Tag 3

Berlinale-Tagebuch ..

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http://29.media.tumblr.com/tumblr_lz90phYRTG1qc4abzo1_500.jpgErneut schaffe ich es gerade noch so mit Halbliter-Kaffeebecher in der Hand und Bagel in der Tasche ins Kino, um den ersten Film zu gucken. Weil dieser im Berlinale Palast gezeigt wird, verbietet man mir allerdings, den Kaffee mit in den Saal zu nehmen. Ich reagiere ungehalten, denn immerhin hatte ich noch nicht einen Schluck von dem überteuerten Getränk zu mir genommen!

Deshalb stelle ich mich an einen Tisch, entferne den Plastikdeckel, um schneller mehr trinken zu können und lasse diesen erst einmal versehentlich fallen. Natürlich landet er mit der Innenseite nach unten auf dem roten Teppichboden und so verteilt sich erstaunlich viel Milchschaum um meine Füße herum, den ich mit der Hitzeschutz-Papp-Banderole in den Teppich zu reiben oder aufzunehmen versuche, auf dass er schnell unsichtbar werde. Als ich nach fünf Schlücken in den Saal will, werde ich erneut abgewiesen, weil dieser hier unten nun voll ist. So steige ich von einer Etage in die nächste und nippe immer wieder am Kaffee. Der Schal weht, die Mütze fällt mir fast vom Kopf und der Schweiß läuft mir von der Stirn, doch überall ist alles voll, bis ich atemlos ganz oben ankomme. Dort gibt es nichts außer Teppich und Gang, keinen Mülleimer und keinen Tisch, um den Kaffeebecher endlich zu enstorgen und so stelle ihn beschämt und ganz schnell und heimlich hinter eine der Türen auf den Fußboden. Endlich kann ich hinein in den Saal. Was für eine Slapsticknummer!

Neben mich setzt sich eine junge Frau, die sofort anfängt zu sprechen: “Also wenn ich ein iPhone hätte, ich würde damit sofort eine Reportage darüber drehen, wie sich die Leute beim Schlangestehen aufregen. Das ist immer der Wahnsinn, was die da alles erzählen!” Ich gucke sie irritiert an. “Findest du nicht?”
Als ich ihr antworte, dass ich wegen der Presseakkreditierung nur sehr wenig anstehen muss, sagt sie: “Ah, du bist eine von den Prviligierten! Nächstes Jahr akkreditiere ich mich auch als Presse!” “Hm.”

“Der eine Darsteller aus dem Film gleich, der wohnt ja bei mir um die Ecke. Den sehe ich immer auf dem Spielplatz. Der ist voll nett. Meine Mutter will, dass ich mir ein Autogramm von ihm hole. Aber das ist doch mein Nachbar, das kann ich doch nicht machen. Oder?” Ich schüttele langsam den Kopf, denke 'Ja ja, deine Mudder' und zum Glück geht das Licht aus, Barbara von Christian Petzold beginnt.

Wieder Nina Hoss. Wieder eine verstörte Frau, die alleine rumsitzt, die alleine rumliegt, die alleine raucht, die alleine durch die Gegend radelt. Dieses Mal lebt sie in der DDR, wurde als Ärztin an die Ostsee strafversetzt, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat und wartet nun darauf, dass sie übers Meer zu ihrem Freund in den Westen flüchten kann. Deshalb distanziert sie sich von allen, sie ist ja insgeheim nur auf der Durchreise. Aber da ist ihr Kollege, der sich um sie bemüht und da sind Patienten, denen gegenüber sie sich öffnet und verpflichtet fühlt undsoweiterundsofort.

Ich mag Petzold-Filme. Ich mag auch diesen, aber ein wenig geht mir dieses reduzierte Sprechen, dieses verstörte Verhalten der Figuren gerade auch auf die Nerven. Vermutlich habe ich in den letzten Tagen bereits zu viele davon gesehen. ‘Seid doch alle mal glücklich!’ will ich laut rufen. Meine Hoch-Zeit im Deutsche-Filme-Gucken hatte ich ganz bestimmt in einer Lebensphase, in der es mir nicht gut ging.

Es gibt für mich zwei Hauptschubladen: die für traurige Problemfilme und die für Filme mit Til Schweiger beziehungsweise Filme, die so sind, als könnte Til Schweiger darin mitspielen. Immer, wenn ich einen sehe, der in keine der Schubladen passt, bin ich glücklich. Barbara gehört halt in die erste Schublade. Aber die ist im Gegensatz zur zweiten immerhin völlig okay.


