Still und heimlich aus dem Staub gemacht

Italien Sie kommen aus dem Urlaub zurück und ihr Betrieb ist leer geräumt. Die Horrorvision eines jeden Arbeitnehmers ist diesen Sommer in Italien Wirklichkeit geworden

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Still und heimlich aus dem Staub gemacht

Foto: Giuseppe Cacace/AFP/Getty Images

Begonnen hat es am 3. August. Traditionell die Hauptferienzeit um Ferragosto, nutzte die Geschäftsleitung der Firem in Modena die Urlaubsschließung ihres Werkes, um alle Maschinen und Büroeinrichtungen aufzuladen und nach Polen zu schaffen. Am 16. August fanden die 40 Arbeitnehmer nur noch die leere Hülle des Familienbetriebs vor, der hier in 3. Generation Heizkomponenten und elektrische Schutzschalter herstellte. Mitteilungen an Arbeitnehmervertreter, Sozialpartner oder gesetzliche Meldungen ebenso Fehlanzeige wie die Auszahlung des ausstehenden Lohns für Juli: Länger als eine Woche hüllte sich der Werkseigentümer in vollständiges Schweigen

Ähnliche Pläne hegte die Dometic in Forlì. Der schwedische Multi Dometic-Group produziert mit rund 70 Arbeitnehmern am Standort in der Emilia-Romagna vor allem Generatoren und Klimaanlagen für Campingfahrzeuge. Aufgeschreckt von suspekten nächtlichen Bewegungen um eine Fabrikhalle herum, riefen einige Arbeiter ihre Kollegen aus dem Urlaub zurück und blockieren mit Dauerpräsenz die Betriebsstilllegung per Entkernung. Zusammen mit dem schwedischen Head of Operations Hakan Ekberg und einem weiteren, ungenannten Verantwortlichen der Muttergesellschaft hatte die lokale Geschäftsführung bereits einige Büros ausgeräumt. Nur die noch in der Nacht vom 23. August herbeigerufene Polizei konnte den Medien zufolge den Abtransport von fertigen Produkten und Maschinen in größerem Stil verhindern. Angebliches Ziel: China.

Der bislang letzte Fall ist die Hydraulic Lift in Pero. Die italienische Aktiengesellschaft, die in der kleinen Gemeinde nahe Mailand mit 30 Arbeitnehmern Aufzugkomponenten herstellt, hatte mitten in der Ferienzeit schriftlich mitgeteilt, Kurzarbeit beantragen zu wollen. Wie kurz, stellte sich am 26. August heraus, als die Beschäftigten vor verschlossenen Toren standen.

Auch hier, wie in den anderen Fällen, stand die lokale Geschäftsführung nicht einmal fernmündlich zur Verfügung, das Telefon war abgeschaltet worden. Das gestrige Zusammentreffen mit der Geschäftsführung von Hydraulic Lift unter Vermittlung der Arbeitgebervereinigung verlief nach Angaben der Metallarbeiter-Gewerkschaft FIOM frostig. Die Entscheidung der Geschäftsleitung habe nicht in Frage gestellt werden können und das bei einer Fabrik, „die keinerlei Probleme mit der Auftragslage hat und nur kündigt, um die Profite zu erhöhen.“ Unbestätigten Berichten zufolge sei auch hier das Ziel ein Umzug nach Polen.

Der "Herr im Haus" will zu „Personen und Familien“ nichts sagen

„Die ganze Wahrheit“ sei, so Fabrizio Pedroni, Inhaber der Firem im telefonischen Interview gegenüber Bloomberg von Polen aus, dass er das Überleben seines Geschäfts wolle und es "keine angemessenen Verhältnisse mehr gibt, um in Italien wirtschaften zu können.“ Eine Woche vorher hörte sich das freilich gegenüber dem italienischen Il Resto del Carlino noch anders an: „Ich schulde niemandem Rechenschaft, wohin ich meine Maschinen schaffe. Wenn ich im eigenen Haus umziehen will, muss ich niemanden fragen.“ Auf den Vorhalt, dass er gegenüber den Arbeitnehmern Verpflichtungen hat: „Natürlich tun mir die Personen und ihre Familien leid, aber dazu will ich nichts sagen, darüber wird höchstens nächsten Dienstag zu sprechen sein.“ Was im Ergebnis bedeutet, dass der Unternehmer gerade einmal eine zweite Rate von 350 Euro auf das ausstehende Juligehalt ausgezahlt hat.

Die Sprache der Arbeitnehmervertreter ist ebenso unmissverständlich geworden. „Wir beharren außer in der Sache selbst auch auf der Methode“, erklärt die FIOM zur Schließung von Hydraulic Lift: „Eine funktionierende Fabrik in eine Industriebrache zu verwandeln und die Arbeitnehmer im August auf die Straße zu setzen.“ Die Wahl der Mittel sei „barbarisch“.

Am kommenden Dienstag soll es im Arbeitsministerium in Rom zu einem Treffen mit Minister Enrico Giovannini kommen. Der parteilose frühere Chef des italienischen Statistikamtes ISTAT und Chefstatistiker der OECD wird dann unter Beweis stellen können, ob er auch anders als mit Zahlen kann, nämlich so das Ziel der FIOM: Eine beschämende Praxis zu beenden, die in Mode gekommen ist – die der kalten Betriebsschließungen. MS

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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