In der Trotzphase

Piratenpartei Die Piraten stehen am frühen Wendepunkt: weiter in der Trotzphase, oder auf zu neuer Profilschärfe?

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Und dann war der Balken plötzlich weg. War eben noch, in der ARD, ein kleiner, schrumpfender Piratenbalken zu sehen, war man im ZDF schon nur noch „Sonstige“. Das Entsetzen hielt sich in Grenzen, in der Jägerklause in Berlin, als man über die Großleinwand den Wahlabend in Niedersachsen verfolgte. Entsetzter über das eigene Abschneiden war man über die spektakulären Ergebnisse der FDP. Das eigene Ergebnis kam wenig überraschend. Die eigene Partei im „Sonstige“-Balken verschwinden zu sehen, tat dann aber doch weh.

Was war passiert? Nach den furiosen Erfolgen in Berlin, NRW, dem Saarland und Schleswig-Holstein sprang der Funke in Niedersachsen einfach nicht über. Zu ländlich, die inhaltslosen Plakate, der Spitzenkandidat – viele Gründe für das schlechte Abschneiden wurden diskutiert. Das Kern des Problems könnte aber ein anderes sein: Während die Piraten gerne der Proxy, das Sprachrohr für die Menschen sein wollen, die Partei, die selbst ihre Stimme abgibt, und zwar an jeden Bürger, der seine Stimme selbst verwenden will, will der Bürger das vielleicht gar nicht. Beteiligung ist anstrengend. Beteiligung ist aufwändig. Beteiligung ist vor allem ungewohnt. Das A-B-C-oder-D-Ritual, aus vorhandenen Lösungen auszuwählen, funktioniert nicht nur bei Jauch. Wer 100 verschiedene Marmelade-Sorten anbietet, verkauft weniger als derjenige, der drei anbietet. Auswahl überfordert, je geringer die Anzahl der Varianten, desto höher die Entscheidungsfreudigkeit. „Trau keinem Plakat – informier Dich selbst“ – das ist ein hehres Ziel, ein frommer Wunsch, aber das positive Menschenbild, das dahinter steht, geht wohl zu weit an der Realität vorbei, als dass es wirklich auf fruchtbaren Boden fallen könnte.

Die Piraten treten an, mit dem Ziel, Bürgerbeteiligung, Transparenz, mehr Demokratie zu verwirklichen. Aber: ist das eigentlich wirklich das, was gewünscht wird? Will die breite Mehrheit wissen, was in einer Fraktionssitzung vor sich geht, wie Verträge zwischen Staat und Privatwirtschaft zustande kommen? Will die breite Masse der Bevölkerung sich beteiligen? Oder sind die Piraten dann doch auch, wie alle anderen Parteien, ein Stück weit Klientelpartei – für diejenigen, die sich beteiligen wollen? Wahre Basisdemokratie bedeutet, dass alle sich beteiligen müssten. Wie in dem utopischen „Vollkommenen Markt“, den die Volkswirtschaftslehre zur Komplexitätsreduktion von Ursache-Wirkung-Zusammenhängen heranzieht, müsste dafür eine Bevölkerung vorhanden sein, die vollständig informiert ist, deren Entscheidungen nicht durch Irrationalität beeinflusst werden. Teilnehmerdemokratie sieht da schon anders aus: wer sich beteiligen will, kann das tun. Das setzt zumindest eine gewisse Motivation voraus, sich zu informieren, eine Meinung herauszubilden. Demokratie an sich setzt aber auch das Anerkennen von Mehrheiten voraus, auch wenn sie nicht dem eigenen Wunsch, der eigenen Meinung entsprechen. Das ist für eine Partei, die die Pluralität, die Vielfalt und die Zwanglosigkeit, die Unabhängigkeit des Einzelnen hochhält, schwer zu realisieren. Klare Linien sind problematisch. Die Piraten sind angetreten, das System zu reformieren, ein Update für die Demokratie zu bieten, Alternativen zum herrschenden Politikstil zu entwickeln. Wer eine Meinung hat, ist willkommen, sie anzubieten, sie in Anträge zu gießen, beschließen zu lassen. Das ergibt eine Meinungsvielfalt, die attraktiv ist, besonders für Menschen, die sich nicht einreihen wollen, die nicht linientreu sein wollen. Die Piraten fungieren als Spielplatz, für viele, die sich austoben, ausprobieren wollen. Dabei tauchen immer wieder Positionen auf, die, obwohl eindeutig nicht mehrheitsfähig, weder in der Partei, noch in der Bevölkerung, so laut vorgetragen werden, dass sie die wenigen gemeinsamen Nenner überstrahlen. Gemeinsame Nenner sind rar, man tut sich schwer, sich auf Positionen zu einigen. Piraten sind angetreten, die herrschenden Zustände nicht mehr anzuerkennen. Das Problem dabei ist, dass auch die selbstgeschaffenen Zustände oft nicht anerkannt werden. Ein Beschluss killt in dieser Partei nicht die Diskussion, ein Beschluss befeuert diese eher noch, und so zerrinnt jeder einigende Effekt. Jede Position, die nach außen vertreten werden könnte wird innerparteilich so lange zerpflückt, bis jeder Vortrag so viele Gegenpositionierungen aufbringt, dass der Kern der Sache am Ende schwer zu erkennen ist. Wenn der kleinste gemeinsame Nenner so klein wird, dass er von Menschen, die keine Zeit, keine Motivation haben sich in die Tiefen der Diskussionen vorzubewegen, nicht mehr wahrgenommen werden kann, bleibt vielleicht noch eine diffuse Vorstellung davon, was die Piraten wollen. Das reicht der Mehrheit der Bevölkerung aber offenkundig nicht.

