Gesa Ziemers Komplizenschaften

Fragil Komplizenschaften, wo immer sie auftauchen, sind temporär begrenzt, aber effektiv. Gesa Ziemer hat dieses Phänomen der Zusammenarbeit untersucht.

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Schönheit, Heldentum und Leidenschaft, aber auch Rebellion, Glamour und Glück sind Begriffe, die laut Studien von Gesa Ziemer am häufigsten mit „Komplizenschaft“ assoziiert werden. Der am häufigsten mit Komplizenschaft assoziierte Film sei "Bonnie and Clyde" (1967).

Ziemer, Professorin für Kulturtheorie und kulturelle Praxis an der HafenCity Universität Hamburg, forscht schont seit ein paar Jahren zu neuen, innovativen Formen des Zusammenarbeitens in künstlerischen Prozessen und urbanen Alltagsräumen. Kürzlich erschien bei Transcript ihr aktuelles Buch „Komplizenschaft – Neue Perspektiven auf Kollektivität“, welches als eines seiner Ziele die Um- oder vielmehr Neubewertung komplizitären Agierens anstrebt.

Der Begriff „Komplizenschaft“ meint laut schweizerischem Strafrecht die vorsätzliche Mittäterschaft an einer Straftat. Dieses Modell des praktischen, unberechenbaren und kollektiven Agierens überträgt Ziemer für ihre Studien auf künstlerische und nichtkünstlerische Arbeitsprozesse, in denen Menschen, teilweise am Rande der Legalität, zumindest in alternativen Strukturen und somit grenzüberschreitend aktiv werden. Laut Ziemer resultiert Komplizenschaft häufig aus einer Gegenwehr der Schwachen, wobei sich Schwächere eben nicht auf schon vorhandene Institutionen stützen könnten, sondern sich ihre Aktionsfähigkeit erst erschaffen müssten. Weil diese Arbeitsprozesse mit vielen Emotionen verbunden seien, würden Komplizenschaften häufig mit Freundschaft verwechselt.

Wir sind Arbeitskraftunternehmer

Die öffentliche Meinung idealisiert und romantisiert Komplizenschaft oftmals, wobei vermeintliche moralische Grundsätze auf den Kopf gestellt werden, so zeigten z. Bsp. ethnografische Studien, dass Bankraub in weiten Teilen der Gesellschaft mit Sympathiegefühlen und Identifikation beantwortet würde. Doch wie sieht es im eher legalen Bereich, der Arbeitswelt, mit Komplizenschaften aus?

Ziemers Kapitel zu unseren transformierten Arbeitswelten beschreibt eine Welt, in der seit spätestens 1980 die Zeit des verberuflichten Arbeitnehmers vorbei ist. Wir befinden uns nunmehr im Zeitalter des verbetrieblichten Arbeitskraftunternehmers und wie der Begriffsanteil „-unternehmer“ schon andeutet, wird eine steigende (kreative) Eigeninitiative, „Selbstaktivierung“ und Identifikation mit dem Arbeitsplatz oftmals vorausgesetzt. Umso prekärer die Arbeitsverhältnisse gestaltet sind, umso wichtiger werden selbstverständlich Verbündete im Arbeitsfeld. Laut Ziemers ungeschönter Analyse sind daher nonverbale Verständigung und Hierarchien überschreitende, temporäre Solidarisierungen für die erfolgreiche Umsetzung von Projekten heute wichtiger als je zuvor.

Ein weiteres Kapitel widmet sich kollektiver künstlerischer Arbeit. Hier beleuchtet Ziemer Künstlergruppierungen, die in ihren Projekten Vorstellungen von Identität, Originalität und Autorschaft auf vielfältige Weise hinterfragt haben. Ein Beispiel ist das Janez-Janša-Projekt, in dessen Rahmen drei Künstler aus Ljubljana 2007 den Namen des damaligen amtierenden Regierungschefs Sloweniens annahmen. Nach der offiziellen Umänderung ihrer persönlichen Dokumente beobachteten und dokumentierten die drei Janšas die teilweise irritierten Reaktionen ihrer Umwelt, Freunde, Kollegen auf ihre Umbenennung.

Das Buch wird ergänzt durch einen beigelegten Film von Barbara Weber und Gesa Ziemer. Er ist als eigenes Kapitel gedacht und fügt der Annäherung an die Thematik sinnliche Ebenen hinzu.

Ziemers Buch ist sehr spannend zu lesen, die Autorin verbindet ihre theoretischen Überlegungen mit vielen interessanten und anschaulichen Beispielen. Es lässt sich abschließend feststellen: Wissenschaft nützt und Komplizenschaft auch!

"Komplizenschaft - Neue Perspektiven auf Kollektivität" von Gesa Ziemer ist im Transcript-Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.

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