Parteien zur Wahl (Vol. 2): die SPD

Bundestagswahl 2013 Die Wahl rückt näher. Naheliegend, sich die zur Verfügung stehenden Alternativen anzugucken. Hier der Loser vom letzten Mal und neue potenzielle Juniorpartner – die SPD.

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It’s Wahltime, Baby. Ebenso wie in anderen westlichen Ländern treten zur deutschen Bundestagswahl im Wesentlichen zwei Formationen an – eine konservativ-bürgerliche und eine sozialdemokratische, vorgeblich stärker an den kleinen Leuten orientierte. Flankiert wird die Chose von kleineren Parteien. Als dritte Kraft macht vor allem der Rechtspopulismus von sich reden. Bezieht man die Entwicklungen in der westlichen Führungsmacht USA mit ein, kann man sagen, dass die Rechtspopulisten die Lücke, welche die klassischen faschistischen Bewegungen der 1930er-Jahre hinterlassen haben, mittlerweile zur Zufriedenheit ausfüllen. Was sonst? Deutschland geht es gut. So gut, dass sich die klassischen Bürgerlichen seit einiger Zeit als die besseren Sozialdemokraten in Szene setzen.

SPD historisch: Pleiten, Flopps & ein Zufallstreffer

Why that? Die simple Wahrheit ist die: Christdemokraten und Liberale mögen korrupt sein, Armuts- und Arbeitslosenstatistiken manipulieren, Klientelwirtschaft zugunsten der Reichen und Superreichen betreiben und das Rad der Zeit hier und da erfolgreich anhalten. Darüber hinaus traktieren sie Südeuropäer ebenso wie die Masse der hiesigen Bevölkerung mit Spardiktaten, Lohn- und Sozialdumping. Der wahre Erfolg der CDU basiert allerdings auf der klassischen Schwäche ihres traditionellen Hauptgegners: dem vorauseilenden Gehorsam, welchen die deutschen Sozialdemokraten gegenüber den herrschenden Eliten stets an den Tag legten. Gemessen an ihrem Anspruch ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands die wohl größte Luftnummer der deutschen Geschichte. Die historischen Highlights ohne Weichzeichnungsschleier: Weltkrieg Eins unterstützt, im Zug dieser unvermeidlichen Vaterlandsverteidigung zeitweilig sogar den Cheftheoretiker des revisionistischen, rechten Parteiflügels (Bernstein) aus der Partei rausgeekelt, 1918 bis 1923 zusammen mit Nazi-Vorläufern und Reichswehr unbotmäßige Arbeiter sowie die „Kozis“ bekämpft, 1930 bis 1933 Hände in den Schoß gelegt und jede rechte Regierung unterstützt, die bei drei nicht auf den Bäumen war, 1933 – die Sozis hätten zwar eine Militärdiktatur unter Beteiligung der Nazis unterstützt, die Nazis wollten jedoch lieber alleine und ohne Sozis – kurz die gesinnungsethische Fahne rausgehängt, 33 bis 45 in der inneren Emigration auf die Befreiung gewartet, danach wiederaufgebaut und sich als die Helden des besseren Deutschland in Szene gesetzt.

Sicher – die Darstellung ist ungerecht, einseitig sogar, selektiv. Ein einziges Mal immerhin hat die SPD definitiv nicht Mist gebaut. Mitte der 1960er bis in die 1970er hinein setzte die SPD eine soziale Nivellierung in Gang, deren Langzeitfolgen zeitweilig geradezu grandios waren. Ein einziges Mal in ihrer Geschichte agierte die SPD mit den skandinavischen Bruderparteien, die ihre Gesellschaften zügig umgestalteten, halbwegs auf Augenhöhe. Die Bildungsreformen der 1960er, die Modernisierung des Schul- und Ausbildungssystems führte dazu, dass auch in Westdeutschland Kinder aus der Arbeiterschicht aufsteigen konnten. Letzten Endes hat diese Partizipation zwar zum Entstehen einer Konkurrenzpartei, der Grünen, geführt. Für zwei, drei Jahrzehnte allerdings hat die SPD eine bis dato unbekannte Egalisierung der deutschen Gesellschaft mit ins Rollen gebracht. Ohne Bildungsreform, ohne Öffnung der sozialen Schließungen keine Eigenheime, keine Arbeiterkinder auf Universitäten, keine Sexwelle, kein Urlaub auf Malle und schließlich keine soziale Unterfütterung jener Sozialbewegungen, die das Leben in den 1970ern und 1980ern vergleichsweise kommod machten. Kommod? Verglichen mit heute, waren sie interessant. Ein sozialpolitisches Laboratorium – hochexperimentell auch in kultureller Hinsicht. Was natürlich nur jemand verstehen kann, der iPod und iPad nicht mit Kultur selbst verwechselt.

