Nix Neues oder cosi fan tutte

Geheimdienste Alte und neue Skandale demonstrieren: Ausspähen ist ein systemübergreifendes Phänomen. Nur, es darf nicht rauskommen. Im Licht des Tages ist es "empörend".

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1989 brachte in der Schweiz eine parlamentarische Untersuchungskommission ans Licht, dass politisch engagierte Leute aus Wissenschaft, Kunst und Kultur über viele Jahre systematisch bespitzelt wurden. Darunter auch der Schriftsteller Max Frisch.
1989 brachte in der Schweiz eine parlamentarische Untersuchungskommission ans Licht, dass politisch engagierte Leute aus Wissenschaft, Kunst und Kultur über viele Jahre systematisch bespitzelt wurden. Darunter auch der Schriftsteller Max Frisch.

Foto: Fabrice Coffrini / AFP / Getty Images

Kennt eigentlich jemand den Fichen-Skandal? Wer kein Schweizer ist, kennt ihn vielleicht nicht. Der Skandal erschütterte 1989/1990 in der Schweiz die Bevölkerung nachhaltig.

Nicht nur Max Frisch

Eine parlamentarische Untersuchungskommission legte offen, dass nicht nur der Schweizer Schriftsteller Max Frisch, sondern zahlreiche andere politisch engagierte Leute aus Wissenschaft, Kunst und Kultur über viele Jahre systematisch bespitzelt wurden. 900.000 Karteikarten – „Fichen“ genannt - wurden über sie angelegt. Vor allem linke Künstler und Intellektuelle wurden überwacht und galten als staatsgefährdend. Der erste Eintrag über Frisch stammte aus dem Jahr 1948, da hatte der Schriftsteller an einer internationalen Friedenskonferenz in Warschau teilgenommen. Auch in der Schweiz war halt kalter Krieg, begründete man diese Sammelaktionen. Die Betroffenen konnten sich dann ihre Karteikarten ansehen, wobei es viele Schwärzungen gab, um Quellen nicht offenzulegen.

Gespenstisches Bild

der Belanglosigkeit

(...) was sich auch einem unvoreingenommenen Blick in ausgewählte Staatsschutzakten darbietet: ein gespenstisches Bild der Belanglosigkeit. Dass auch solche Banalität nicht ohne Heimtücke ist, davon erzählen freilich vereinzelte Beispiele von massiven Ein- und Übergriffen in die bürgerliche Existenz: Wiederholt kam es zu Entlassungen aus dem Bundesdienst wegen unliebsamer politischer Tätigkeiten, oder Anstellungen wurden vereitelt, ohne dass die Betroffenen die Hintergründe ahnten“ heißt es in der NZZ zum Thema. Tja, woran erinnert mich das nur...

Dieser Tage überschlagen sich Meldungen, die das Ausspähen zum Inhalt haben und dies in vielen Ländern. Dass nicht nur die Stasi, sondern auch der BND sich um deutsch-deutsche Postsendungen „verdient“ gemacht hat, ist einem kürzlich erschienenen Buch des Historikers Josef Foschepoth „Überwachtes Deutschland“ zu entnehmen. So hat die Bundesrepublik Post aus der DDR an der Grenze abgefangen und verbrannt, um die Menschen vor Indoktrination zu schützen oder aus welchen Gründen auch immer.

Das G-10-Gesetz

Und alliiertes Recht

Ohnehin ist Deutschland gesetzlich in einer Lage, die kaum glaubhafter macht, dass gegenwärtige Politiker von der USA- Abhörpraxis nichts gewusst haben wollen, erklärte der Historiker heute in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur.

Er verwies auf das „G-10-Gesetz“, das 1968 verabschiedet worden ist und die weitreichenden Überwachungsrechte der Alliierten bis in die Gegenwart fortschreibt.

Auf die Nachfrage der Badischen Zeitung ob dieses Gesetz noch gilt, erklärte Foschepoth:

„Als die SPD 1990 im Bundestag wissen wollte, auf welcher Rechtsgrundlage die Special Forces der Amerikaner in Deutschland jetzt arbeiteten, bekam sie vom Staatsminister im Auswärtigen Amt zu hören: auf dem Aufenthaltsvertrag von 1954 und dem Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut. Das alliierte Recht zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs ist weder in der alten, noch der neuen Bundesrepublik außer Kraft gesetzt worden.“

Und da will die Regierung nix wissen?

Übrigens: nach den Empörungen über den Fichen-Skandal hat sich in der Schweiz wenig geändert.

Und hierzulande scheint es, als seien nicht erst seit prism und tempora- Enthüllungen bestimmte Definitionsdomänen nicht mehr so sicher.

Aufgescheuchte Beiträge in manchen Medien zeugen davon. "Die Welt“ erklärt den nicht mehr so geneigten Lesern, dass sie sich zu Komplizen von Diktatoren machen, wenn sie sich jetzt so unnötig aufregen über demokratisch nicht ganz legitimierte NSA-Sammelwut. Der Stasi-Unterlagen-Chef erklärte, dass das mit der Stasi doch noch was anderes war als diese Abhöraktion eines demokratischen Staates.

Das war sicher so, aber seit sich die Meldungen darüber häufen, wie wenig sich auch eine Demokratie um die demokratischen Rechte ihrer Bürger kümmert, wird’s eng mit der vorgegebenen Sicht auf die Geschichte. Der Eifer, mit dem jetzt versucht wird, offensichtliche eigene Gesetzesverstöße und eine üble Missachtung der eigenen Bevölkerung zu vertuschen oder wenigstens zu bemänteln, kann einen zum Lachen verleiten, wenngleich auch zum grimmigen. Und zum Ausruf: „cosi fan tutte“.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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