Auf der Suche nach politischer Heimat

Piratenpartei Ist die politische Heimat vielleicht ein Wanderzirkus? Beim Piratentreff im Neuköllner Kinskiklub versuche ich herauszufinden, wo es mich hin zieht.

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Ich bin eigentlich seit Jahren auf der Suche nach so etwas wie politischer Heimat. Bislang hat sich das auf die Frage „Was wähle ich?“ erstreckt, und machte mich zum linken Wechselwähler – SPD, Grüne, Linke habe ich dabei schon gewählt. Aber da ich mich nun auch seit geraumer Zeit wirklich gerne in einer Partei engagieren würde, nagte die Frage, für welche ich mich entscheiden soll, immer mehr an mir. Und dann diese Prokrastination. Erst mal Studium fertig machen. Erst mal einen Job finden. Erst mal umziehen. Nun ist das Studium fertig. Ich habe einen Job und bin umgezogen. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Auf der Suche nach der politischen Heimat fahre ich also quer durch Berlin zum Kulturverein Kinski in Neukölln. Dort findet jeden Dienstag ein Kennenlernabend der Berliner Piraten statt. Nachdem mich SPD und Grüne über die letzten Jahre zu oft enttäuscht hatten und die Linke mich zuletzt mehr nervte als begeisterte hatte ich mich entschlossen, die Piraten mal näher zu betrachten. Meine Hoffnung dabei: Hier verlangt keiner von mir, mich sofort und total auf ein Parteiprogramm einzuschwören. Hier muss ich meine Meinung nicht an Vorgaben orientieren. Hier kann ich vielleicht einfach sein, wer ich bin, denken, was ich will. Viele Hoffnungen also.

Und nun stehe ich da, auf der Friedelstraße in Neukölln, gegenüber dem Kinskiklub. Oder besser, dem Gebäude, das ich dafür halte, so richtig gut zu erkennen ist das nicht. Vor dem Gebäude stehen einige Leute, rauchen, trinken Bier und Club Mate. Einer trägt ein T-Shirt mit Piraten-Logo. Aha, hier bin ich wohl dann richtig. Aber irgendwie habe ich mir bis zu dieser Sekunde keine Gedanken darüber gemacht, was ich mache, wenn ich erst mal da bin. Ich war mit Routenplanung beschäftigt. Und bin dummerweise etwas schüchtern. Zumindest bin in kein Mensch, der sich gerne aufdrängt. Und diese Gruppe Menschen steht dort sehr vertraut zusammen, und ich komme mir vor wie ein Eindringling. Ich gehe über die Straße stehe kurz neben der Gruppe herum, schaue die efeubewachsene Fassade an. Ich frage, ob ich hier richtig im Kinskiklub bin. „Ja.“ Lautete die einsilbige Antwort, anschließend werde ich ignoriert. Hier muss man wohl doch mit der Tür ins Haus fallen. Hm. Nicht so mein Ding. Ich gehe also in den Klub. Der erste Raum ist vielleicht 12m² groß, leer und dunkel. Blasse Wände, abblätternder Stuck, alte Möbel und zwei Bilder von Klaus Kinski. Eine Atmosphäre zwischen Rock-Keller und Abrisshaus. Gefällt mir.

Hinter einem Durchgang gibt es auf der rechten Seite eine kleine Bar. Langsam näher ich mich den vier Personen, die dort stehen, zwei vor der Bar, zwei hinter der Bar. Ich verfluche meine Unfähigkeit einen „Hallo da bin ich“-Auftritt hinzulegen. Ich brauche im Grunde nur eine kleine Ansprache. Nur ein „Und, zum ersten Mal hier?“, dann wäre das Eis gebrochen und ich wäre nicht mehr befangen. Und irgendwie hatte ich das von so einem Kennenlerntreffen auch erwartet. Aber so fühle ich mich unbefugt hier zu sein. Ich ordere völlig phantasiefrei ein Club Mate. Stehe kurz an der Bar, aber irgendwie führt das auch zu nichts. Ich gehe zurück in den Vorraum. Eigentlich würde ich gerne raus gehen und eine Zigarette rauchen. Aber da stehe ich dann wieder daneben. Vielleicht bin ich einfach viel zu früh da? Ich setze mich im Vorraum hin und warte mal ab was passiert. Mein Handy hat keinen Empfang. Bis ich mich ins Piraten-W-Lan einwähle. Zumindest Twitter, jetzt. Ab und an laufen Leute hin und her. Manche lächeln kurz, die meisten scheinen mich nicht wahrzunehmen. Herrgott wieso bin ich nicht proaktiver? Furchtbar. Ich komme mir immer falscher vor. Wenigstens läuft gute Musik. Offspring, Prodigy, die alten Sachen.

