Am Meer - was mit Liebe

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Ich finde, hier muss jetzt mal was mit Liebe rein. Ist zwar nicht weihnachtlich, aber doch eine schöne Skizze aus meinen Memoiren.

1. Am Meer

Als wir in den Dünen bei Den Helder saßen, müde und überreizt nach einer Trink- und Liebesnachtfragte ich K.:„Glaubst Du eigentlich selbst an Gott“? Er schwieg und blickte weiter auf die graue gekräuselte Fläche. Ich sah ihn von der Seite an. Er hätte Gottvater sein können auf einem Bild alter Meister. Mit seinem, kahlen, nur mit einem Haarkranz versehenen Kopf, dem langen ins Graue gehenden Patriarchenbart und den gütigen Augen. Kein schönes, aber ein sehr interessantes Gesicht.

Tags zuvor waren wir von Utrecht über Alkmaar nach Den Helder gekommen. In Alkmaar hatten wir in Straßencafes gesessen, Genever und Kaffee getrunken. Einmal war K. leicht gekränkt, weil ich sehr albern wurde. Ob wir nicht mit dem Kirchenschatz durchbrennen sollten, scherzte ich und er wurde eine Weile schweigsam. Ich hörte auf und wartete, dass er wieder das Wort an mich richtete. Ich wusste, dass er mir nicht lange böse war, wenn ich kein Öl ins Feuer goss. Nach einer Weile nahm er - sich vorsichtig umsehend - meine Hand und wir waren nach kurzer Fremdheit wieder ein Liebespaar. Eine glückliche Ausnahmestimmung trug uns.

K. konnte Menschenmassen mit seinem Charme ebenso verzaubern wie jetzt mich. Nur ich wusste, dass er in seiner großen Seele auch kleinliche Momente kannte. Eitelkeiten, Rivalitäten, Ehrgeiz. Er wäre gern Papst geworden. Einer der großen Reformer, wie Johannes XXIII. mit seinem Konzilswerk.

Ich wurde traurig, wenn das Bild des Geliebten sich eintrübte. Manchmal lehnte ich mich auf und triumphierte, wenn ich ihn ertappte. Ich wurde ironisch und fing ketzerische Diskussionen mit ihm an. Aber heute lag mir nicht daran. Das Straßenleben der kleinen Stadt floss an uns vorbei, die Sonne schien und der Genever beschwingte mich.

Nachmittags fuhren wir weiter mit dem Zug, setzten uns ins Restaurant und trieben dort allerlei Unsinn. Wer von den Reisenden hätte geahnt, dass der würdige, ein wenig altmodisch aussehende Herr im dunklen Anzug andauernd die Hände unter dem Tisch wer weiß wo hatte und dabei sehr ernsthaft mit mir sprach. Ich weiß nicht mehr, wie wir das gemacht haben. Wir hatten Spaß daran, uns vorzustellen, was die anderen alles nicht mitkriegen und was wäre, wenn man uns entdeckte.

In Den Helder holte uns der Freund ab, der sich ohne Aufhebens in die Rolle eines Komplizen schickte. Mir wäre ein Hotel lieber gewesen, aber K. war das unbehaglich. Ohnehin war alles ein Grenzübertritt für ihn. Erst heute weiß ich noch besser, wie viel Liebe im Spiel war, wenn er das auf sich nahm.

Der Freund, auch ein Ordensmann, bewohnte in Den Helder ein kleines Haus. Wir müssen ihm wie zwei Kinder vorgekommen sein - albern und übermütig. Er zeigte uns sein Domizil und wo wir schlafen konnten und wo Bad und Toiletten sind.

Das war nicht einfach für einen Mann, der in seinem Haus keine Frauen über Nacht beherbergt. K. hatte mit so etwas keine Probleme, in seiner Kommunität lebten seit Jahren Frauen und Männer gemeinsam und nicht alle Bewohner waren Ordensleute. Es machte ihm Freude, sich als liebender und geliebter Mann darzustellen. Er legte mir beim Rotwein am Kamin den Arm um die Schulter und küsste mich auf die Wange. Das überraschte mich. Sein Freund besah sich freundlich das Glück und wir kamen – was sonst - auf das Zölibat zu sprechen, das eines der erotisch anregendsten Themen ist. Der Freund erzählte, dass er den ersten Orgasmus seines Lebens auf der Orgelempore während eines Hochamtes erlebt hätte. Dieses Brausen in der Luft, diese gewaltigen Töne – er hätte gedacht, er komme in den Himmel, denn um was es ich handelte, hätte er damals gar nicht gewusst. Erst die irdischen Folgen hätten ihn irritiert.

K. und ich gingen spät ins Bett und liebten uns, obwohl wir müde waren. Wie wir es taten fanden wir nicht so wesentlich Wir waren immer glücklich einander zu fühlen. Ich war damals ziemlich dünn, aber K. neigte ein bisschen zur Korpulenz, was mir gefiel. Wenn ich mich in ihn vergrub, hatte ich ein Gefühl, als sei er mir Geliebter, Vater und Mutter zugleich. Nur einmal nach der Liebe bedeckte er plötzlich seine Augen und ich fürchtete schon, er bräche in Tränen aus, aber er blieb still liegen und sagte nichts. Auch ich fragte nicht, weil ich das indiskret gefunden hätte.

Am nächsten Tag war ich verkatert vom Wein und von den vielen Zigaretten. K’s Freund brachte uns mit dem Auto an die Küste. Wir verabredeten einen Treffpunkt an der Fähre nach Texel. Dort wollte er uns wieder abholen.

Als wir dann allein standen, im Geklingel der Fahrräder, die auf den asphaltierten Wegen fuhren, blickte K mich ratlos an, als wisse er nicht, was nun zu tun sei. Es gab in seinem Leben keine Freizeit, keine Zerstreuung. Er war immer ein öffentlicher Mensch. Wenn er allein war, dann arbeitete er an etwas oder ruhte sich endlich mal aus und schlief. Das war eine Klippe in unserem Zusammensein. Auch ich war ziemlich müde – am liebsten hätte ich mich irgendwo hingeworfen und wäre eingeschlafen. Nichts davon war realistisch, also gingen wir am Meer spazieren. Wir sprachen wenig. Ich hatte Herzklopfen und fühlte mich beklemmt.

Nach einer Weile setzten wir uns hin und ich stellte ihm die Gretchenfrage. In diesem Zustand aus Erschöpfung und leichter Exaltation, blickte er mich an und sagte „Nein, ich glaube nicht, ich weiß es nicht. Ich fürchte mich manchmal". "Wovor?" fragte ich und im gleichen Augenblick fand ich das unpassend. Er wollte kein Therapeutengespräch führen. Es gibt so viele Dinge, vor denen man sich fürchten kann auf dieser Welt. Er wollte nur, dass ich das weiß.

Darum nahm ich seine Hand, bog sie auf, legte mein Gesicht in die Handfläche und sagte: „Gib mir trotzdem Deinen Segen“. Das brachte ihn zum Lächeln. Wir standen auf, schüttelten den Sand ab und suchten uns eine Gaststätte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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