Filmfestivals für Fortgeschrittene:

Fantasy-Filmfest Alle Jahre wieder. Im Sommer findet das Fantasy-Filmfest statt. Das wird aber kein verkappter Werbeartikel.

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Was 1987 in einem Hamburger Programmkino als Spartenfestival für Fans des Besonderen begann, entwickelte sich innerhalb von wenigen Jahren zum Tourneefestival für Fans und ist mittlerweile ein bundesweites Kommerzfestival. Mein erstes Fantasy-Filmfest war 1994. Seitdem änderte sich viel beim Festival, beim Spektrum der Filme und in der Medienlandschaft allgemein.
Innerhalb von Frankfurt wechselte das Festival bereits zweimal das Kinocenter; seit 2004 wird es im Frankfurter Metropolis gezeigt, welches zum Cinestar-Konzern gehört. Der Gang in dieses Kinocenter ist mittlerweile ein eher ambivalentes Vergnügen, was unter anderem je nach Zeit der Vorstellung an einem sehr unzivilisierten und unangenehmen Publikum liegt und dem Kino in Anlehnung an einen brüchtigten jugendlichen Straftäter mit Migrationshintergrund den Kosenamen "Mehmetropolis" einbrachte (ist nicht meine Idee). Außerdem gab es Anfang 2012 diverse Probleme mit Brandschutz und Hygiene - ein Besucher will sogar eine Maus im Kino gesichtet haben - und das Kino wurde von der Frankfurter Bauaufsicht geschlossen.

Bis einschließlich 2008 musste es als positiv gewertet werden, dass zu den beiden Festival-Sälen einer der beiden größten des Kinocenters gehörte; in dem Riesenkino mit ca. 650 Plätzen saßen zu manchen Nachmittagsvorstellungen nur wenige Festivalgäste und durch einen zwischenzeitlichen Wechsel hätte das Kino eventuell mehr Geld verdient, indem dort einer der aktuellen Blockbuster gezeigt worden wäre. Dieses Lob entfiel seit 2009. Abgesehen vom Eröffnungsabend wurden wir in zwei kleinere Kinos abgeschoben. Letztes Jahr wurde es erheblich besser. Der Eröffnungsabend wurde in einem der beiden ganz großen Kinos gespielt an den anderen Tagen wurde in zwei nebeneinander liegenden Kinos mit gleicher Größe und wenigen Sitzplätzen Unterschied gespielt. Durch die beiden gleich großen Kinos entsteht auch eine Art Gleichberechtigung und nicht der Eindruck einer Vorstellung erster Klasse und einer Vorstellung zweiter Klasse.
Saal 8 und Saal 9: je ca. 350 Plätze, Saal 5 (Eröffnungsabend) und Saal 6 (Abschlussfilm): ca. 650 Plätze.

Ein kleiner Rückblick: Bei meinen ersten Fantasy-Filmfesten ging ich in jede mögliche Vorstellung. In meinem ersten Jahr gab es keine Dauerkarten mehr. Ich kaufte 1994 also Einzelkarten für alle Filme. Das kostete damals ca. DM 300; eine Einzelkarte kostete nach meiner Erinnerungen DM 8,00. In den drei folgenden Jahren sicherte ich mir rechtzeitig Dauerkarten. Die erste Dauerkarte 1995 kostete DM 160,00 oder DM 170,00; ein Jahr später kostete die Dauerkarte bereits DM 200,00. Jetzt kostet die Dauerkarte € 200,00 und eine Einzelkarte kostet € 9,00. Bereits 1998 ging ich wieder dazu über, Einzelkarten zu kaufen und achtete mit der Zeit darauf, mir die Filme genau auszusuchen. Seit 1997 leistete ich mir 2011 zum ersten mal wieder eine Dauerkarte. Letztes Jahr entschied ich mich nach einer durchwachsenen Saison 2011 wieder zu Einzelkarten und einer sehr Selektiven Auswahl und besorgte mir dieses Jahr wieder eine Dauerkarte.

War das Fantasy-Filmfest noch bis in die 90er Jahre oft die einzige Möglichkeit, einen Film zu sehen, der dann bei Gefallen nur unter hohem finanziellem und logistischen Aufwand aus dem Ausland zu importieren war, ist das Festival heute ein Durchlauferhitzer für die Videothekenregale. Bei Studium des Programmheftes erkennt man mit etwas Erfahrung, welche der Filme demnächst im Kino bzw. auf DVD / Blue-Ray veröffentlicht werden. Da ist dann als Verleih eine Kinovertrieb, ein DVD-Anbieter oder auch mal eine ZDF-Tochterfirma angegeben. In solchen Fällen ist es die Überlegung wert, den Film vier, sechs oder acht Wochen später für € 1,80 am Tag aus der Videothek zu holen - bzw. mittlerweile bei einem Online-Anbieter herunter zu laden und dafür auf ein ggf. nerviges Publikum zu verzichten. Schöne und sonnige Tage könnten dann mit anderer Freizeitgestaltung verbracht werden und man kann sich auf die Filme konzentrieren, die (noch) keinen Verleih oder DVD- bzw. Online-Vertrieb haben.
Es ist – falls keine Dauerkarte vorhanden - auch empfehlenswert, nicht für alle Filme Karten im Vorverkauf zu besorgen. Mitte der 2000er Jahre schwenkte die Festivalleitung trotz vorheriger Ansage, alle Karten könnten umgetauscht bzw. zurückgegeben werden, um und bereits gekaufte Karten wurden weder umgetauscht noch zurückgenommen; das war 2004. Das sorgte für viel Ärger unter den Festivalbesuchern und hinterließ den Eindruck: Das ist kein Festival mehr für Filmfans sondern ein rein kommerzielles Festival zum Geld Verdienen. Allerdings wurde in dieser Hinsicht die Geschäftspolitik radikal zum Positiven geändert, worauf ich dann im weiteren Verlauf noch eingehen werde.

Die gastronomischen Gelegenheiten in unmittelbarer Umgebung zum Kinocenter sind durchaus gut und preiswert. Es gibt im Gebäude des Kinocenters zwei Cafés bzw. Bars. Direkt auf den anderen Straßenseiten rund um das Kinocenter gibt u.A. eine Nudelbar, einen sauber wirkenden Imbiss, ein indisches Restaurant und einen Türken.

