Grenzen, Geheimdienste und Friedhöfe

Stines „Spion“ Märkische Nachforschungen und Entdeckungen zwischen Invaliden- und Chausseestraße in Berlin. Und Erinnerung an einen Roman von Günter de Bruyn

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Grenzen, Geheimdienste und Friedhöfe

Foto: Sean Gallup / Getty

"Draußen am Fenster aber war ein Dreh- und Straßenspiegel angebracht, bei dessen Anbringung der ebenso praktische wie pfiffige Polzin vor Jahr und Tag schon zu seiner Frau gesagt hatte: "Emilie, solange der da ist, solange vermieten wir". ... (Theodor Fontane „Stine“)

Einen solchen Spiegel nannte man früher und heute wohl auch noch umgangssprachlich einen „Spion“. Diese indirekte Beobachtung hat für die Witwe Pittelkow etwas Faszinierendes, was sie immer wieder feststellt, wenn sie zu ihrer Schwester Stine nach oben ins Dachgeschoss steigt.

"Nun hast Du aber genug, Pauline. Du musst doch nachgerade wissen, wie die Invalidenstraße aussieht. "Hast Recht Kind. Aber so ist der Mensch; immer das Dummste gefällt ihm und wenn ich in den Spiegel gucke , und all die Menschen und Pferde drin sehe, dann denk' ich, es ist doch woll anders also so mit bloßen Augen. Und ein bisschen anders ist es auch. Ich glaube, der Spiegel verkleinert, und verkleinern ist fast ebenso wie verhübschen".

Der BND baut

um die Ecke

Leider befindet sich diese „Spion“ aus Fontanes Roman nicht in der Chausseestraße, wo der BND seine protzigen Paläste baut, sondern um die Ecke in der Invalidenstraße. Aber, mir scheint, dass es so „um die Ecke“ trotzdem seine symbolische Bewandtnis hat mit dem „Spion“ von Stine und dem BND. Selbst etwas zu beobachten und dabei nicht als Beobachterin erkannt zu werden, das scheint ein Reiz nicht nur dieser Straßenspiegel zu sein.

Ich war jüngst dort zugange in Richtung Chausseestraße und um den ärgerlichen Anblick der einfallslosen Beton-BND-Bauten noch für eine Weile aufzuschieben, bog ich ab in die

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Liesenstraße,wo ich Interessantes entdeckte. Von dort geht nämlich auch der Friedhof II der Berliner Französisch-Reformierten Gemeinde ab, der früher direkt im Grenzgebiet lag und nur mit einem Passierschein und einem berechtigten Anliegen zugänglich war.

Ein solches „berechtigtes Anliegen“ wird in dem satirischen Roman „Märkische Forschungen“von Günter de Bruyn erzählt. Es spielt zu tiefsten DDR-Zeiten und ich lese immer wieder gern darin.

Da geht es um den Lehrer und Lokalhistoriker Pötsch, der die Spuren eines Dichters namens Max von Schwedenow verfolgt. Entgegen der öffentlich verbreiteten Meinung aber bekommt er heraus, dass dieser von Schwedenow kein Held der Revolution war, sondern später Mitglied der königlichen Zensurbehörde wurde.

Warum bloß denke ich

da an Joachim Gauck?

Aus irgendeinem Grunde denke ich heute dabei an Joachim Gauck, den ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Aber, das mag, wie angesagt, „um die Ecke“ gedacht sein, denn Gauck ist ja kein Dichter. Im Roman allerdings entstehen durch Pötschs Forschungen schwere Verwirrung und Konflikte mit der nationalen Literaturgröße (Literaturpapst kann man nicht sagen, denn das ist natürlich ein Genosse), Professor Menzel, der für die wissenschaftliche Beweihräucherung des "Dichters der Revolution" zuständig ist und überhaupt nicht zulässt, dass sich da ein Provinzler entzaubernd und ernüchternd betätigt.

Suche nach einem Grab

endet an der Mauer

Das Kapitel "Suche nach einem Grab" könnte also auf diesem Friedhof II spielen: Hobbyhistoriker Pötsch fährt mit dem Taxi zu einem Friedhof, aber er endet vor einer Mauer, "die höher war als Friedhofsmauern sonst. Ein Tor für ihn gab es in ihr genau sowenig wie eine Behörde, die seinen Antrag auch nur entgegenzunehmen bereit gewesen wäre, Die zu der er ging, verstand ihn nicht. Er wolle nicht nach Westberlin, versicherte er immer wieder, er wolle nur ein Grab besehen, dass, falls es noch existiere, dem Staate gehöre, dessen Bürger ach er wäre, nur hätte man den Friedhof leider abgesperrt, aus Sicherheitsgründen (....)"

So geht es zu in Günter de Bruyns Buch und am Ende siegt natürlich die offizielle Lesart während Pötsch, der Sucher der Wahrheit, ins Manische, Paranoide abdriftet und nach einem Stein sucht, der ein gültiger Beweis für seine Thesen sein soll. So etwas kann – abgesehen von der Grenzmauer - überall spielen, stelle ich da wieder fest.

Besuch bei den Familien

Fontane und Hacks

Man kann sich also diesen Friedhof als Szenen- oder Vorbild denken, während man in plötzlicher Einsamkeit wandelt und vielleicht Theodor Fontanes Grab besucht, denn das befindet sich dort. Dass der große Dichter dort zusammen mit seiner Frau Emilie begraben liegt, wusste ich vorher gar nicht. Auch nicht, dass das Grab des von Peter Hacks und seiner Frau gleich in der Nähe ist.

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Nun aber stand ich vor den Gräbern, die stilvoll gestaltet und gepflegt sind und fragte mich, was der Hacks bei den Französisch-Reformierten sucht. Vielleicht wollte er nicht bei allen den großen Geistern liegen, die auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ihr Grab haben, der sich viel weiter unten in der Chausseestraße befindet. Über sie hat Biermann schon gedichtet, manchmal mit Wehmut, wenn es um seine Gefühle ging, hin und wieder mit Hohn, wenn es andere betraf.

Wie nah sind uns manche Tote, doch

Wie tot sind uns manche, die leben

reimte er in Zeiten, da Erstarrung das wesentliche Lebensgefühl war.

Jetzt also baut in der Chausseestraße auch der BND – mitten im ehemaligen Grenzgebiet – und breitet sich aus in früher scharf bewachter Gegend, die demnächst wieder scharf bewacht werden wird und umgeben von alten Friedhöfen.

Ein Modell des "Spions" aus Fontanes Roman könnte man als Symbol irgendwo anbringen. Gewissermaßen als Verbeugung vor den kleinen privaten Anfällen der Neugier, die natürlich mit der offiziellen immer umfassender und staatstragender werdenden Neugier gar nichts zu tun hat.

Eine Inhaltsangabe von Fontanes Roman "Stine" erspare ich mir.

Hier ist aber eine

Im Grunde handelt er auch von einer Grenzüberschreitung

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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