ADHS und der Mythos Ritalin

ADHS Warum es falsch ist seinem Kind medikamentöse Hilfe vorzuenthalten. Der Mythos Ritalin und warum ADHS bis heute so falsch verstanden wird.

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ADHS ist eine vielfach falsch verstandene Erkrankung. Da sollte man sich eigentlich nicht viel draus machen, denn auch Krankheiten, wie Schizophrenie, Depressionen, Pädophilie, usw. sind mit einem Stigma belegt.

Die Symptome der Krankheit sind hinreichend bekannt. Wer sich wirklich eingehender mit diesen und den Ursachen der Erkrankungen auseinandersetzen wollte, der schlägt einfach Wikipedia auf. "Ritalinkritiker" wollen dies in aller Regel jedoch gar nicht, das würde ja ihr Weltbild völlig auf den Kopf stellen.

Schätzungsweise 2%-5% der Bevölkerung leiden an dieser Erkrankung. Sie ist somit die häufigste psychische Störung überhaupt, vor allem im Kindes- und Jugendalter. Sie macht sich schon in der frühsten Kindheit bemerkbar macht (also eine Zeit, in der man seine Gefühle und sein Handeln noch nicht verbalisieren und konkretisieren kann), weshalb es so wichtig ist ausgerechnet über diese Erkrankung ausführlich aufzuklären und mit dem Mythos Ritalin ein für alle mal zu brechen.

Warum aber ist ausgerechnet eine Krankheit, an der "so viele" leiden so stigmatisiert? Unser Gehirn arbeitet nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip. Für jede Wirkung suchen wir eine möglichst einfache Ursache. Natürlich ist es leichter einfach den Eltern, den Lehrern oder gar den Kindern die Schuld zu geben als nach den wahren Ursachen zu forschen. Hier müsste man sich nämlich plötzlich mit komplexer Wissenschaft auseinandersetzen.

Hat man also erst einmal die Eltern, Lehrer oder Kinder als Schuldige ausgemacht, dann sieht es natürlich tatsächlich so aus als wolle man das eigene Verhalten durch eine angebliche Krankheit rechtfertigen. Angeblich überforderten Eltern (bzw. Eltern mit einem so "lebhaften" Kind sind in der Regel überfordert) wollen nun angeblich ihr Kind mit "Psychopillen", "Drogen" oder "Beruhigungsmittel" "ruigstellen". Gerade junge Eltern haben Angst auf diesem Gleis abgestempelt zu werden, wenn sie mit ihrem Kind (aus gutem Grund) den Kinder- und Jugendpsychiater aufsuchen.

Gerade diesen Eltern möchte ich einige gute Ratschläge geben:

-Geben Sie sich nicht selbst die Schuld! Sie können absolut nichts dafür. Verstehen Sie aber auch, dass Ihr Kind ebenso wenig dafür kann und unter seinem eigenen Verhalten (welches es ändern möchte, aber nicht kann) ebenso leidet, wie alle anderen. Geben Sie Ihrem Kind Halt, zeigen Sie Verständnis, aber ziehen Sie auch klare Grenzen.

-Kümmern Sie sich nicht um das öffentliche Bild. Tun Sie das, was für Ihr Kind am besten ist. Lassen Sie sich eingehend von Ihrem Arzt beraten und die Krankheit erklären. Schämen Sie sich nicht psychotherapeutische und pädagogische Hilfe (z.B. durch das Jugendamt) in Anspruch zu nehmen. Da haben Sie ein Recht drauf!

-Psychotherapie allein nutzt den Kleinen leider wenig. Die Gespräche tun zwar meist gut, können aber die Impulsivität, Konzentrationsstörung, innere unruhe, usw. kaum einschränken (da organische Ursache). Verhaltensänderungen sind ohne medikamentöse Hilfe kaum durchführbar.

-Beginnen Sie ruhig frühzeitig mit einer medikamentösen Therapie. So können Sie Ihrem Kind viel Leid und Demütigung ersparen. Durch die Leitsymptome werden die Kinder leider häufig zu Außenseitern und liefern nur schlechte schulische Resultate, welche absolut unter deren Möglichkeiten liegen. Methylphenidat (Handelsnamen: Ritalin, Concerta, Medikinet) ist ab einem Alter von 6 Jahren zugelassen, erfreut sich eines Erfahrungsschatzes von über 60 jahren und schlägt bei 80% aller Behandelten erfolgreich an. Alternativen (z.B. Strattera, Wirkstoff: Atomoxetin) stehen zur Verfügung. Durch eine frühzeitige Behandlung können Folgeerkrankungen, schlechtes Selbstwertgefühl und Drogenabhängigkeit stark vermindert werden.