Eine Viertelstunde später kommen die Leute, die draußen standen, langsam rein, und setzen sich ebenfalls in den vorderen Raum. Irgendetwas soll wohl jetzt hier passieren. Ein großer, adrett gekleideter junger Mann mit Brille, von dem ich denke, dass ich ihn kennen müsste, stellt sich in die Ecke bei der Tür, sein Handy in der Hand. Ein älterer Mann sitzt nun mit ein paar Blatt Papier auf einem Barhocker, den anderen Stühlen und Sesseln gegenüber. Ob er aufgeregt sei. Ja, ein bisschen. Was passiert denn nun hier? Der junge Mann mit der Brille an der Tür ergreift nun das Wort, heißt uns, das sind genau vier Leute, willkommen. Erklärt dass sich nun die beiden Michaels vorstellen würden und wir sie anschließend befragen könnten. Der erste Michael ist wohl der Herr auf dem Barhocker. Er kandidiert für das Amt des Schatzmeisters im Landesverband. Oder Landesvorstand? Auf jeden Fall Schatzmeister. Er hat drei Minuten Zeit, sich vorzustellen. Er ist tatsächlich etwas aufgeregt. Er erzählt, was er bisher so gemacht hat (verschiedene Squads, das sind wohl Arbeitsgruppen bei den Piraten). Er ist Maschinenschlosser, oder etwas ähnliches, ich bekomme das nicht ganz mit, weil mich die Leute, die nun erscheinen, ablenken. Der Raum wird voller. Der Schatzmeister-Michael hat auch seinen Meister und seinen Betriebswirt gemacht, kennt sich also mit Bilanzen aus. Rechts und links von mir sitzen nun zwei weitere ältere Herren. Wobei diese nicht zwingend „ältere Herren“ sind, nur älter als ich, was nicht so schwer ist. Ich trinke mein Club Mate.

Der Schatzmeister-Michael macht einen sympathischen Eindruck. Er betont, dass er weiß dass er ins Gefängnis muss, wenn er als Schatzmeister Mist baut. Es folgt die Fragerunde. Mittlerweile sitzen auf dem Sofa neben dem Barhocker weitere junge Männer. Sie wirken auf irgendeine Weise professioneller als die anderen Anwesenden. Vielleicht weil der Moderator mit dem Stoppuhr-Handy in der Hand, sie offenbar mit Namen kennt. Sie stellen Fragen. Seltsame Fragen, wie ich finde. Ob sich der Landesvorstand zum gerade stattgefundenen Rücktritt von Katja Dathe äußern solle (nein, soll er nicht, der Landesvorstand ist Organisator und kein Sprachrohr, so Michael). Was er, Michael, tun würde, wenn er, der Fragesteller, fordern würde, Holocaustleugnung straffrei zu stellen. Ich bin erstaunt. Das klingt nun wirklich absichtlich fies. Michael ist erkennbar aufgeregt. Die Holocaustfrage wirkt wie ein gestelltes Bein. Michael sagt, da solle er dann mal in die Geschichtsbücher gucken, was man dann halt so erst mal sagt. Der Fragesteller hakt nach. Was er konkret machen würde. Michael eiert ein wenig rum, dass er mit solch einer Gesinnung nichts anfangen könne, und endet bei einem Parteiausschlussverfahren. Der Fragesteller scheint zufrieden und merkt an, dass dieses Verfahren kaum Aussicht auf Erfolg haben würde. Michael betont noch mal, dass er weiß, dass er ins Gefängnis muss, wenn er was falsch macht. Das scheint ihn insgesamt am meisten zu beeindrucken, habe ich das Gefühl. Alles wirkt reichlich skurril auf mich. Da stellt sich also ein augenscheinlich ganz netter und zumindest mit Bilanzen betrauter Schatzmeisterkandidat vor und er muss Fragen zu Holocaustleugnung und Rücktritten in Berlin-Mitte abgeben. Er tut mir ein wenig leid.

