Verhöhnung des Parlaments

Griechenlandhilfen Wieder einmal ist ein neues Griechenland-Paket in Windeseile durch den Bundestag gepeitscht worden. Eine Verhöhnung der Parlamentarier
"Die Bundesregierung versucht nicht einmal mehr im Ansatz, das Parlament ausreichend zu informieren und einzubinden"
"Die Bundesregierung versucht nicht einmal mehr im Ansatz, das Parlament ausreichend zu informieren und einzubinden"

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Am Dienstag in der Sitzungswoche erfahren viele Abgeordnete zum ersten Mal, dass der Bundestag nur zwei Tage später der nächsten Tranche der Griechenlandhilfe in Höhe von 43,7 Milliarden Euro zustimmen soll. Zunächst wird zu der Thematik lediglich ein zweiseitiges englisches Papier vorgelegt. Mit Hilfe dieses Papiers und den spärlichen Informationen aus der Presse sollen die Fraktionen sich eine Meinung bilden. Mehr als ein schlechter Witz.

Im Laufe des Mittwochs trudeln dann die grundlegenden Texte mit 83 Seiten bzw. 153 Seiten in den Büros ein. Es ist aber unmöglich, diese Texte in so kurzer Zeit in der gebotenen Sorgfalt durchzuarbeiten, geschweige denn, darüber zu diskutieren und zu einer angemessenen Entscheidung zu kommen. Zudem weiß jeder, der solche Vorlagen kennt, dass man daraus wenig schlau wird und es wichtig ist, dass die Experten in den Fraktionen ihre Kollegen anleiten können. Hier geht es schließlich nicht um Nebensächlichkeiten. Es geht immerhin um 44 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt wären das mehr als die kompletten Etats von Verkehr/Bau (25,9 Milliarden Euro) und Gesundheit (14,5 Milliarden Euro) zusammen. Wer meint, dass man das auch in zwei, drei Tagen erledigen kann, liegt völlig daneben. Auch wenn die Gesamtdiskussion älter ist, sind die vorgelegten Entscheidungen neu und kamen erst in der Nacht vom Dienstag in der Sitzungswoche zustande. Selbst Experten, die Tag und Nacht durcharbeiten würden, wäre es unmöglich, hier einen guten Überblick zu bekommen. Von den Abgeordneten können sich aber wohl höchstens 5% zu den Fachkundigen zählen.

Man darf zudem nicht vergessen, dass wir Abgeordnete in der gleichen Woche etliche Fraktions- und Ausschusstermine, Berichterstattungen, wichtige andere Entscheidungen und die normale Alltagsarbeit haben, die von uns bewältigt werden muss. Zudem gibt es keinen plausiblen Grund, darüber nicht eine Woche später abzustimmen, außer, dass der Parteitag der Union nicht gestört werden darf.

Wir werden vorgeführt

Auf Druck der SPD-Fraktion wurde die Abstimmung von Donnerstag auf Freitag vertagt. Aber auch ein Tag mehr macht den Vorgang nicht akzeptabler. Leider ist diese Vorgehensweise keine Ausnahme, sondern scheint zur Regel zu werden. Auch viele Kolleginnen und Kollegen sind deswegen sehr brüskiert. Wir werden hier regelrecht vorgeführt. Anscheinend soll keiner mehr durchblicken, sondern wir der Regierung mit blindem Gehorsam folgen. Genau dies konterkariert aber die demokratische Legitimierung des Parlaments. Ich konnte deshalb nur den Schluss ziehen, dieses Spiel nicht mehr mitzuspielen.

Das Vorgehen der Bundesregierung ist einfach völlig indiskutabel. Sie versucht nicht einmal mehr im Ansatz, das Parlament ausreichend zu informieren und einzubinden. Für mich ist das eine Verhöhnung des Parlaments. Wenn wir Abgeordneten das weiterhin akzeptieren, dürfen wir nicht mehr erwarten, ernst genommen zu werden. Das Parlament wird so zu einer reinen Hilfstruppe der Regierung und verliert den Anspruch, Entscheidungsträger und Zentrum unserer parlamentarischen Demokratie zu sein. Aber genau dies gibt das Grundgesetz uns vor.

Auch die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihren Abgeordneten, dass ihre Entscheidungen verantwortungsvoll und gut überlegt sind. Diese Art von Politik werde ich auch zukünftig nicht hinnehmen. Wann werden die Abgeordneten endlich wach und lassen sich solch eine Vorführung nicht mehr bieten? Wann beginnen wir endlich, ein Parlament zu sein, welches verantwortungsvoll, eigenständig und transparent zu Beschlüssen kommt? Die Debatte darüber ist überfällig, und sie wird erst ernst genommen, wenn das Parlament den Gehorsam mal verweigern sollte.

Marco Bülow ist Bundestagsabgeordneter der SPD

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