Zuerst zahlt der Patient

Rettungsfahrt Seit Anfang des Monats kriegen die Betroffenen in Berlin eine Rechnung, wenn sie mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus transportiert wurden

„Keine Angst vor falschem Alarm“ las ich kürzlich in der Praxis meiner Hausärztin auf einem Info-Plakat zur schnellen Reaktion auf Schlaganfälle. Es gibt verschiedene Symptome, die auf einen Schlaganfall hindeuten können, aber nicht müssen.

Wenn also ein Symptom auftritt, soll man sich nicht scheuen und die Rufnummer 112 wählen, denn in jeder Sekunde, die der Schlaganfall andauert, sterben Gehirnzellen ab.

Das ist die schöne gute heile Vorsorgewelt. Die Realität in Berlin ist seit Anfang dieses Monats eine andere. Jede Rettungsfahrt, die von der Berliner Feuerwehr getätigt wird, muss erst einmal der Betroffene bezahlen. Die Kosten betragen rund 300 Euro. Der Betroffene kann sich diese Kosten dann von seiner Krankenkasse - natürlich mit entsprechendem Formular – zurückerstatten lassen. Herrliche Bürokratie.

So etwas kommt heraus, wenn zwei Institutionen sich einen höchst intensiven Schlagabtausch liefern, bei dem es – wie immer - ums Geld geht.

Krankenkasse contra Feuerwehr

Die Krankenkassen wollen wissen, wie die Kosten zustande kommen, die die Berliner Feuerwehr für Rettungseinsätze bei ihnen geltend gemacht hat. Die Kassen finden, sie zahlen zuviel, die Feuerwehr findet, sie würde zu oft und sinnlos gerufen und will nicht auch noch jeden Betrag offen legen und beide finden, dass es jetzt genug ist.

Deshalb beschlossen die Krankenkassen menschen- und kundenorientiert, wie sie sind - dass am Besten ihre Mitglieder bei der Feuerwehr „in Vorleistung“ gehen.

Klasse Idee. Bei jedem Kranken, der die 112 anruft, wird jetzt im Hintergrund der Betrag von 300 Euro herumspuken und ob die Krankenkasse nicht am Ende noch bei der Erstattung fragt, ob das nötig war? Wenn man nun gar nicht in Lebensgefahr ist? Wenn man nur hysterisch ist oder keine Luft kriegt, weil man zuviel raucht? Noch kurz vor der Ohnmacht wird man ausrufen: „Bloß noch nicht rufen, am Ende ist es nicht so schlimm.“ Man hat eben doch Angst vor dem falschen Alarm und guckt noch mal mit halb gebrochenem Blick ins Medizinlexikon, weil das billiger ist.

Überhaupt durchgeistern die Medien gegenwärtig so allerlei merkwürdige Meldungen mit merkwürdigen Tendenzen. Danach riefen junge Mädchen, die sich bei der Maniküre in den Zeh schneiden, auch gern mal die 112. Noch weitere, ähnliche Fehlalarme wurden ins Feld geführt, um zu erklären, warum die Rettungskräfte zu oft rausfahren müssen und die Kassen das nicht mehr zahlen wollen. Der Kranke ist schuld. Die sind zu verwöhnt und – wie fürchterlich – auch noch unsicher, was die Notwendigkeit für einen SMH-Wagen betrifft.

Gehöriger Imageschaden

Kann man, darf man so vorgehen? Die Krankenkassen haben inzwischen wohl verstanden, dass ihnen aus solch einem Verhalten ein gehöriger Imageschaden erwachsen kann. Kritiker machen geltend, dass für einen Hartz IV-Empfänger die Vorleistung von 300 Euro existenziell bedrohlich ist, auch wenn die Feuerwehr beschwichtigt und eine lange Zahlungsfrist von 6 Wochen angibt. Wie auch immer, anschließend muss der möglicherweise Kranke und auch noch soziale Schwache noch mal auf die Erstattung warten.

Fazit: In einschlägigen Infomaterialien heißt es verkürzt: „Ein Schlaganfall ist eine plötzlich einsetzende Funktionsstörung des Gehirns.“ Wenn man das so nimmt, dann haben sowohl die Kassen als auch die Feuerwehr wohl doch einen ziemlichen Schlaganfall. Man sagt, Innensenator Henkel (CDU) verhandle nun doch wieder mit den Kassen. Gut wärs, denn Berlin ist auch so schon genug in Verruf.

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Nachtrag: Kommando zurückJetzt werden Rettungseinsätze doch wieder zwischen Feuerwehr und Kasse abgerechnet

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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