Danach raus, raus, raus, und rüber, rüber, schnell, schnell, schnell! Der Lieblingsfreund hält mir schon einen Platz frei und wir gucken Iron Sky von Timo Vuorensola. Ein Film, von dessen Existenz ich erst kurz vorm Festival erfahren habe. Dabei wartet offenbar mindestens das halbe Internet schon seit Jahren sehnsüchtig darauf, denn ein Teil der Finanzierung wurde offenbar per Croudfunding im Netz gesichert. Warum? Weil er ganz trashig davon handelt, dass die Nazis damals auf der dunklen Seite des Mondes (The Dark Side of the Moon, haha) heimlich eine Stadt in Hakenkreuzform errichtet haben und jetzt (2018) einen Angriff auf die Erde planen.

Ich habe Allerschlimmstes erwartet, deshalb bin ich positiv überrascht darüber, dass ich mich bis zum Schluss sogar irgendwie unterhalten fühle. Endlich darf ich einmal beim Filmgucken das Denken einstellen. Leider ist aber auch das Fühlen weg: mir sind alle Figuren völlig egal und als wir nach draußen gehen, bin ich allenfalls entspannt. Ganz so, als habe jemand mit einem Besen mein Gehirn leergefegt und Raum für neue Eindrücke geschaffen.

Der Lieblingsfreund jedoch hat schlechte Laune und ich nehme an, dies wird die Reaktion all jener sein, die sich auf den Film gefreut haben. Was ich sonst noch zu Iron Sky sagen möchte? Heil Hering!

Eine Stunde später sitzen wir im dritten Film des Tages. Avalon von Axel Petersen erzählt von reichen schwedischen Yuppies Mitte fünfzig, die in einer Gegend am Meer leben und deren Zeitvertreib ihre dekadente Lebensweise ist ist. Avalon heißt der Club, den Janne gerade neu eröffnet hat. Versehentlich verursacht er einen Unfall, bei dem ein Handwerker stirbt und alle versuchen, dies zu vertuschen. Und eigentlich ist das allen auch ziemlich egal. Ich verstehe bis zum Schluss des Films nicht, was die Figuren fühlen (vermutlich nichts, außer hedonistischer Freude am Rumhängen auf Parties, auf Ausstellungen, am Strand, auf dem Golfplatz und in Autos), ich verstehe eigentlich bis zum Schluss den ganzen Film nicht so richtig, dauernd bin ich mit meinen Gedanken woanders und harre nur der Vollständigkeit halber im Kino aus.

Als anschließend die Hauptdarsteller, der Regisseur und die Produzenten anwesend sind, erscheint es mir seltsam, dass sich alle mit der Gegend dort in Schweden verbunden fühlen, als seien sie heimlich selbst Teile jener Welt, die sie doch gerade vorgeführt haben. Wir erfahren, dass die weibliche Hauptdarstellerin vorher noch nie gespielt hat und die Rolle bekam, weil sie die Tante des Regisseurs ist. Das wiederum ist erstaunlich, denn tatsächlich war sie am besten, auch besser als Johannes Brost, der in Schweden sehr bekannt sein soll, dort aber sonst angeblich ganz andere Sachen spielt. Was, wird nicht verraten. (Meine spätere Recherche ergibt, dass ihm der Durchbruch mit der Rolle in einer Soap Opera – hihi – gelang und er jetzt in Stand Up Comedy macht). Es ist mir egal, dass es unhöflich ist, aber ich will nach Hause und so verlassen wir das Kino, während der Großteil der Besucher geduldig oder interessiert dem Q&A lauscht.

In The Land of Blood And Honour von Angelina Jolie schwänze ich. Zu viele Menschen haben mittlerweile kundgetan, dass er sich nicht lohnt und noch eine langweilige Pleite ertrage ich heute nicht.
Außerdem tun mir meine Beine weh: Bereits wenn ich einen Film ansehe, beginnen währenddessen meine Knie zu schmerzen und in den letzten Tagen habe ich mittlerweile Stunden verbracht, mit automatisch falsch angewinkelten Beinen mehr oder weniger regungslos auf Kinosesseln zu sitzen. Ach, ist mein Leben nicht wunderbar anstrengend!?

Zuhause angekommen, höre ich mir erst einmal Avalon von Roxy Music an.

Gesichtete Promis: Johannes Brost

Filmplaner für morgen:
friends after 3.11 von Iwai Shunji
Shadow Dancer von James Marsh oder For Ellen von So Yong Kim
Key Hole von Guy Maddin
Leave it on the Floor von Sheldon Larry (falls ich nicht zu erschöpft bin)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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