Energiewende nicht bremsen, sondern erweitern

Energiewende Die konservativen Lobbyverbände können jubeln. Allen voran die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft - sie hat im Sinne ihrer Geldgeber ganze Arbeit geleistet

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Seit Jahren bekämpft sie die Energiewende mit viel Geld und harten Bandagen. Medien, Öffentlichkeit und Politiker diskutieren fast nur noch über die ach so teuren Erneuerbaren Energien, die ohne entschiedenes Eingreifen den Untergang des Abendlandes einleiten. Nur einige „Unverbesserliche“ reden noch über den Klimawandel, über den gescheiterten Emissionshandel, über die gefährliche Verknappung von Öl und Gas, über Fukushima und die bleibenden Gefahren der Atomenergie – oder gar über die enormen Chancen und Wettbewerbsvorteile, die uns die Erneuerbaren Energien verschaffen. Mit viel Geld und den richtigen Kontakten hat die alte Lobby offensichtlich die Einflusshoheit zurückgewonnen.

Eine Kehrtwende (die nur nicht so genannt wird)

Zwar ist die Energiewende spätestens seit der Union-FDP Regierung zum Stiefkind geworden, jetzt ist sie aber durch ein deutlich breiteres Bündnis wirklich gefährdet. Die Situation ist kritischer als es dargestellt wird: Steigende CO2-Emissionen auch in Deutschland! Emissionshandel am Boden! Effizienzoffensive: Fehlanzeige! Die Ausweitung der Erneuerbaren Energien auf den Wärmebereich: gescheitert! Ausbauziele Kraftwärmekoppelung: verfehlt! Netzintegration: stockt! Statt all diese Probleme anzugehen, sieht die Regierung allerdings das Haupthandlungsfeld beim Einschränken der Erneuerbaren Energien.

Würden mit einer breiten politischen Offensive all die genannten Fehlentwicklungen aufgegriffen, dann wäre es glaubwürdig innerhalb eines großen Gesamtpakets auch das EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) zu modernisieren. Natürlich sollte es auch dann ein Hauptaugenmerk sein, die Verbraucher zu entlasten - z.B. durch Einschränkung der Industrierabatte - ohne die Ausbauziele zu gefährden.

Mittlerweile ist es zu einer Umkehrung der Argumentationskette gekommen. Noch vor einigen Jahren gehörte es zum Allgemeinwissen, dass die Erneuerbaren Energien der Grundpfeiler der Energiewende sind. Mittlerweile werden sie so heftig bekämpft, dass man den Eindruck gewinnen könnte, dass vor allem ihr Ausbau gebremst werden müsste, um Energie wieder billig zu machen. Wer den Ausbau Erneuerbarer Energien am meisten beschneidet, gilt als größter Retter der Energiewende. Was für ein Hohn.

In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass es völlig abstrus ist, ausgerechnet beim Strompreis die schiefe soziale Lage wieder ins Lot bringen zu wollen. Gerade diejenigen, die sonst jedes neoliberale Gesetz und Vorhaben unterstützen, wollen ausgerechnet bei der EEG-Diskussion ihr soziales Herz entdecken.

Jetzt muss die Lobby nur noch daran arbeiten, die Atomenergie wieder hoffähig zu machen. Ramsauer wird nicht der letzte prominente Politiker sein, der die Atom-Renaissance öffentlich herbeiredet. Weil aber der Zug jahrelang in die andere Richtung fuhr, trauen sich von den Bremsern aber bisher noch nur wenige das Kind wenigstens ehrlich beim Namen zu nennen, nämlich dass sie eine komplette Kehrtwende, also den Ausstieg aus der Energiewende haben wollen. Um dies zu kaschieren, bedient man sich des einfachen Tricks, so zu tun, als wolle man mit diesen angeblich notwendigen Maßnahmen die Energiewende sogar retten. So wie mit Minijobs, Leiharbeit und Rente mit 67 der Sozialstaat gerettet werden sollte.