Jetzt kommen gleich die Filmbesprechungen. Alle Filme werden in der jeweiligen Originalfassung gezeigt. Filme, die nicht in englischer Sprache gedreht sind, werden mit englischen Untertiteln gezeigt; in wenigen Ausnahmen werden Filme, die bereits auf anderen deutschen Festivals liefen, mit deutschen Untertiteln gezeigt. Für viele Kinobesucher ist das sehr gewöhnungsbedürftig, daher ist die Bezeichnung "Filmfestival für Fortgeschrittene" nicht unberechtigt.

Hieß Kino bzw. Filmfestival noch vor kurzer Zeit Film, ist inzwischen ein größerer Trend zu Digitalprojektionen zu beobachten. Was manchen Festivalbesuchern nichts ausmacht, wird von Anderen mit Skepsis und Ärger zur Kenntnis genommen und auch entsprechend kommentiert. Die Bildqualität ist auch im hochauflösenden Digitalformat DCP nicht immer optimal und in der Bildqualität unter der einer 35mm-Filmprojektion. In Frankfurt gab es insgesamt 79 Vorstellungen an acht Tagen, davon waren 13 Wiederholungsvorstellungen und eine Kurzfilmrolle. 2012 wurden nur noch 4 Filme auf 35mm - also auf Filmrolle - gezeigt und alle Anderen im Digitalformat; im Programmheft gab es noch einen Hinweis für Nostalgiker. Dieses Jahr wurde offensichtlich alles digital gezeigt. Aus geschäftlichen Erwägungen heraus sollte berücksichtigt werden, dass eine Digitaldatei kopiert werden kann und selbst der besten Verschlüsselungs- und Kopierschutztechnik wird früher oder später ein entsprechender Kopierschutzknacker folgen; der finanzielle Schaden für Filmvertreiber und Festivalorganisatoren wäre immens. Eine Ansagerin der Festivalleitung erzählte 2011 Jahr vor Filmbeginn, dass ein Filmvorführer in Hamburg aus Versehen einen Film von der Festplatte gelöscht hatte, herzlichen Glückwunsch.

War ich fauler Sack Jahre lang noch mit dem Auto am Festivalkino, kam zeitlich manchmal knapp oder sogar zu spät, fand nur mit Problemen Parkplätze und erhielt so maches Strafzettelchen, fahre ich inzwischen seit einigen Jahren mit dem Fahrrad und/oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine Wochenkarte für das Frankfurter Stadtgebiet kostet € 23,80, was im Vergleich zu einem Einzelfahrschein (€ 2,60) günstig ist und und es ermöglicht die Mitnahme des Fahrrades. Nach neun Fahrten ist die Wochenkarte amortisiert

Zunächst gebe ich den Text der Filmbesprechung aus dem Programmheft wieder, dann kommentiere ich, gebe Zusatzinformationen und vergebe Bewertungen analog von Schulnoten (1 = sehr gut; 6 = unzumutbar).

Trailer zu den meisten Filmen sind hier zu sehen, daher spare ich mir bei den einzelnen Filmbesprechungen die Links zum jeweiligen Film.

Mittwoch, 4. September

29°C, sehr sonnig

Nach einem Tag im Freibad erreiche ich rechtzeitig mit dem Fahrrad das Festivalkino. Als ich bei der Haltestelle Alte Oper mit dem Fahrrad im Aufzug herauf fahre, kann eine junge Asiatin auch dort nicht auf ihr mobiles Internet verzichten und pudert sich dort vermutlich das Gesichtsbuch. Eine Verkehrsinsel am Festivalkino, die im Wesentlichen aus Metallpollern zum Anschließen von Fahrrädern besteht, ist mit Wahlkampfplakaten voll gestellt. Am 22. September wird nicht nur der Bundestag gewählt sondern auch der hessische Landtag. Wir haben es doppelt schwer, denn wir müssen nicht nur doppelt so viele Plakate und andere Wahlwerbung erdulden, wir wissen oft nicht auf den ersten Blick, welche Pappkameradin oder welcher Pappkamerad in welches Parlament gewählt werden möchte. Um freie Stangen zum Anschließen meines Fahrrads zu erreichen, muss ich zwei Ständer mit den Plakaten der Wahlkampfteams Kathrin Göring-Eckardt & Winfried Kretschmann (Grüne) und Peer Steinbrück & Thorsten Schäfer-Gümbel (hessischer SPD-Vorsitzender) & Olaf Scholz (SPD) zur Seite rücken.
Im Kino-Foyer ist ein Stand des Filmfestivals, an dem ich meine Dauerkarte bekomme und ohne Rücksicht auf mein Alter oder die Länge einer Bekanntschaft geduzt werde. Was soll´s.

19:45 Uhr, Kino 5, Eröffnungsvorstellung: THE CONGRESS

Israel, Deutschland, Polen, Frankreich und Andere / 122 MIN / Originalfassung, englisch mit deutschen Untertiteln

