren Welt zu arbeiten.

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Ob Big Data oder nun NAFTA: ständig ist die Zivilgesellschaft gefordert, Demokratie und Bürgerrechte zu verteidigen und das Frisieren von sozialen Errungenschaften zu verhindern. Meist nur mit mäßigem Erfolg. Aber wie ist Fortschritt noch möglich, wenn wir uns andauernd in der Defensive befinden und uns mit Angriffen auf die zivilisatorischen Errungenschaften herumschlagen müssen?

Das Manko der emanzipatorischen Bewegungen in der heutigen Zeit ist, dass sie geeint sind in der Ablehnung etwas bestimmten gegenüber, sich am Punkt der Alternative aber im Sande verlaufen. Occupy hat diese Unfähigkeit emanzipatorischer Bewegungen zu Alternativen eindrucksvoll bewiesen. Während der Protest gegen den entfesselten Finanzkapitalismus Zigtausend weltweit auf die Straßen trieb, verschwand die Bewegung durch die Ablehnung von gemeinsam getragenen Alternativen genauso schnell, wie sie entstand.

„Politik ist immer das Resultat von positiven Vorschlägen und Vorstellungen, nicht von Negation und Ablehnungen“, schrieb Alain Badiou kürzlich (der Freitag, 17.10.2013). Doch in der heutigen Zeit beobachtet man kaum noch jemanden, der bereit ist, kollektiv für eine große Idee zu kämpfen. Zu groß die Überbetonung des Individuellen. Zu stark die Egozentrik. Zu gering die Bereitschaft, den Widerspruch zwischen den gemeinsamen und den eigenen Vorstellungen auszuhalten. Insbesondere die Sozialdemokratie hat damit zu kämpfen – nicht erst seit heute. Parteiaustritte und Abspaltungen nach schwierigen Entscheidungen haben die Bewegung immer nur geschwächt. Das ein oder andere Gewissen mag gereinigt daraus hervor gegangen sein, aber in Wirklichkeit hat man den Anspruch auf Veränderung aufgegeben. Schlimmer noch: auch wenn einige Abtrünnige der Illusion erlegen sind, in einer neugegründeten Partei oder völlig außerhalb von Parteistrukturen mehr erreichen zu können, so werden sie dort vielleicht die ein oder andere Schlacht gewinnen, der Krieg ist aber perspektivisch so gut wie verloren.

Illusion deshalb, weil eine Partei immer noch die effektivste Organisationsform ist, um die Kraft und die Ideen von Menschen mit ähnlichen Werten und Zielen zu bündeln und in die Parlamente zu tragen. Je größer die Partei, umso größer die gebündelte Kraft um die gemeinsamen Ideen zu verwirklichen. Natürlich erweitert sich das politische Spektrum einer Partei mit zunehmender Mitgliederstärke und damit wird auch mehr Kompromissbereitschaft von jedem einzelnen Mitglied verlangt. Jedoch sollten wir uns selbst vielleicht nicht all zu wichtig nehmen. Was nicht bedeutet, uns selbst zu verleugnen oder stumpf der Masse zu folgen. Es bedeutet lediglich, dass wir trotz berechtigter Kritik den Konsens mittragen sollten. Denn der Konsens über die gemeinsamen Ideen einer Partei ist im Werden und Resultat eines stetigen wenn auch zähen Diskurses, konstruktive Kritik ist dafür essentiell. Verstummt diese innerparteiliche Kritik aufgrund von Parteiaustritten, erlahmt auch der Diskurs als Korrektiv des Konsenses. Die Partei verarmt nicht nur inhaltlich, sondern verliert auch ihre Schlagkraft. Nun darf man eines nicht vergessen: Keine Macht. Kein Gestaltungsvermögen. Keine Veränderungen. Die emanzipatorischen Bewegungen haben nur ein mächtiges Mittel gegen die Macht der Privilegien, die sie bekämpfen: Geschlossenheit. Aber ausgerechnet an einer kritisch-solidarischen Geschlossenheit mangelt es ihnen immer genau dann, wenn man jene am dringendsten bedarf. Das ist Grund, warum die emanzipatorischen Bewegungen - insbesondere die Sozialdemokratie - in der heutigen Zeit umher irren und der neoliberalen Ideologie nichts Ernstzunehmendes entgegen zu setzen haben.

Es reicht nicht nur recht zu haben, man sollte auch etwas verändern wollen. Das sollte auch der Anspruch eines jeden emanzipatorisch Denkenden sein. Das Errungene – und nicht das Scheitern – ist der Maßstab des Erfolgs. Und um das bisher Errungene nicht nur zu verteidigen, sondern noch mehr zu erringen, hilft es nicht weiter, sich gegenseitig Verrat oder Spalterei vorzuwerfen, sondern da hilft nur eines: kritisch-solidarische Geschlossenheit.

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