Memoire Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig wird 100 Jahre alt, heute beginnt die Gedenkwoche. Nicht nur in Erich Loests neu aufgelegtem Roman "Löwenstadt" ist es Thema
Als ich zum ersten Mal auf das Leipziger Völkerschlachtdenkmal stieg, war ich zehn Jahre alt. Der Klassenausflug erfolgte von der einen Seite der Stadt auf die andere. Von dem schwarzen Riesenklotz war ich so überwältigt wie der Sprengmeister Fredi Linden später in Erich Loests Roman Völkerschlachtdenkmal: „Wenn die ganze Stadt zerbröckelt und vermodert ist, wird immer noch das Völkerschlachtdenkmal aufragen, weithin sichtbar wie eine Pyramide des alten Ägypten.“ Wissen muss man, dass Loest im Jahre 2009 unter dem Titel Löwenstadt das 30 Jahre alte Buch fortgeschrieben hat. Fredi Linden, der bezichtigt wird, das Denkmal sprengen zu wollen, erzählt weiter und nun bis in die Gegenwart hinein.
Ein guter Handwerker sei der Loest, sch
andwerker sei der Loest, schrieben die Rezensenten damals, er erinnere an Hans Fallada. Im Oktober wird Leipzig nun an die Völkerschlacht von 1813 erinnern, bei der die Truppen Napoleons in den Befreiungskriegen im Süden Leipzigs vernichtend geschlagen wurden. Und an die 100 Jahre später erfolgte Einweihung dieses immerhin zu den größten Monumenten Europas zählenden Völkerschlachtdenkmals gleich mit. Aus diesem Anlass wird Löwenstadt noch einmal aufgelegt.1956 blickte ich auf den gewaltigen Erzengel Michael am Eingang, hörte den monotonen Singsang eines Museumsführers, der erklärte, dass dieses Denkmal aus im sächsischen Beucha gebrochenem Granitporphyr erbaut wurde. Granidborfir, auf Sächsisch klingt das ein bisschen komisch.Vom Dunst ganz schwarzEingeschüchtert und fasziniert betrachtete ich die Riesenfiguren und die Reliefs der sterbenden Krieger in der Krypta und der Ruhmeshalle, schaute in die Luft und sah in der Kuppel 324 fast lebensgroße Reiter, die zu jener Zeit ziemlich schmutzig waren. Das Denkmal war teuer und pflegeintensiv. Es war zwar nicht mehr von kämpfenden Truppen umgeben, aber von Braunkohletagebauen und Chemiewerken, die ihren Dunst in die Stadt bliesen.Den sich viele Male brechenden Schall, die 500 Stufen bis zur Plattform, die Engstelle in den Treppen, die durch die Knie eines der Krieger, die das Land bewachen, führt – all das erlebte ich seltsamerweise mit Unbehagen, Kopfschmerzen und leichtem Schwindel. Ich hörte benommen die Zahlen der Beteiligten und Gefallenen dieser Jahrhundertschlacht aufseiten der Franzosen, Russen, Österreicher, Preußen und Schweden.Die Russen standen in den fünfziger Jahren im Vordergrund, denn sie waren jetzt unsere Bündnispartner im Kampf gegen die Kriegstreiber im Westen. Hatten die siegreichen Verbündeten, zu denen die Sachsen sich vorwitzig zählten, nicht Napoleon bis über den Rhein getrieben? So wird es auch heute allen Friedensfeinden ergehen, hatten die Genossen bestimmt. Erich Loest macht sich in seinen Büchern darüber lustig. Immer wieder neue Bedeutungszuweisungen an das immergleiche klotzige Gebilde. Aber, nichts gegen den Völkerfrieden. Das Kyffhäuserdenkmal im heutigen Sachsen-Anhalt, ebenfalls von Architekt Bruno Schmitz erbaut, wurde auch immer mal wieder umgedeutet.Bei seiner Einweihung durch Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1913 war das Völkerschlachtdenkmal als Monument der Heldenverehrung und der Verklärung jener Schlacht gemeint, bei der – so Erich Loest – die Sachsen das getan hätten, was sie immer tun: dummes Zeug. Sie schwankten zwischen Napoleon und Preußen hin und her. Ein Jahr nach der Einweihung brach der Erste Weltkrieg los. Deutschland war mit Österreich-Ungarn verbündet, es ging gegen die Russen und Franzosen und überhaupt um einen „Platz an der Sonne“.Nach Versailler Frieden, Novemberrevolution