Nachdem er mit WALTZ WITH BASHIR bereits bewies, dass innovative Animation für ein erwachsenes Publikum die etablierten Disney-Pfade sehrerfolgreich verlassen kann, geht Ari Folman seinen Weg konsequent weiter. Aber das, ohne sich selbst zu kopieren. Tatsachlich konnte THE CONGRESS – in diesem Jahr bereits als Eröffnungsfilm der "Quinzaine" in Cannes bestaunt und euphorisch beklatscht – kaum verschiedener sein von seinem dokumentarisch orientierten Vorganger: Folmans neues Werk sieht sich keiner Realitat verpflichtet. Es ist ein Science- Fiction-Werk in der Tradition von Godards ALPHAVILLE, der sich in der zweiten, mittlerweile animierten Halfte vor Tex Avery, Ralph Bakshi und YELLOW SUBMARINE verneigt. Es gelingt Folman allen Ernstes, Stanisław Lems Roman “Der futurologische Kongress” in seine eigene Vision einer Zukunftswelt umzumünzen. Lems satirischer Ansatz, den Kommunismus zu entlarven, transferiert sich dabei nonchalant in einen düsteren Abgesang auf das Medium Film. Folman prasentiert uns eine schone neue Welt, in der Unterhaltung buchstäblich Opium fur das Volk geworden ist. Das klingt erst einmal ziemlich irrwitzig – und ist es auch! Die 44-jährige Schauspielerin Robin Wright – die sich selbst oder besser: eine Version ihrer selbst spielt – steht am Scheidepunkt ihrer Karriere. In einem langen, niederschmetternden Monolog wird sie von ihrem Manager (Harvey Keitel als käme er aus einem Outtake von David Lynchs TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME) an die vielen miesen Entscheidungen und selbst verschuldeten Flops in ihrem Leben erinnert. Jetzt liegt das allerletzte Angebot auf dem Tisch. Die einstige Star-Akteurin soll das Copyright ihres Aussehens mittels "Scan" an das Studio Miramount uberschreiben und fortan nie mehr spielen dürfen ... Robin Wright macht sich die Entscheidung nicht leicht. Als sie 20 Jahre später als nunmehr groste Action-Heldin der Welt auf dem Weg zum futurologischen Kongress in der Wuste Realfilm und Realitat hinter sich lasst, offenbart sich in psychedelischen Bilderkaskaden nach und nach eine Dystopie, deren Finsternis im extremen Kontrast zur rauschhaften Visualisierung des Films steht. Die Abrechnung mit der Maschinerie Hollywoods ist in ihrer Umsetzung an Originalität kaum zu ubertreffen. Ein Film, der absolut vorwarts gewandt ist, und trotzdem seinen Vorbildern huldigt. Ari Folman indes stellt klar, dass er nicht nur als Chronist bitterer politischer Wahrheiten wahrgenommen werden will. Sondern als einer der eigenwilligen Ikonoklasten, die sich dem einst Stanley Kubrick zugeschriebenen Credo verpflichtet fühlen: Wenn man es denken kann, kann man es auch filmen!

Die Handlung gipfelt dann nicht nur in Unterhaltung mit digitalen Darstellern sondern in der Erschaffung einer virtuellen Realität im Geist der Menschen durch haluzinogene Substanzen. Diese Vision ist sehr bedrückend, nachdenklich und erzählerisch wie optisch herausragend. Die Animationssequenzen sind in manchen Phasen am Rand der Reizüberflutung. Wahrscheinlich muss man den Film mehrfach sehen, um annähernd alles zu entdecken. Eine echte Empfehlung.

Note = 2+

22:30 Uhr, Kino 5: BIG ASS SPIDER!

USA 2013 / 80 MIN / Originalfassung, englisch

Bitte jetzt keine Witze uber dicke Hinterteile! Wem King Kong irgendwie zu affig war, fur den haben wir eine Lady mit behaarten Beinen. Acht Stück, lang und mit tödlichen Stacheln. Mike Mendez (THE CONVENT) überrascht mit einem handwerklich erstklassigen B-Movie zwischen STARSHIP TROOPERS und TARANTULA, das neben sarkastischer Komik und beißender Spannung vor allem mit fies animiertem Getier besticht. Wicked Fun – nichts fur Arachnophobiker! Als verkannter Retter von Los Angeles stolpert der knuffige Kammerjäger Alex (ein grandios witziger Greg Grunberg aus der Serie HEROES) in die horrende Story: Zufällig ist er gerade im Krankenhaus, als dort in der Pathologie eine kopfgrose Spinne aus einem Leichensack springt. Eine perfekt ausgerüstete Spezialeinheit des Militars, angeführt vom arroganten Major Tanner (Ray Wise), ist verdächtig schnell vor Ort. Unterdessen hat der hilfsbereite Exterminator bereits den Brutherd identifiziert und die Jagd aufgenommen. Dabei ist die kleine Morderbande nur die frisch geschlüpfte Kinderschar ihrer haushohen Mami, die, mit Alien-DNA gekreuzt, aus dem Militarlabor entfleuchte. Und nun randalierend und terrorisierend Downtown L.A. unsicher macht. Als unschlagbar skurriles Buddy-Duo setzen der furchtlose Spider-Man Alex und sein Sidekick, der Wachmann Jose, all ihren Einfallsreichtum daran, der Stadt den Tag zu retten.

Der Film will gar nicht mehr sein, als er ist - eine ordentliche Tierhorror-Komödie. Tempo, Handlung, Darsteller/innen und das Humor-Gruselverhältnis sind in Ordnung. Die Animation der Spinne ist überaus missraten, was aber hier irgendwie nichts macht, und diverse Fress- und Tötungseffekte sind gelungen. Der Oberkommandierende des Militärs wird von Ray Wise gespielt, der Fans immer noch als Dämonen-besessener Vater der ermordetetn Laura Palmer in der Kultserie TWIN PEAKS in Erinnerung sein dürfte.

Note = 3

Donnerstag, 5. September 2013

29°C, sehr sonnig

Ich verbringe den Tag bis 18:00 Uhr im Freibad.

19:15 Uhr, Kino 8: BIG BAD WOLVES

Israel / 110 MIN / Originanfassung, hebräisch mit englischen Untertiteln

Ein kleines Mädchen verschwindet beim Versteckspiel im Wald – wenig später wird ihr kopfloser Korper am Ende einer verstörend arrangierten Spur aus Süßigkeiten entdeckt. Sie ist nur das jüngste Opfer in einer langen Reihe bestialischer Kindermorde, deren Grausamkeit die Polizei in Atem halt. Als höchst tatverdächtig gilt der sanfte und unauffallige Lehrer Dror. Doch als die ermittelnden Beamten ihm zum wiederholten Male nichts nachweisen können, greift der von dem Fall besessene Polizist Miki zu harteren Mitteln. Seine unkonventionelle und für Dror äußerst qualvolle "Befragung" in einem leerstehenden Fabrikgebaude wird jedoch heimlich gefilmt und landet im Internet, was Miki wiederum die Suspendierung einbringt. Auf eigene Faust recherchiert der beinharte Bulle weiter, doch als er den Lehrer erneut zu einem Geständnis zwingen will, tritt aus dem Nichts ein unerwarteter Mitspieler auf den Plan: Gidi, der verzweifelte Vater des getoteten Madchens. Er hat schlagkraftige Argumente und einen grosen Kofferraum, und schon bald entspinnt sich zwischen Gidi und seinen beiden unfreiwilligen Gästen im schallisolierten Keller seines Wochenendhauses ein perfides Spiel der Schmerzen. Als die Folter immer unerträglicher wird, stellt sich unweigerlich die Frage, wer sich hier eigentlich die größere Schuld auf die Schultern lädt – doch aus der selbst erschaffenen Hölle findet keiner der Protagonisten mehr den Weg zuruck … Aharon Keshales und Navot Papushado schrieben 2010 Filmgeschichte – ihr knackiges Slasher-Debut RABIES galt als der erste israelische Horrorfilm und konnte weltweit Festivalerfolge einfahren. Nun meldet sich das Erfolgsduo mit derart unerhörter Wucht zuruck, dass das anfängliche Lächeln über die absurden Charaktere und Situationen bald einer lahmenden Schockstarre weicht. Die dann wieder in Gelächter endet, worüber wir zu Recht nochmals entsetzt sind. BIG BAD WOLVES ist ein Film, der einfach keine Kompromisse macht. Das israelische Regisseur-Gespann verwebt stilsicher Elemente des harten Revengethrillers mit der absurden Situationskomik tiefschwarzer Genremeister, wie wir sie (in Form von Alex de la Iglesia und Pedro Almodovar) eher aus Spanien kennen, und behalt in jeder Szene die Kontrolle uber den Zuschauer. Was als geschmacklose Torture-Porn-Comedy hätte enden können, wird in den Händen von Keshales und Papushado zu einem bittersüßen Bastard, dessen groteske Gewaltphantasie endlos zwischen Zwerchfell und Magen widerhallt und der in seiner Eindringlichkeit wie kaum ein anderer Film den Zuschauer dazu zwingt, Stellung zu nehmen. Auch wenn es noch so weh tut.