-Hören Sie nicht auf irgendwelche "Ritalinkritiker" oder Verschwörungstheorien. ADHS gibt es wirklich und ist seit etwa 150 Jahren bekannt. Das bekannte Buch "der Struwelpeter" ist die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Krankheit. Selbst im Mittelalter gab es schon Schriften über ein solches Krankheitsbild. Ritalin wurde jedoch erst viel später entdeckt. Mit Methylphenidat wird ein vergleichsweise lächerlicher Gewinn gemacht, an einer "Förderung" von ADHS kann gar kein Interesse bestehen. Ritalin und Co. machen auch nicht abhängig und haben in der Drogenszene kaum Bedeutung. Es ist auch einfach nicht wahr, dass die meisten Amokläufe unter Einfluss von Psychopharmaka stattfanden. Aber wie wahrscheinlich ist es wohl, dass die Täter psychische Probleme hatten?

-Lassen Sie sich nicht davon abschrecken, dass Methylphenidat dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt. Es ist mitnichten ein Betäubungsmittel, sondern eine dem Amphetamin ähnliche Substanz und gehört somit zu den Stimulazien.Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Stimulanzien als Substanzen, "die die Aktivität der Nerven erhöhen, beschleunigen oder verbessern". Menschen mit ADHS wirken nur plötzlich so ruhig, weil sie sich entspannen können, organisierter, klarer, wacher und aufmerksamer sind. Einschlafprobleme werden vermindert, sie fahren nicht mehr "Gefühlsachterbahn". Die Merk- und Konzentrationsfähigkeit und Impulskontrolle sind merklich verbessert. Die schulischen Resultate werden meist schlagartig besser.Nachdem die meisten Nebenwirkungen verflogen sind, nehmen die meisten Kinder ihr Medikament völlig freiwillig, weil sie merken, dass es hilft. Dabei hält die Wirkung gerade mal 4-6 Stunden an. Lassen Sie sich ruhig über Probleme mit dem Medikament berichten und leiten Sie diese an den Arzt weiter.

Auch Erwachsenen sei der Rat gegeben einen Psychiater aufzusuchen, sollten Sie an den typischen und charachteristischen Symptomen leiden. Lebensläufe unbehandelter ADHS sind häufig geprägt durch Misserfolg, Verlust, Depressionen und häufige Schul-, Ausbildungs-, oder Studienabbrüche. Sie nehmen dann häufig Jobs an, für welche sie eigentlich völlig überqualifiziert sind bzw. welche ihrem Potenzial nicht gerecht werden. Erwachsene ADHS haben meist gute Kompensationstechniken erlernt, weshalb die Erkrankung von Außenstehenden oft nur schwer zu erkennen ist. Wenn aber jemand klare Konzentrationsschwierigkeiten hat, Probleme sich zu entspannen und ständig mit den Füßen oder den Händen herumspielt und abwesend scheint, dann sollten Sie ihn mal darauf ansprechen.

Die meisten ADHS'ler profitieren von einer medikamentösen Therapie sehr. Sie fühlen sich wacher, ruhiger, beherrschter, ausgeglichener. Den meisten geht es sehr gut damit. Die als quälend empfundene innere Unruhe wird gedämpft, das Lernen vereinfacht und die Merkfähigkeit verbessert. Schulfrust kann so aktiv begegnet werden.

Der Mythos Ritalin muss endlich aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Jedes Kind hat ein Recht auf freie und gesunde körperliche und geistige Entwicklung und medizinische Hilfe. Jeder, der seinem Kind diese vorenthält, begeht ein Verbrechen an seinem Kind. Scheuen Sie sich nicht auch andere Eltern darauf anzusprechen.

Gleichzeitig muss auch in Schulen endlich besser über die häufigste psychiatrische Störung im Kindes- und Jugendalter aufgeklärt werden, insbesondere bei Lehrern. Es kann nicht sein, dass eine solche Bevölkerungsgruppe so sehr stigmatisiert wird, nur weil die Masse sie nicht versteht. Und die Stigmatisierung erleben viele manchmal als schlimmer als die Krankheit selber. Oder anders gesagt: Auch Stigmatisierung macht krank.

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