Haha, du trägst ja Nagellack!

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Vor etwa acht Jahren fing ich an zu bloggen. Aus Vorsicht tat ich das lediglich unter einem Pseudonym und auch Bilder von mir lud ich damals nicht ins Netz.
Erst zwei Jahre später gab ich im Rahmen eines Blogbuchprojekts meine Anonymität auf.

Weil mir unter anderem die Diskussionskultur in Blogs oft nicht gefiel, man mich schon mal beleidigte und persönlich angriff und ich auch unterschwellig Angst hatte, jemand könne irgendwann vor meiner Haustüre stehen - denn leider hatte ich beim Erstellen des Blogs nicht gewusst, dass bei der Denic, der zentralen Registrierungsstelle für alle .de-Domains sehr wohl meine Adressdaten abrufbar waren - habe ich irgendwann ein neues Blog mit einer obskuren Domain-Endung angelegt, bei dem es auch bald keine Kommentarfunktion mehr gab. Ich wollte meine Ruhe haben, einfach ein wenig schreiben und hatte schlicht keine Lust mehr auf Konfrontationen, von denen ich mich zu wenig abgrenzen konnte. Ähnlich ging es seinerzeit auch Anke Gröner, die damals ausführlich erklärte, weshalb sie ihre Kommentarfunktion deaktviert hat.

Wie viele Zugriffe ich mittlerweile habe, ob ich in den Blog-Charts bin oder nicht, ist nicht relevant für mich. Ich mag meine kleine Nische, in der ich mich schreibend aufhalte. Aber ich habe durchaus Verständnis dafür, dass dies nicht allen Frauen recht ist, dass sie von vielen gelesen und gehört werden wollen. Und das, ohne befürchten zu müssen, angegriffen zu werden, verfolgt oder bedroht.

Zu ebendiesem Thema gab es gestern unter dem Titel „Das andere Geschlecht – Sexismus im Netz“ auf der re:publica eine Diskussion mit Anne Roth, Anna Berg und Klaus Schönberger. Sie sprachen darüber, wie sich Frauen im Netz einrichten, wieso sie trotz angeblicher Überzahl viel weniger präsent sind und wie sie mit sexistischen Anfeindungen umgehen.

Wichtigkeitsdebatte

Gleich zu Beginn wunderte sich Anne Roth darüber, dass in den deutschen Blogcharts erst auf Platz 35 eine Frau auftaucht, ist der Ausschluss der Frauen im echten Leben doch längst nicht so eklatant. Aber die meisten Frauen bloggen nicht über publizistische Themen, verstehen sich nicht als Journalistinnen, mit denen die sogenannten Alpha-Blogger konkurrieren, und bauen stattdessen Netzwerke auf und pflegen Freundschaften. Was wichtig ist, definieren letztendlich ohnehin nicht irgendwelche Charts, so Anna Berg, sondern ist das Resultat einer ganz persönlichen Entscheidung. In diesem Zusammenhang gilt es dann auch zu überlegen, ob es überhaupt der richtige Ansatz ist, auf die Blogcharts zu schauen, durch die allenfalls deutlich wird, dass eben nicht mit allen gleich umgegangen wird und wir längst noch nicht „postgender“ sind, wie es an vielen Stellen behauptet wird.

Frauen drängen sich weniger in den Vordergrund, tauchen zum Beispiel weniger in Panels auf, auch wenn die Organisatoren sehr gerne mehr Frauen auf ihren Veranstaltungen sähen. Was also bringt Männer dazu, sich viel wichtiger zu nehmen? Anna Berg äußerte die Überlegung, dass Frauen aufgrund von Sozialisation keinen so starken Drang haben, sich nach vorne zu pushen und sich auch nicht angreifbar machen wollen. Wenn es beispielsweise schon politische Blogs gibt, muss nicht noch ein weiteres ins Leben gerufen werden. Und auch um Karriere zu machen, wollen oder können sich die meisten Frauen nicht so aufplustern wie viele Männer. Anne Roth fragte, ob sie das überhaupt sollten. Was Anna Berg energisch bejahte, auch wenn sie die entsprechenden Männer gar nicht mag. Aber sie möchte, dass Frauen den Mut haben, auch einmal mehr Wissen und Kompetenz vorzutäuschen.

Jedoch, ein Sendungsbewusstsein zu haben, daran zu glauben, etwas zu sagen zu haben und zu dürfen, ist nicht von heute auf morgen änderbar, so Klaus Schönberger. Niemand kann dies von einem Tag auf den anderen beschließen, dies bedarf vielmehr einer fortdauernden Auseinandersetzung, ist ein längerer Prozess.

Postgender?