Tja, ich weiß nicht, wass die Schreiberin / der Schreiber dieses Textes so lustig an Kindermord und Folter findet oder ob sie / er den Film überhaupt sah.
Jedenfalls ist der Film überwiegend spannend erzählt und sorgfältig konstruiert und gefilmt. Ganz nebenbei wird in Gestalt eines Palästinensers auf einem Pferd ganz sachte der Nah-Ost-Konflikt thematisiert. Die Auflösung finde ich persönlich teilweise misslungen. Wir erfahren zum Schluss, ob Lehrer Dror tatsächlich der Kindermörder ist oder auch nicht - ich möchte es nicht verraten. Denn Polizist Miki erfährt, dass seine eigene Tochter verschwunden, wahrscheinlich entführt ist. Mit dem Wissen über Dror´s Täterschaft bzw. Nicht-Täterschaft verpufft leider eine gewisse Spannung, die bei einem offenen Ausgang um ein Vielfaches grausamer gewesen wäre und noch Tage nachgewirkt hätte.
Der alte Herr mit dem Gasbrenner auf dem Foto im Programmheft (Seite 12) ist übrigens nicht Dustin Hofmann und der Vater des getöteten Mädchens ist keine junge Version von Uli Hoeneß.

Note = 3

Diesmal muss ein junger Mann sich so auf sein Mobiltelefon konzentrieren, dass er fast auf der Rolltreppe im Kinocenter stolpert.
Ich hoffe darauf, dass es eine angemessene Verspätung geben wird, und schlinge eine Portion Nudeln in mich hinein, komme dafür einige Minuten zu spät.

21:30 Uhr, Kino 9: NEW WORLD

Korea, Originalfassung, koreanisch mit englischen Untertiteln

Der Misanthrop von Welt weis: Koreaner quälen am besten. Bei Hoon-jung Park, Autor von I SAW THE DEVIL, hämmern der Mob und seine Henker auf Verräter ein, bis sie einbetoniert in Fässern auf dem Meeresboden entsorgt werden können. Denn Goldmoon, das mächtigste Syndikat der Halbinsel, foltert in einer groß angelegten Säuberungsaktion alle potentiellen Maulwürfe zu Tode. Nur Undercover-Cop Ja-seong, der seit acht Jahren die Nadelstreifen-Verbrecher infiltriert, haben sie noch nicht gefunden. Er fürchtet nun zu Recht um sein Leben und das seiner schwangeren Frau. Zumal nach dem unerwarteten Tod des Paten der Polizeichef Kang (OLDBOY Min-sik Choi) die Organisation zerschlagen will. Mit allen Finessen sucht Kang mögliche Nachfolger auszuschalten. Die führen mit brutalsten Mitteln ihren eigenen Machtkampf. Woraus sich ein undurchschaubares Geflecht von Schach- und Winkelzügen ergibt, das wie eine besonders unmenschliche Variante von INFERNAL AFFAIRS loswalzt. Ein langsam pulsierender Thriller, aus dem regelmasig Aggressionen ausbrechen, die nur Raubtiere und Intriganten uberleben. Und mitten drin Ja-seong, der in diesem Morast aus Psychos und Korruption seinen Kopf auf den Schultern behalten muss.

Ein starker Film. Spannend und glaubwürdig wird die Wandlung Ja-seong´s vom aufrechten Polizisten zum machtgierigen Funktionär der Goldmond-Mafia erzählt. Schauspielerisch, erzählerisch und filmisch ist dieser Krimi auf hohem Niveau. Ein DVD-Start steht bereits fest und es lohnt sich sehr. Es würde mich nicht wundern, wenn bereits eine Hollywood-Neuverfilmung in Vorbereitung wäre.

Note = 2+

Im Lauf dieser zweiten Kinovorstellung - ich bin aufgrund der Temperaturen draußen und im Kino kurzärmelig und kurzhosig - beginnt an den Körperstellen, die ungeschützten Hautkontakt zum Kinositz haben, ein stärker werdender Juckreiz. Wenn hier in Kinos bereits Mäuse und/oder Ratten gesichtet wurden, saugen sie wahrscheinlich nicht jede Woche die Kinositze. Wer weiß, welche Milben oder Läuse an mir nagen. Als ich zu Hause ankomme, dusche ich sofort - um 1:00 Uhr nachts. Mir geht es jetzt besser, eine Nachbarin von oben ist weniger begeistert, der Nachbar links ist zum Glück schwerhörig.