Schiefe Kostendebatte

Im Wesentlichen geht es also bei der EEG-Reform allein um die Deckelung des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren Energien mit dem Argument, die Kosten zu senken. Für den größten Anteil an der Koststeigerung bei der EEG-Umlage sind aber nicht die Neuanlagen, sondern der gesunkene Börsenstrompreis und die Industrierabatte verantwortlich. Die Altanlagen haben Bestandsschutz. Mit den jetzt verkündeten Maßnahmen wird es nicht zu einer Kostensenkung kommen. Es fehlt der Mut, die Industrierabatte von den Unternehmen wirklich zurückzufahren, die sich nicht im internationalen Wettbewerb befinden. Diese Subventionen für die Industrie (5,1 Mrd. Euro) müssen von den klein- und mittelständischen Unternehmen und von allen privaten Verbrauchern zusätzlich bezahlt werden. Allein 1 bis 2 Mrd. Euro könnten bei zielgenauen Entlastungen eingespart werden.

Warum wird wohl nicht laut darüber gesprochen, dass während die Preise für normale Verbraucher steigen, die Energiekosten der Industrie nicht nur stabil sind, sondern seit drei Jahren sogar sinken? Oder warum der Strompreis an der Börse trotz oder wegen der Erneuerbaren Energien sogar sinkt und dennoch die Verbraucherpreise steigen? Für eine differenzierte Debatte müsste ebenfalls erwähnt werden, dass beispielsweise die Windkraft schon heute mithilft, die Energiekosten (Merit-Order-Effekt) zu senken. Davon profitiert die deutsche Industrie bereits jetzt. Mittelfristig wird unsere Volkswirtschaft, werden also wir alle sowieso auch finanziell vom Ausbau der Erneuerbaren profitieren. Betrachtet man nämlich die Jahr für Jahr immer größer werdenden Brennstoffeinsparungen im Verkehrs- und Wärmesektor, so kommen Wissenschaftler vom Fraunhofer Institut zu dem Schluss, dass diese ab ca. 2030 höher sind, als die in dem Jahr anfallenden Kosten für die Erneuerbaren Energien.

Schauen wir uns die letzten 10-15 Jahre an, dann fällt auf, dass die Preise für Wärme und Benzin deutlich stärker angestiegen sind als die von Strom. Dabei macht Strom durchschnittlich nur 2,5 Prozent der Haushaltsausgaben aus - Warmwasser, Heizung und Auto müssen dagegen dreimal höher veranschlagt werden. Normalerweise dürfte also in keiner Politikerrede fehlen, dass die Kosten differenziert zu sehen sind. Die meisten sind aber nicht mal so ehrlich, die Subventionen, Steuervergünstigungen und Folgekosten der konventionellen Energien, also der Atom- und fossilen Kraftwerke, mit in der Debatte zu berücksichtigen. Dabei geht es hier in den letzten Jahrzehnten um dreistellige Milliardenbeträge! Laut einer Studie des FÖS sind dies zwischen 1970 und 2012 311 Mrd. Euro für Steinkohle, 213 Mrd. Euro für Atomenergie und 87 Mrd. für Braunkohle. Dabei sind die Gesundheitsfolgekosten noch nicht einmal mit eingerechnet.

Wir haben über Jahrzehnte ohne Murren gigantische Summen für Technologien ausgegeben, für deren Folgen noch viele Generationen die Kosten tragen müssen. Wenn wir aber für nachhaltige, ressourcenschonende, klimafreundliche Technologien, wie die Erneuerbaren Energien, mehr Geld ausgeben sollen, dann werden die Menschen von Aufpeitschern heiß gemacht, weil dies ja für die armen Bürger unbezahlbar sei und es demnächst zu einem Exodus der Industrie käme. Na klar, jeder kann auf seiner Stromrechnung ganz transparent die Förderkosten der Erneuerbaren sehen. Dass jeder für die konventionellen Energien mehr bezahlt, wird nicht so transparent aufgelistet. Läge man diese versteckten Kosten auf den Strompreis um, beliefen sich diese auf ca. 10 Cent pro Kilowattstunde.