Als Frau begegnet man im Netz immer wieder Sexismen, auch in ganz normalen Diskussionen. Anna Berg nannte Beispiele („Du musst nur mal wieder ordentlich durchgebügelt werden, dann bist du wieder entspannter.“) und Klaus Schönberger ergänzte, dass auch Männer Sexismen erfahren, wenn sie beispielsweise ruhiger sind und sanft, und man ihnen unterstellt, sie seien schwul.

Anna Berg erzählte von eigenartigen Verschwörungstheorien von Männern, Maskulinistenforen, in denen die Meinung kursiert, emanzipierte Frauen wollten alle Männer ausrotten. Sie vermutete, dass diese Männer ihren eigenen Hass auf die Frauen projizieren und davon ausgehen, dass die Frauen ebenso über Männer denken. In diesem Zusammenhang wurde dann auch im Chat zum Live-Stream eine entsprechend aggressive Diskussionen vermutet.
Hierzu gibt es mittlerweile einen ausführlichen Text von der Bloggerin Piratenweib, die exemplarische Beispiele aus dem Live-Chat anführt und wo in den Kommentaren überdeutlich wird, um was es Anna Berg beim Beschreiben der Anfeindungen ging.

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Und auch in vielen kleinen und vermeintlich nicht schlimmen Situationen, spiegelt sich sexistisches Verhalten wider: Eine Frau aus dem Publikum berichtete beispielsweise davon, dass auf der re:publica Männer, die sie vorher nur online kannte, ausgelacht hatten, weil sie Nagellack trug und wurde intellektuell und fachlich plötzlich nicht mehr von ihnen ernst genommen.

Es herrschte ein wenig Hilflosigkeit gegenüber all diesen Erscheinungen. Mehr als „macht es öffentlich“ und „sprecht darüber und versucht, die Dinge zu verändern“, fiel vorerst niemandem ein - was aber immerhin verhindert, dass die Leute denken, es gebe diese Probleme nicht mehr.
Klaus Schönberger riet, dass es sinnvoller ist, nur einzelne Projekte anzugehen, da es nicht mehr die klassische Organisationsform der großen politischen Bewegung gibt.
Anne Roth freute sich, dass immerhin der erste Schritt getan ist, die momentanen Zustände nicht mehr einfach hingenommen werden, sie offensichtlich nicht nur Einbildung sind, obwohl ja mittlerweile nicht nur einzelne Piraten behaupten, dass unsere Gesellschaft längst „postgender“ sei, sondern auch viele Frauen.
Anna Berg vermutete, dass diese Frauen einfach nicht Opfer sein wollen, sich beispielsweise nicht darüber definieren möchten, dass sie nicht in irgendwelchen Blogcharts auftauchen. (Ich glaube ja, dass viele schlicht zu faul sind, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, solange sie einigermaßen zurecht kommen.)

Aus dem Publikum wurde angemerkt, dass es auch ein Problem ist, dass die meisten Frauen eine andere Form der Kommunikation haben als viele Männer. Es gibt nur wenige weibliche Trolle und Trolle generell gehen auf alles los. Auch auf feministische Blogs, aber eben nicht nur.
Das Ganze ist also angeblich gar nicht mal ein Frauenproblem, sondern ein Internetproblem.

Es gibt bereits einen Text von Antje Schrupp, die sich ausführlich mit ebendiesem Punkt der gestrigen Diskussion beschäftigt hat:
„Es geht bei diesem Thema also nicht nur darum, inwiefern Frauen Opfer von Sexismus sind, sondern auch darum, welche Art von Diskussionskultur wir wollen und wie gelassen wir gegenüber Leuten sind, die nichts zur Diskussion beitragen, sondern einfach nur mal ihre Meinung raushauen, und wenn sie auch nur darin besteht, die anderen doof zu finden. Je höher hier die Toleranzschwelle ist, desto langweiliger sind die Diskussionen (“Dummheit ist langweilig” brachte es eine Teilnehmerin aus dem Publikum auf den Punkt) und desto schwieriger, zu den wirklich spannenden Themen und Argumenten zu kommen..“

So können Frauen also technisch sofort losbloggen, wie aus dem Publikum mehrmals betont wurde, aber es gibt nach wie vor Hemmschwellen und Einschränkungen gesellschaftlicher Natur und es ist offenbar schwierig, dafür ein allgemeines Verhaltenskonzept zu erstellen.

Es hat tatsächlich eine ganze Weile gedauert, bis ich mich hier beim Freitag wieder an die Kommentarfunktion gewöhnt habe und privat schreibe ich auch weiterhin sehr gerne in meiner kuscheligen, unaufgeregten Nische.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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