Freitag, 6. September 2013

28°C, sonnig, wenige Wolken, Freibad

19:15 Uhr, Kino 9: FRESH MEAT

Neuseeland, Originalfassung englisch

Auf der Flucht vor dem Gesetz rasen die Gebrüder Tan gemeinsam mit der lasziven Gigi und dem Sprengstoffexperten Johnny in die nächstbeste Garage einer neuseelandischen Vorortsiedlung. Es kommt zur Geiselnahme mit unerwarteter Wendung. Denn: Die mutmaßlichen Opferlammer entpuppen sich als ein spirituell überdrehter Akademiker und eine prominente Fernsehköchin – beide mit einer Vorliebe fur gut abgeschmecktes Menschenfleisch. Die Fronten verschwimmen endgültig, als Rina, die Tochter des Hauses, allmahlich mit Gigi anbandelt. Regisseur Danny Mulheron scheint mit aller Macht klarstellen zu wollen, dass in Neuseeland gedrehte Filme mehr als Landschaftspanoramen und Hobbit-Romantik zu bieten haben. FRESH MEAT macht es sich in der blankpolierten Küche des Spießbürgertums gemütlich und stellt die Weichen auf stilsicheren Instant-Wahnsinn. Sobald sich Geiselnehmer und Opfer in Paare aufteilen, beginnt das makabre Hauen und Stechen. Das Blut spritzt, die One-liner sitzen und die Mädels sauen sich wirkungsvoll mit Milch und Erbrochenem ein. Stockholm-Syndrom in schonster Gaudi also, gekrönt vom exzentrischen Auftritt von Temuera Morrison. Dem durch seine Rollen in STAR WARS und GREEN LANTERN weltraumerfahrenen Maori scheint die heimische Luft zu Kopf zu steigen. Die Symptome sind großartiges Overacting, unstillbarer Heißhunger und die Frage, wer hier die größten Cojones im Haus hat. Diese serviert man laut FRESH MEAT übrigens am besten mit Broccoli. Bon Appetit!

Ja, liebe Katalog-Schreiberlinge, der Neuseeländer Temuera Morrison wurde natürlich nicht mit Weltraum-Rollen bekannt sondern mit seiner unglaublich intensiven Darstellung als gewalttätiger und alkoholkranker Familienvater in dem 1994er Drama ONCE WERE WARRIORS / DIE LETZTE KRIEGERIN.
Zum Film. Die Kannibalen sind hier keine grunzenden Hinterwäldler sondern eine wohlhabende Familie, in deren Leben bzw. Garage ein Quartett Krimineller hinein kracht und deren Haus besetzt und die Bewohner als Geiseln nimmt. Wer von den Kriminellen uns anderen Handlungspersonen unter dem Messer, in der Küche und auf dem Teller landen wird, lasse ich hier offen. Jedenfalls gelingt Regisseur und allen blendend aufgelegten Darstellern/innen ein genialer Wechsel zwischen Klamauk und Entsetzen, wobei die komödiantischen Elemente überwiegen. Schon der Überfall auf den Gefängnisbus mit der Befreiung des Tan-Bruders am Anfang des Films ist im wahrsten Sinn des Wortes ein geniales Feuerwerk an Situationskomik. Allerdings ist der Film nicht durchgehend komisch. Wenn die vier Hausbewohner unter den vier Kriminellen aufgeteilt werden, die Tochter des Hauses strippen und tanzen muss und eine Vergewaltigung durch den befreiten Tan-Bruder unmittelbar bevorsteht, bleibt einem das Lachen genau so im Hals stecken wie beim Anblick einer marinierten Menschenhand im Kühlschrank oder abgehangender Braten im Keller. Wie bereits geschrieben. Es ist eine geniale Gratwanderung zwischen Komik und Entsetzen.

Großartige Unterhaltung. Note = 1
Leider wird kein deutscher Kinoverleih den Mut haben, FRESH MEAT ins Kino zu bringen. Der Film wird voraussichtlich Ende November auf DVD heraus kommen. Immerhin.

21:30 Uhr, Kino 9: EL CUERPO

Spanien, Originalfassung, spanisch mit englischen Untertiteln

"Was haben wir hier?", fragt der soeben von einer Reise zurückgekehrte Kriminalkommissar Jaime Pena die in der Pathologie versammelten Kollegen. "Wir wissen es nicht." Wie denn auch, wenn der diensthabende Wachmann kurz nach einem panischen Notruf ins Koma befördert wurde und eine tags zuvor eingelieferte Leiche sich vor ihrem Rendezvous mit der Knochensäge in Luft aufgelöst hat?! Eine clevere Firmenchefin, die virtuos und vergnügt auf der Klaviatur der Macht spielt (Belen Rueda, THE ORPHANAGE), ein Ehemann auf Abwegen, Stromausfälle, fremde Handys und toxische Substanzen aus der hauseigenen Pharmaproduktion: Regisseur Oriol Paulo legt Fährte um Fährte, folgt dem Hauptverdächtigen seines famosen Debuts durch halbdunkle Gänge und Seziersäle, bis ein jegliches Gefühl der Sicherheit verflogen ist. Beim rabiaten und kathartischen letzten Twist fällt der Groschen und es wird klar, welch perfider Plan soeben vor aller Augen ausgeführt wurde.

Im Lauf der Handlung verdichten sich die Verdachtsmomente, dass die vermeinltlich Verstorbene ihren Tod vortäuschte und ihren mutmasßlichen Witwer in den Wahnsinn treiben will. Mit der Auflösung hätte wahrscheinlich niemand gerechnet. Spannend, fesselnd, filmisch, optisch und erzählerisch auf höchstem Niveau! Und der Regisseur ist scheinbar wirklich ein Neuling und es ist sein erster Film. Als einzigen "Nachteil" könnte man anführen, dass die großartige Belen Rueda als Leiche bzw. in Rückblenden viel zu kurz vorkommt; ich halte sie derzeit für die beste Darstellerin Europas.

Note = 1

Ein Tag mit zwei Spitzenfilmen. Nicht schlecht.

Samstag, 7. September 2013

25°C, überwiegend bewölkt, teilweise Regen.

Es wird ein Sch...tag. Eigentlich gibt eine Band, in der mein bester Freund mit spielt, ein Konzert, zu dem ich gehen wollte. Ich wollte hin gehen, stellte aber klar, dass ich fort wäre, sobald es anfinge, zu regnen - ein Konzert im Freien auf dem Acker. Und - am Morgen regnet es längere Zeit ziemlich intensiv. Also rufe ich ihn an und sage ab. Er ist natürlich enttäuscht.

Ca. 12:30 Uhr. Ich fahre zur S-Bahn-Station, um rechtzeitig die 13:00-Uhr-Vorstellung zu erreichen. Die S-Bahn verkehrt nicht, da es einen Oberleitungsschaden gibt. Zwischenzeitlich nieselt es noch mal. Ich fahre auf anderem Weg zum Kinocenter, kann mir aber Zeit lassen, da es dann erst um 15:00 Uhr los gehen wird.