Es geht um viel mehr als „nur“ um Strom

Wir müssen nicht nur über Kosten reden, sondern endlich auch die anderen Ziele wieder in den Vordergrund stellen: Klimaschutz, Nachhaltigkeit, die Energieversorgung auch in Zukunft sicher zu machen und unabhängiger von Importen zu werden. Strom macht 39% des Primärenergiebedarfs von 3610 TWh aus, aber nur 14% der Primärenergiekosten von 83 Mrd. EUR.

Die meisten Klimawandel-Vorhersagen – die viele für übertrieben gehalten haben – wurden nun noch nach oben korrigiert. Kaum jemand glaubt noch, dass wir das 2-Grad-Ziel einhalten können, auch unsere europäischen Ziele (die wir immer weiter nach unten schrauben) werden wir so sicher nicht erreichen. Ein Kurswechsel wird immer teurer, die Anpassungsmaßnahmen werden zukünftige Haushalte immer stärker belasten, aber wir diskutieren vor allem über die teuren Erneuerbaren Energien. Ein Lichtblick, dass wenigstens die Umweltministerin Sofortmaßnahmen zum Klimaschutz einfordert. Doch wie viel Rückhalt hat sie in der Regierung überhaupt?

Viele gute Initiativen, die im SPD-Regierungsprogramm standen, haben es nicht mal bis in die Koalitionsverhandlungen geschafft, auch da hat man lieber auf die Lobbyeinflüsterer gehört als auf die Experten in der eigenen Partei. Die Umweltverbände reagieren häufig hilflos und die eigentliche Gegenlobby der Erneuerbaren-Energien-Verbände ist angeschlagen und nicht gut aufgestellt. Gilt wirklich das Strucksche Gesetz, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es reinkommt? Dann wäre es jetzt höchste Zeit für die Volksvertreter mal Mut zu beweisen. Das Regierungsvorhaben ist nicht der Untergang der Erneuerbaren Energien, aber es wird viele Investoren abschrecken. Die Kurzstudie des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung zeigt auf, dass der Kabinettsentwurf der Regierung die deutsche Wertschöpfung bremsen wird.

Die jetzige Debatte ist einseitig und unehrlich, die Lösungsvorschläge kontraproduktiv und lobbygesteuert. Wir müssen endlich Schluss machen mit dem verkürzten Blick auf die Erneuerbaren Energien, sondern die Gesamtkosten der Energieproduktion betrachten. Wir müssen die Energie- und Klimapolitik als Gesamtherausforderung betrachten und nicht nur Details problematisieren. Wenn wir der Macht und dem Geld der Lobby etwas entgegensetzen wollen, dann bräuchten wir zudem eine breite neue Bewegung, die sich nicht nur gegen etwas (Anti-Atomenergie), sondern für eine nachhaltige Energiewende mit allen Konsequenzen engagiert. Dabei geht es bei Weitem nicht nur um das EEG, auch wenn es weiterhin ein wichtiger Pfeiler der Energiewende bleiben sollte.

Wir brauchen eine breite Offensive um die Energiewende voran zu bringen, ein Gesamtpaket aller Vorhaben, die alle schon längst formuliert wurden: ein Klimaschutzgesetz und die Belebung des Emissionshandels, die Anpassung des Strommarktes an den wachsenden Anteil der Erneuerbaren, einen angemessenen Stromnetzausbau, eine Effizienz- und Suffizienzoffensive, die Einhaltung der KWK-Ziele, ein Gesetz für die Erneuerbare Wärme, eine breite Diskussion über den Umgang mit der Verknappung des Öls und einen Ausgleich für Verbraucher (vor allem mit geringem Einkommen) für die Steigerung der gesamten Energiekosten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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