In den etablierten Parteien ist jede Meinungsvielfalt eine kleine Sensation. Gibt es dort innerhalb der Parteien unterschiedliche Meinungen zu einem Thema ist das der Presse Meldungen über „Zerstrittenheit“ wert. Bei den Piraten ist das Normalzustand. Die Freiheit des Einzelnen wandelt sich in die Unfähigkeit, Mehrheiten jenseits der eigenen Meinung mitzutragen. Die Piraten sind in der Trotzphase.

Was als Gründungsphänomen getaugt hat, wird allmählich problematisch. Es werden Rufe laut, man müsse seriöser werden, man müsse erwachsen werden, man müsse professioneller werden. Und selbstverständlich melden sich dazu, wie aufs Stichwort, laute Gegenstimmen. Wer Meinungsvielfalt will, und trotzdem gleichzeitig alle Meinungen hinter gemeinsamen Beschlüssen versammeln will, sieht sich großen Problemen gegenüber. Die Piraten müssen lernen, was Demokratie bedeutet: die Mehrheit entscheidet. Auch eine Partei, die den Minderheitenschutz hochhält, Inklusion aktiv lebt, sollte das realisieren. Wenn jede Abstimmung dazu führt, dass die Gegenstimmen nur noch lauter werden, wird die Präsentation gemeinsamer Positionen unmöglich. So wird, gerade in dieser pluralistischen Partei, niemals etwas wie eine Identität entstehen. Sich für eine Partei ohne Identität, ohne viel beschriebenen „Markenkern“ zu entscheiden fällt schwer, wenn man nicht aktiv an der Identität mitarbeiten will. Eine Kanzlerin, die nichts sagt, wenn sie etwas sagt, aber Geschlossenheit repräsentiert, ist unkritischer als eine Partei, die man einfach nicht in eine Schublade kriegt. Die Piraten wollen nicht in eine Schublade. Sie wollen lieber ein ganzes Möbelhaus sein. Für den Bürger, der vielleicht doch lieber wissen möchte, in welche Schublade er seine Stimme gibt, ist das nicht attraktiv. Die Piraten brauchen Linien, sie brauchen nicht den Zwang zur Linientreue, sonst unterscheidet sie nichts mehr von anderen Parteien. Sie brauchen die Strukturen, jedem eine Stimme zu geben, sie brauchen aber auch die Bereitschaft der Mitglieder, Mehrheiten zu akzeptieren. Der Kampf gegen das äußere System ist zum Kampf gegen das innere System geworden. Die Introspektive, die Selbstbezogenheit verhindert den Blick nach außen, von außen. Dort befindet sich aber die Mehrheit der Bürger, dessen Stimmen die Piraten gewinnen wollen: außen. Und von dort aus sieht die Partei deutlich verschwommener aus, als sie eigentlich ist. Für was die Partei steht, stehen will, ist von dort kaum noch erkennbar. Und ohne Profilschärfe wird es ihr ergehen wie einem alten, analogen Polaroid-Foto: so schnell sie da war, so schnell wird sie auch wieder verblassen.

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Geschrieben von

Maengelwesen

Anika Mangelmann / @Fumuckel

Maengelwesen

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