Es kommt noch bunter. In der Frankfurter Innenstadt gastiert an der Hauptwache nur wenige hundert Meter vom Festivalkino entfernt der umstrittene und berüchtigte deutsche Salafistenprediger Pierre Vogel. Am Abend wird Frankfurt vom Zombie-Walk heimgesucht. Einige der horror-lustig Geschminkten werden mir in der Nacht in der S-Bahn begegnen.

15:00 Uhr, Kino 8: DRUG WAR von Johnny To

China, Hong Kong, Originalfassung, mandarinchinesisch und kantonesisch mit englischen Untertiteln

Hongkongs Action-Patriarch Johnny To ist umgezogen und entwickelt fur seinen ersten Thriller auf chinesischem Festland neue Qualitaten. Durchchoreografierte Schießereien haben in dem unglamourösen, schonungslosen Realismus des Anti-Drogen-Kriegs nichts verloren: Tos China Connection setzt auf grimmige Dauerspannung und knallharte Bleigewitter. Chinas viertgrößte Metropole, die unter fahler Smoghaube brutende Hafenstadt Tianjin, ist Schauplatz eines lebensgefährlichen Katz und-Maus-Spiels, bei dem eine unachtsame Sekunde den Tod bedeuten kann. Um seine nackte Haut zu retten, verspricht der frisch verhaftete Drogendealer Timmy Choi dem charismatischen Captain Zhang und seinem eifrigen Team die Hintermanner zu liefern. Doch Choi ist gerissen und lockt die Cops hinterhaltig in ein tödliches Netz aus Drogen-Fabriken, hypernervosen Verbrechern und mächtigen Paten. Drehbuchautor Ka-fai Wai (FULLTIME KILLER) lässt uns tief blicken in die effiziente Maschinerie der chinesischen Behörden und nervenaufreibende Polizeiarbeit; zeigt hautnah skrupellose Gesetzeshüter, die rigorose Uberwachungsaktionen starten, beschatten und verfolgen, die unerschrocken undercover infiltrieren und wenn nötig Kokain schnupfen – bis zur Überdosis fur Zhang, der trotz allem nie die murrische Miene verzieht. Eine gnadenlose Abrechnung mit den Kartellen, die im wüsten Kugelhagel vor einer Grundschule erschreckend demonstriert, wozu Menschen fähig sind. Die aber auch unerwartet Humor zeigt, besonders mit einem Gangster, der nicht grundlos "Haha" heißt und mindestens so krank ist wie der Joker!

Im Gegensatz zu früheren Filmen verzichtet der Könner Johnny To auf die gewisse Eleganz, Stilistik und teilweise Akrobatik seiner Gangsterfilme. Geschäft, Leben und Sterben in der Drogenbranche sind hart und grausam. Es wird viel geredet, die Untertitel sind teilweise kurz eingeblendet. Ich verstehe an manchen Stellen nicht alles und weiß nicht immer, welche Filmfigur wer ist und wohin gehört.
Insgesamt eine starke, ordentliche Leistung. Es lohnt sich, den Film nochmals zu schauen.

Note = 2

Im Ausgangsbereich wurde eine Wandzeitung eingerichtet, auf der Festivalbesucher/innen Kommentare zu jedem Film abgeben können. Ein Zuschauer fragt die Festivalleitung, wie viel sie von der chinesischen Regierung für die Übernahme des Propagandafilms ins Festivalprogramm bekommen habe. In manchen Jahren konnte man der Festivalleitung Eingiges aus finanziellen Gründen unterstellen, aber das geht dann doch zu weit. Johnny To ist wahrscheinlich einer der sehr unabhängigen Regisseure in Hong Kong bzw. China und hat wesentlich mehr Möglichkeiten, ungestört die Filme zu machen, die er will, als andere Filmregisseure.

17:15 Uhr, Kino 9: UWANTME2KILLHIM?

Großbritannien, englische Originalfassung

Mark ist ein gewöhnlicher Teenager, als er eines Abends im Online-Chatroom über die geheimnisvolle Rachel stolpert und sich Hals über Kopf in das Mädchen verliebt. Doch Rachel lebt mit ihrem brutalen und eifersüchtigen Freund zusammen in einem Zeugenschutzprogramm – und ist eines Tages verschwunden. Ihr Bruder John, der sich als Marks oft gehänselter Klassenkamerad entpuppt, erzählt ihm die schockierende Wahrheit über Rachels Verbleib, und wird zu Marks engstem Vertrauten. Die beiden Freunde brüten über finsteren Racheplänen – bis sich der britische Geheimdienst bei Mark meldet und eine schockierende Forderung stellt … Basierend auf einem realen, völlig einzigartigen Fall, der die britische Gesetzgebung mit einem bis dato nicht bekannten Dilemma konfrontierte, webt der exzellente UWANTME2KILLHIM? ein meisterhaftes Netz aus Täuschung, Angst und Paranoia. Ein Glücksgriff für den Film sind seine jugendlichen Hauptdarsteller Jamie Blackley und Toby Regbo, die den verblüffend wendungsreichen Thriller in all seinen Facetten mit spielerischer Leichtigkeit dominieren. Ihnen ist zu verdanken, dass Andrew Douglas‘ britische Antwort auf HEAVENLY CREATURES nie seine dunkle Poesie verliert.

Es ist immer etwas unfair, einen Film mit einem anderen Film zu vergleichen oder ihn als die Antwort auf diesen anderen Film zu bezeichnen, bloß, weil es Parallelen gibt. Dieser Film hier ist sehr eigenständig, gut gespielt und inhaltlich sehr überzeugend. Die Kommunikation spielt sich überwiegend über Online-Chats ab, was zwischenzeitlich etwas nervt und uninspiriert wirkt, aber zum Schluss absolut Sinn macht.

Note = 2-

Ich spiele immer noch mit dem Gedanken, zu dem Konzert zu fahren. Als ich draußen bin, nieselt es etwas und ich bleibe im Kino. Und ärgere mich später sehr.

19:15 Uhr, Kino 8: APP

Niederlande, Originalfassung, niederländisch mit englischen Untertiteln
Regisseur Bobby Boermans ist anwesend.