Anschließend stellt sich der zweite Michael vor. Der zweite Michael trägt ein orangefarbenes Piratenshirt. Es wird sich nach wenigen Minuten hervorragend mit seiner Gesichtsfarbe beißen. Dieser Michael ist Politologe, versteht sich als eine Art teilnehmender Beobachter und möchte daher ganz viel machen. Er ist Fraktionsvorsitzender in einer Bürgerversammlung, in welcher, bekomme ich nicht ganz mit. Dieser Michael kandidiert für alles, außer Schatzmeister. Er war jahrelang Entwicklungshilfe leisten in Asien, und als er zurück nach Deutschland kam, wurde er sofort Pirat. Einer der professioneller wirkenden Sofa-Piraten neben Michael fragt, was es denn damit auf sich hätte, dass Michael auf seiner Wikipediaseite fordere, die Partei zur Kaderpartei zu machen. Ich stutze. Piraten? Kaderpartei? Michael legt los. Im Verlauf dieses Monologs färbt sich sein Gesicht wie schon erwähnt feuerrot. Er wird laut, schreit fast. Er steigert sich sehr rein in den Gedanken, dass die Piraten, die mehr machen auch mehr Macht haben müssten. Sie müssten eine Richtung vorgeben dürfen. Das kommt mir wie das Gegenteil von Piratenpartei vor. Auf andere Fragen reagiert Michael ähnlich laut und gesichtsverfärbt. Es ist anstrengend, ihm zuzuhören, selbst wenn die Fragerunde nur 20 Minuten dauert. Ja, der Vorstand müsse sich zum Rücktritt von Katja Dathe äußern. Er sei ein Sprachrohr, müsse beruhigen, motivieren. Wie hoch er den Arbeitseinsatz für die Piraten einschätzt? Wie das zu seinem restlichen Leben passe? Michael ist „Vollzeitpirat“, er lebe so eine Art Experiment mit 1000 € Grundeinkommen, die er für seine Tätigkeit in der BVV bekommt. Aha. Komisch, dieser Michael sieht aus wie ein Pirat, der andere Michael hörte sich aber inhaltlich piratiger an. Irgendwann ist die seltsame Befragung dann vorbei, und man verstreut sich ein wenig. Der Mann neben mir spricht mich an. „Wie lange bist Du schon bei den Piraten?“ – „Ich bin heute das erste Mal hier“-„Achso, ich auch.“ Er spricht den Mann neben mir an. Wie lange er schon dabei sei, aber auch er ist heute das erste Mal hier. Ebenso das Mädchen, was wiederum neben ihm sitzt. Sie begleitet mal ihren Freund, der ist schon seit 4 Monaten dabei. Da sitzen wir also, und fühlen uns offenbar alle etwas verloren. Wir tauschen uns darüber aus, warum wir hier sind, wie wir die Kandidaten fanden. Irgendwann spricht das Mädchen einen der Piraten an, ob man uns nicht mal ein bisschen was erzählen könnte, wir seien alle zum ersten Mal da. Peter Hollitzer alias @universalschema setzt sich zu uns und fängt an zu erzählen. Was er erzählt ist nicht neu, aber interessant. Er springt durch verschiedene politische Themen, erklärt die Piraten, aber das ganze wird mehr und mehr zum Monolog. Ich versuche mich in Zwischenfragen, Anmerkungen, aber so richtig kann ich nicht einsteigen. Die anderen sagen gar nichts. Das Mädchen hat sich schon wieder abgewandt. Hollitzer kann gut reden, und tut das auch. Wir kommen zum Thema Quote. Die hält Peter Hollitzer für völligen Quatsch, es dürfe keine Rolle spielen, wer welches Geschlecht habe. Als einzige verblieben Frau in der Runde muss ich jetzt aber auch mal was sagen dürfen, finde ich, und merke an, dass die Regeln nur post-gender funktionieren würden, wenn die Situation post-gender ist. Was sie meiner Meinung nach eben nicht ist. Ich sage, dass ich mir nicht aussuchen könne, ob ich als Frau wahrgenommen und beurteilt werde oder nicht. Der Mann neben mir sagt, dass es ihm als Mann aber doch genau so geht. Guter Punkt.