Ein alter Film, in flowerpowerigen Siebzigerjahre-Pastellfarben. Die Generation, die eine andere Kultur noch kennengelernt hat, geht langsam auf die Rente zu. Großteils verrottet sie in den Dschungelniederungen der neuen deregulierten Sozialwelt. Falls sie nicht das Glück hatte aufzusteigen und im Idealfall der neuen rotgrünen Politelite angehört – jener saturierten Aufsteigercrême, in deren Erscheinungsbild von allem drei Eigenschaften hervorstechen: Ellbogen aus Stahl, Moralgeschwätz, bis die Ohren bluten und eine dem Rock'n'Roll entliehene Attitude des Forever Young. Profaner gesagt: Bismarck hat die Sozialversicherung eingeführt, die SPD hat sie wieder genommen. Die rotgrüne Regierung unter Gerhard Schröder hat nicht nur Hartz-IV und weitere Agenda-2010-Gesetze verabschiedet. Rot-Grün hat die neoliberale Büchse der entfesselten Märkte geöffnet. Als Krönung ihrer Regierungs-Ägide hat Rot-Grün darüber hinaus auch die sozialen Lebensverhältnisse in Deutschland einer beispiellosen Deregulierung unterworfen. Das Sozialexperiment Rot-Grün mag sich für die Beteiligten persönlich ausgezahlt haben (sofern man ein durch und durch spießbürgerliches Leben wie etwa das von Katrin Göring-Eckardt als erstrebenswert ansieht). Bis weit in die arbeitende Mitte hinein haben die rotgrünen Sozialreformen allerdings Verwerfungen mit sich gebracht, die mit denen, welche die Nazis in den 1930ern verwirklicht haben, durchaus vergleichbar sind. Die Krise ab 2008 sowie die damit einhergehende Polarisierung zwischen Arm und Reich mag das alles befördert haben, zusätzlich verstärkt und vertieft. Die Grundlagen der aktuellen neoliberalen Politik haben allerdings Gerhard Schröder, Joschka Fischer & Konsorten gelegt.

Agenda & Co.: Reden wir nicht drüber

Die neue, nivellierte und durch Rot-Grün verursachte Mittelstandsgesellschaft ist letzten Endes der tiefere Grund für die verkehrten Wahlkampfkonstellationen im EU-Wirtschaftsmotor Bundesrepublik Deutschland. Schwarz agiert – nur wenig behelligt von den gelben Marktradikalen – als klassisch sozialdemokratische Partei. Rot schickt einen Kanzlerkandidaten ins Rennen, der gar nicht erst den Anschein erweckt, wirklich Bundeskanzler werden zu wollen. Die Grünen machen ebenfalls in versteckte Bewerbung. Fazit: Die Opposition bewirbt sich in Wirklichkeit für eine Stelle als zukünftiger Juniorpartner der derzeitigen Regierungspartei. Diese Verhältnisse kann man beklagen. Allerdings führt kein Weg daran vorbei zu konstatieren, dass dieses Allparteien-Bündnis, diese Vervolksgemeinschaftung unter einem demokratischen Etikett von einer Mehrheit im Land getragen wird – oder jedenfalls von einer medial gut aufgestellten, gut vernetzten und gut organisierten Minderheit.

Sicher – auch der Mittelstand wird durch die Krise kräftig in Mitleidenschaft gezogen. Objektiv würde sich eine Politik, welche die Dominanz der 0,1 Prozent Superreichen bricht und eine neue gesellschaftliche Balance einzieht, auch für große Teile des Mittelstandes rentieren. Nicht nur in Punkto Lebensplanbarkeit und Lebensqualität, sondern vermutlich sogar pekuniär. Allerdings würde eine solche Politik das gesellschaftliche Deutungsmonopol der Mittelschichten in Frage stellen. Klassentechnische Vielfalt, eine lebendige Gesellschaft, Experimente gar – für den Kern der obrigkeitsorientierten, staatshörigen deutschen Mittelschichten scheinen derartige Verhältnisse der nackte Horror zu sein. So setzen die vier systemtragenden Parteien und Doppelparteien letztlich nicht auf eine Schließung der sozialen Schere, sondern auf eine kompensatorische Politik, die das Gegenteil bewirkt: die zunehmende Ausgrenzung und Dämonisierung des unteren gesellschaftlichen Drittels. Deutschland bietet auf diesem Gebiet eine Situation, die man wahlweise als exotisch oder auch paradox bezeichnen kann: Ein Kontroll- und Bürokratiestaat – allerdings auf sozial (noch) vergleichsweise hohem Niveau. Keine Trash- und Multikulti-Kultur wie in den USA, welche den herrschenden Sozialdarwinismus menschlich abfedert – allerdings kommodere Sozialverhältnisse. Kein Savoir vivre mit siesta, vino und amore – dafür jedoch mehr Cash, weniger Arbeitslose sowie, etwas Schmerz muss sein, mehr Leistungsdruck. Last but not least: Kein skandinavisches Sozialparadies – allerdings auch keine russischen Verhältnisse, wo man für Opposition nicht den Gummiknüppel, sondern gleich eine Kugel in den Kopf riskiert. Die schlechte Nachricht innerhalb der guten: Vermutlich bleibt im Wesentlichen alles so, wie es ist. Unabhängig davon, welche Konstellation nach dem 21. September die Regierung stellt.