Die junge Anna entdeckt nach einer durchfeierten Nacht eine neue App auf ihrem Handy. Während das Programm zu Beginn noch clevere Antworten im Uni-Hörsaal zu Tage bringt, scheint es jedoch peu à peu ein Eigenleben zu entwickeln, das für Anna und ihr Umfeld für weitreichende Konsequenzen sorgt. Ist die "IRIS" getaufte App gar bewusst auf ihr Leben kalibriert? Die niederländische Produktion begibt sich hier auf ein absolut innovatives Terrain: Als "Second Screen Movie" kombiniert APP bewährte Prämissen eines Thrillers mit den Möglichkeiten des allgegenwärtigen Smartphones. Wenngleich APP im Sinne aller Nostalgiker auch hervorragend ohne zweiten Bildschirm funktioniert, bietet er den Besitzern eines Smartphones abwechslungsreiche Perspektivenwechsel an. Nachdem die App vor dem Kinobesuch geladen und bei Filmstart aktiviert wird, entwickelt "IRIS" nicht nur auf der Leinwand ihr ganz eigenes Treiben. Regisseur Bobby Boermans nutzt das erweiterte Format für aufreibend zweigleisige Kamerawinkel oder wertvolle Informationen zur Handlung – wie etwa die im Film geschriebenen Kurznachrichten. Das visionäre Konzept macht Kino so zum spielerischen Event und könnte sich durchaus als zukunftsweisend entpuppen. Doch APP konzentriert sich nicht allein auf seine Innovation: Die Geschichte um den technologischen Terror wird mit einer Prise FINAL DESTINATION gemischt und lässt den Atem ohnehin stocken. Die passende App zum Film gibt es gratis, für iOS unter dem Namen "App de Film" und für Android unter "App the Movie". Sie funktioniert dann selbstredend auch ohne Internetverbindung sowie im Flugzeugmodus.

Es nervt mich schon im normalen Kinobetrieb, dass am Anfang, bei den Schlusstiteln und sogar während des Films überall im Kino die Telefonbildschirmschen leuchten, weil die Leute keine Sekunde darauf verzichten können, mobil zu surfen. Jeder Kinobetreiber sollte verlangen, dass die Telefone während der Vorstellung ausgeschaltet werden, und androhen, bei Zuwiderhandlung die Vorstellung zu unterbrechen, um die Übeltäterin / den Übeltäter aus dem Kino zu entfernen. Nein, hier wird das mobile Surfen im Kino auch noch zum Geschäftsmodell aufgewertet.
Inhaltlich hätte so viel aus dieser Handlung gemacht werden können. Wir wissen seit kurzer Zeit, dass wir von allen möglichen Geheimdiensten überwacht werden, es gibt Internetkriminalität, Internetsucht, allen möglichen Blödsinn in so genannten sozialen Netzwerken und Online-Mobbing. Welche großartige Zivilisationskritik hätte das werden können. Doch auch die reduzierte Handlung über eine Art künstliche Intelligenz, die das Leben ihrer Telefonnutzer dominiert, ist noch viel versprechend. Doch der Regisseur ist leider weder fähig, die Handlung voran zu treiben, noch mir die Handlungsfiguren näher zu bringen und mich mit ihnen mitfiebern zu lassen. Einzig ein Hochschullehrer kann zwischenzeitlich Eindruck machen, indem er seiner Studentenschafft vorwirft, immer weniger zu kommunizieren, je mehr Kommunikationsmitte sie haben.
Ich spiele immer wieder mit dem Gedanken, das Kino zu verlassen. Denn neben der immer blöder werdenden Handlung ist es so unerträglich laut, dass mir die Ohren weh tun. Das muss so sein, erfahre ich dann von einem Kinomitarbeiter, weil die Telefone durch den Ton gesteuert werden. Als die zwei Mädels ihre Telefone in einem Laden gegen neue Modelle umtauschen, verursacht die aufgespielte App, dass im Telefonladen eine Bombe explodiert. Das ist der Logik-Gau, den ich zusätzlich zur Lautstärke nicht mehr verkrafte, und ich verlasse die Vorstellung extrem verärgert.

Note = 6

Meinen Ärger hinterlasse ich verbal auf der Wandzeitung und bekomme von einem Fan des Films als Antwort zu lesen, ich sei ein Depp - gleich beleidigen, sehr reif. Wer im Kino und im echten Leben braucht eine Äpp, ist selbst der größte Depp.
Später lese ich noch im Programmheft, dass dieses Machwerk eine Co-Produktion von ZDF-Enterprises ist. Also viel Spaß im Nachtprogramm von ZDF-NEO oder vielleicht 3SAT.

Draußen ist es stärker bewölkt und ich lasse es mit dem Konzert dann endgültig. Das Gegenteil hätte ich tun sollen, nämlich heimfahren, einen Campingstuhl holen und verspätet zum Konzert fahren. Später erfahre ich, dass es beim Konzert durchgehend niederschlagsfrei war. Mist. Das soll nicht wieder vorkommen. Immerhin habe ich ausreichend Zeit bis zur nächsten Vorstellung und gehe indisch essen.

21:15 Uhr, Kino 8: BYZANTIUM von Neil Jordan

Großbritannien, USA, Irland, englische Originalfassung

Clara und Eleanor sind zwei geheimnisvolle Frauen von zeitloser Abgeklärtheit, Mutter und Tochter auf verlorenen Wegen, die es in ein verfallenes britisches Seebad verschlägt. Das heruntergewirtschaftete Hotel Byzantium wird zu ihrer Bleibe, schon bald hat Clara das Etablissement zu einem gut laufenden Bordell umfunktioniert. Ihr Kommen bleibt nicht unbemerkt: Die mysteriöse Bruderschaft, die ihren Spuren folgt, zieht immer engere Kreise – denn Clara und Eleanor leben seit über 200 Jahren als Vampire. Vor ihrer Vergangenheit können sie jedoch nicht fliehen.

Immerhin, Neil Jordan. Die Handlung braucht etwas Geduld, ist aber nie langweilig, hat mit Gemma Arterton und Saoirse Ronan zwei sehr gute Hauptdarstellerinnen und überzeugt mit Optik und Ausstattung, wobei das marode Seebad für sehr interessante Stimmung sorgt.