und Weimarer Republik nutzte später auch der Führer das Denkmal für eine seiner Hass- und Wutreden. Neonazis lieben es noch heute dafür und veranstalten immer wieder martialischen Zirkus in seinem Schatten. Zu Beginn der neunziger Jahre waren sie reichlich unbehelligt, jetzt tritt man ihnen energischer entgegen. Auch die Gothic-Szene favorisiert das dunkle Teil wegen des gespenstisch-schönen Widerhalls und der Nähe zum großen Südfriedhof.Mit der StraßenbahnMeine Mutter zog in den sechziger Jahren vom Südwesten in den Südosten um. Und so fuhr ich als Studentin aus Berlin kommend mit der Straßenbahn am Denkmal vorbei, wenn ich sie besuchte. Ich las einmal im Zug den Krimi eines Autors namens Hans Walldorf Der Mörder saß im Wembley Stadion. Das war auch Erich Loest, also nicht der Mörder, sondern der Autor. 1957 wurde er wegen konterrevolutionärer Umtriebe mit siebeneinhalb Jahren Bautzen bestraft und durfte nicht mehr alles unter seinem Namen veröffentlichen.Die Bahn fuhr über den Augustusplatz, der bis kurz nach Mauerfall ja noch Karl-Marx-Platz hieß. Später stand dort das Universitäts-Hochhaus mit dem riesenhaften Marx-Relief davor. Ich fragte mich, woher die Sachsen bloß dauernd diesen Hang ins Monströse haben. Für den Uni-Neubau jedenfalls sprengten sie vor 45 Jahren die Paulinerkirche, auch Universitätskirche genannt. Die Empörung der Leipziger war groß, und auf dem Karl-Marx-Platz herrschten schlachtenähnliche Zustände.1968, also im Jahr der Sprengung, war ich nicht mehr katholisch. Aber ich erinnerte mich trotzdem gern an die flammenden und witzigen Predigten, die der katholische Dominikanerpater Gordian in den Fünfzigern in dieser alten Kirche gehalten hatte. Und wie wir damals – ich war Mitglied der Pfarrjugend – in eine Modellausstellung pilgerten, die „unseren Menschen“ Anfang der Sechziger die sozialistische Umgestaltung des Platzes vor Augen führen sollte. Im Gästebuch protestierten viele Leute gegen das Vorhaben.Walter Ulbricht, der seine Geburtsstadt Leipzig zu einer sozialistischen Musterstadt machen wollte, hielt zur Eröffnung des Deutschen Turn- und Sportfestes 1959 am Völkerschlachtdenkmal eine seiner wenig flammenden Falsett-Reden über unsere fortschrittliche Jugend und den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Als er später entmachtet wurde, hatten die Leipziger die Folgen zu tragen. Ihre Stadt war für den Nachfolger Erich Honecker nur noch eine Kulisse für die Mustermesse. Der Rest verfiel.Ich habe damals unseren alten Pfarrer noch öfter besucht, er war es, der mir Es geht seinen Gang, einen anderen Roman von Loest, empfahl. Im Zentrum stand schon wieder eine Schlacht. Die war 1965 am Leuschnerplatz, einem großen, bis heute leeren und funktionlosen Rund im Zentrum der Stadt. Da ging man gegen die neuen jungen Beatgruppen in Leipzig vor. Ich habe selbst übrigens mal in einer Band namens Tiger Men kurz ausgeholfen.In den Jahrzehnten, die folgten, haben sich die Menschen mit ihren Zweifeln arrangiert, diese Geschichte ist bekannt. Und Loest selbst reiste, zermürbt von der Schlacht um seine Manuskripte, in den Westen. Niemand in der Stadt dachte an einen Wandel. Erst 1989 waren die Leipziger dann einen Moment lang heldenhaft, helderhafter sogar als die Sachsen im Jahr 1813. Und eine andere Kirche machte Furore, die Nikolaikirche, die dann auch einem loestschen Buch den Namen gab.Wenn im Herbst der Geburtstag kommt, wird es wohl so kommen, wie Loest es in Löwenstadt vorausgesehen hat. Sie werden feiern und: „Unser Bundespräsident wird über die Freiheit predigen wie gewöhnlich“. Ich bekam als Kind damals übrigens nach dem Besuch eine schwere Grippe. Das Denkmal hatte an den Tag befördert, was schon in mir tobte.
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