Fazit: lieber nicht

Wenden wir daher den Blick auf die Gegenwart. Symptomatisch für den Zustand der SPD in den letzten Jahren war vor allem das Herumgeeiere im Gefolge der von ihr beschlossenen Agenda-Gesetze. Keine Partei hat mehr deswegen geblutet (im Unterschied zu den Grünen, denen Hartz und Kriegseinsätze grosso modo neue großstädtische Yuppie-Wählerschichten erschlossen haben). Nichtsdestotrotz sind Lehren, die aus dem Debakel gezogen wurden, nicht einmal im Ansatz erkennbar. Im Gegenteil: Mit dem Durchdrücken eines nationalkonservativen Bundesprädidentschaftskandidaten gegen einen gemäßigt bürgerlichen, liberalen Amtsinhaber hat die SPD erneut unter Beweis gestellt, dass sie keinerlei Probleme damit hat, die Union nötigenfalls rechts zu überholen. Doch wenden wir den Blick ab von Historie, glücklosen Kandidaten, halbherzigem Mit-den-Ohren-Gewackel nach dem Motto „Die anderen im Bundesrat habens vergurkt“ und schauen wir einfach ins aktuelle Wahlprogramm der Partei. Irgendwelche Worte zum größten Desaster in der neueren Parteigeschichte? Selbstkritisch, oder auch nur rechtfertigend? Kommen nicht vor. Doch nicht nur Hartz-IV ist für die schöne neue Welt der SPD kein Thema mehr. Auch der rosige Blick nach vorn bietet lediglich halbherzige Allgemeinplätze und Plattitüden. Die SPD will, laut ihren derzeitigen Versprechungen, mehr für die Bildung tun. Sowie hier und da – vielleicht, eventuell – die Steuerschraube etwas anziehen. Fazit: Mehr politisches Profil hat sogar die CDU.

Was wird aus der SPD? Was wird sie nach dem 21. September tun? Ehrliche Antwort: Wir wissen es nicht. In ihrem vorauseilenden Gehorsam changiert sich die SPD derzeit zu Tode. Einerseits gibt sie ihr Bestes, die strategische Umorientierung umzusetzen, die ihr Intellektuelle wie etwa der Parteienforscher Franz Walter vorschlagen: Abschied nehmen von den Unterschichten und sich als knallharte Interessenpartei der sozialen Aufsteiger konsolidieren. Andererseits wird sie von Panikattacken geschüttelt. So berichtete der Spiegel im Juli, dass die Partei in ihrer Not Vor-Ort-Hausbesuche starten will, um potenzielle Nichtwähler – die klassische Hartz-Klientel also – zur Stimmabgabe für die Sozialdemokraten zu bewegen. Teams also, die den Ausgepauperten auf die Pelle rücken und Überzeugungsarbeit leisten sollen. Hoffen wir, dass es bei legitimen (wenn auch vermutlich recht aussichtslosen) Überzeugungsversuchen bleibt. Und die Sozen-Teams – der Anteil von Staatsbürokratie-Angehörigen in ihren Reihen ist hoch – nicht der Versuchung erliegen, im dem ein oder anderen Fall etwas nachhaltiger Druck auszuüben.

Fazit: Kein Mensch weiß, was die SPD will. Daher ist es schwer, irgendwas über diese Partei zu schreiben. Sofern man kein wohlfeiles Steinbrück-Bashing betreiben will.

Richard Zietz bloggt bei freitag.de. Darüber hinaus betätigt er sich als kritischer Autor bei dem Online-Portal Wikipedia.

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Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

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