Simon Weiß, also @pfadintegral betritt das Kinski. Das Mädel neben uns quatscht ihn an, wie lange er denn schon dabei sei. Simon Weiß ist einer der jüngsten Anwesenden, wahrscheinlich vermutet sie in ihm daher jemanden in der gleichen Situation wie sie selbst. Es ist ein bisschen, wie einem Auffahrunfall in Zeitlupe zuzuschauen. Oder „Pastewka“ zu gucken. Niemand muss wissen wer Simon Weiß ist. Aber es ist trotzdem lustig zu beobachten, wie er sich ein wenig windet. Er scheint selber nicht ganz zu wissen, wie er zwischen Understatement und Überheblichkeit durch dieses Gespräch kommen soll. Er zieht sich ein wenig zurück, sagt, er säße ja im Abgeordnetenhaus und so. Hollitzer ist mittlerweile beim Thema Schubladendenken, dass es ja in der Partei kein „links“ und „rechts“ gäbe, dass die alten Etiketten in der Partei nicht vorkämen. Hm. Ich erzähle von der spontanen Liquid-Feedback-Umfrage bei der Diskussionsveranstaltung mit Schlömer und Kipping, wo sich viele Piraten als „eher links“ bezeichnet hatten. Wie er das einordne, hätten diese Piraten einfach eine falsche Vorstellung von links? Er erklärt, dass es da ein Außeinanderklaffen zwischen dem alten Begriff Links (Staatssozialismus) und dem neuen Begriff Links (Verteilungsgerechtigkeit, nicht nur monetär) gäbe. Aha. Da muss ich dann aber doch mal einhaken. Grundeinkommen, Verteilungsgerechtigkeit – wo soll denn eigentlich das Geld herkommen? Ja, das wäre ja das Schöne an den Piraten. Wenn ich mich für Gegenfinanzierung interessiere, könne ich ja in einer entsprechenden Squad mitarbeiten. Hm. Was denn seine Idee wäre, wie das alles zu finanzieren sei? Es folgt ein System, das ich nicht ganz verstehe. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen keine Sozialbeiträge mehr. Dafür muss dann der Arbeitgeber insgesamt viel weniger ausgeben. Dadurch sinken die Preise. Und die Krankenschwester hat nach wie vor ihre 2000€ Netto. 2000€ Netto? Eine Krankenschwester? Interessante Theorie. Ich frage woher dann die Sozialkassen finanziert werden, aber so richtig komme ich nicht durch, vielleicht versteh ich es aber auch einfach nicht richtig.

Das Mädchen hat mittlerweile die weitgehend monologisierte Situation bemerkt, und versucht sich als Retterin, indem sie uns fragt, aus welchen Bezirken wir denn kommen. „Neukölln“, „Prenzlberg“, „Reinickendorf“ antworten wir, und dann möchte Peter Hollitzer aber doch noch mal einhaken. Und ich bin auch zu feige, um gegen diese Gesprächsstruktur aufzubegehren. Und weiter geht’s. Nach etwa 90 Minuten möchte Hollitzer nun aber doch mal rausgehen. Die Herren links und rechts von mir verabschieden sich, ich beschließe, auch langsam den Heimweg anzutreten. Ich verabschiede mich, verlasse das Kinski und schlendere zu meinem Fahrrad.

Ein interessanter Abend. Sehr skurriler Anfang. Ich fühle mich von Hollitzer zwar etwas zugetextet, aber was er gesagt hat, war auf jeden Fall informativ. Während ich durchs nachthelle Kreuzberg nachhause fahre, denke ich darüber nach, ob ich nächste Woche wieder hin fahren soll. Und, ob ich über den Abend überhaupt schreiben kann, oder schreiben sollte. Ich komme mir bei dem Gedanken, den Abend zu verbloggen, etwas maulwurfig vor. Aber was soll’s. Das ist schließlich nur Transparenz.

Ob ich politische Heimat gefunden habe weiß ich nicht. Im Moment macht das ganze eher den Eindruck eines politischen Wanderzirkus. Aber vielleicht ist es doch genau das was ich suche. Kein Ort, sondern die Menschen. Vielleicht werde ich mir ein Zelt zulegen müssen.

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Geschrieben von

Maengelwesen

Anika Mangelmann / @Fumuckel

Maengelwesen

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