Note = 2

Sonntag, 8. September 2013

12:30 Uhr, Kino 8: BLUE EXORCIST

Japan, Originalfassung, japanisch mit deutschen Untertiteln

Das Böse hat viele Gesichter im verspielten und spannenden Anime BLUE EXORCIST: THE MOVIE. Was für eine verzwickte Situation, in die der junge Exorzist Rin da geraten ist: Mitten in den Vorbereitungen auf das alle elf Jahre stattfindende große Fest der Heiligenkreuz-Akademie muss er sich um einen kleinen Dämon kümmern, der ihm bei seinem letzten Einsatz gegen einen biestigen Geisterzug zugelaufen ist. Neben dem alltäglichen Stress mit Freunden, seinem Bruder Yukio und allerhand dämonischen Viechern, muss er sich nun als Babysitter des Bösen beweisen, was ihm nur bedingt gelingt. Bald schon braut sich eine unheilvolle Bedrohung über der Stadt zusammen. Auch die Fans der erfolgreichen Anime- und Manga-Reihe wird BLUE EXORCIST: THE MOVIE begeistern: von den aufwendigen Zeichnungen, über die stimmige Kombination aus Schwertkampf und Ballerei, dem Soundtrack der J-Rock-Band UVERworld, einer Vielzahl von abgefahrenen Dämonentypen, die sich gerne auch mal im Godzilla-Style durch die Stadtmauern fräsen, bis hin zum ausgelassenen Slapstick und üppigen Kampfamazonen in viel zu kleinen Bikinis. Das in letzter Zeit arg gebeutelte Exorzismus-Thema entfernt sich unter der Regie von Atsushi Takahashi erfrischend weit vom genreüblichen Strickmuster kleiner Mädchen mit drehenden Köpfen und feiert stattdessen eine gutgelaunte Zerstörungsorgie, bei dem üble Geistwesen statt mit Weihwasser und Latein mit viel Munition und gut choreographierter Action zurück in die Hölle geschickt werden.

Zunächst ist es sehr positiv, dass keine Vorkenntnisse der Manga- bzw. Zeichentrickserie nötig sind. Es ist eine abgeschlossene Handlung und wir können ohne Verständnisprobleme einsteigen. Die Handlung beginnt mit dem Exorzismus eines Dämomen-S-Bahn. Dann haben wir noch Pflanzendämonen, Kaugummiblasendämonen und eben den kleinen Dämonenjungen, der auch mal in Hasengestalt auftritt. Der Film ist von einem unglaublichen Einfallsreichtum und einer optischen Rafinesse, die grandiose Schauwerte zeigt, ohne in Reizüberflutung auszuarten. Stark.

Note = 2+

14:30 Uhr, Kino 9: DIRTY WEEKEND

Großbritannien, Frankreich, englische Originalfassung

Es hätte der perfekte Romantiktrip werden können: Mike nimmt extra den weiten Weg aus der britischen Heimat auf sich, um sich in der Normandie klammheimlich mit seiner einige Jährchen zu jungen Affäre Trish zu treffen! Doch als die zwei in ihrem stilvollen Unterschlupf gerade die Hüllen fallen lassen, bemerken sie zunächst eine zerbrochene Fensterscheibe. Und kurz darauf einen maskierten, selig schlafenden Fremden, in dessen Gepäck sich ein Münzschatz mit sechsstelligem Wert befindet! Den Turteltauben wird umgehend klar, dass ihr Wochenende um einiges turbulenter verlaufen wird, als ursprünglich angenommen. Unabhängig vom kriminellen Eindringling sollte Trish aber auch ein strengeres Auge auf ihren Lover werfen – wer fährt denn bitteschön mit Schaufel und Spitzhacke in den Liebesurlaub? Die englisch-französische Koproduktion kokettiert mit den Klischees der rivalisierenden Kulturen ohne dabei in zu absurden Slapstick abzurutschen. Die Lacher bleiben selbstverständlich schön schwarz, die Location stets das hübsche Landhaus. Dort entwickelt sich alsbald eine verzwickte Pattsituation, denn Trish findet Räuber Vincent – nachdem dieser seine Maske abgelegt hat – ziemlich niedlich. Fortan wird paktiert, betrogen und blutig mit der Axt argumentiert, was das Zeug hält, schließlich geht es um eine heiße Blondine und/oder jede Menge Moneten. Regisseur Christopher Granier-Deferre entblößt nach und nach die Durchtriebenheit aller seiner Figuren und macht dabei nicht einmal vor der örtlichen Gendarmerie halt. Ein teuflisches Spiel gepaart mit der richtigen Dosis Humor – luftgetrocknet in der malerischen Sonne Frankreichs.

Hier ist wieder eine der Filmbeschreibungen, bei denen ich davon überzeugt bin, dass die Person, die den Text schrieb, den Film nicht sah. Die malerische Sonne Frankfreichs taucht eher selten aus. Es ist Herbst und wirkt kühl. Der Humor ist aber in der Tat trocken und böse und wird von sehr gut aufgelegten Darstellern/innen gespielt. Das launige Spiel artet mit der Zeit auch in Betrug und Intrigen auf und da gibt es noch einige Überraschungen. Sehr amüsant.

Note = 2-

16:45 Uhr, Kino 9: IM NAMEN DES SOHNES

Zu seinem schockierenden THE EXORCIST äußerte sich Regisseur William Friedkin seinerzeit, er habe einen guten Grund gehabt, Linda Blair eimerweise Erbsensuppe über Max von Sydow spucken zu lassen: Er wollte schon immer mal einem Priester ins Gesicht kotzen ... Nun, wir wissen nicht, was genau Vincent Lannoo zu seiner pechschwarzen Komödie IN THE NAME OF THE SON (AU NOM DU FILS) veranlasst hat. Aber wie er den Glauben einer zutiefst religiösen Frau – umwerfend dargestellt von Astrid Whettnall – nicht einfach nur auf den Prüfstand stellt, sondern regelrecht pulverisiert, lässt den Schluss zu, dass es sich bei dem Mann um einen überzeugungstäter handelt. Und um einen großartigen Filmemacher, weil er für jede noch so schreckliche Situation exquisite Breitwandbilder findet. Der in sechs "Bücher" unterteilte Film führt uns zunächst in Elisabeths heile Welt. Sie hat einen liebenden Mann, zwei vielversprechende Söhne, ein malerisches Haus auf dem Land und obendrein eine Radio-Talkshow namens "Das lebende Wort", in dem sie ihre Zuhörer mit viel Einfühlungsvermögen in Glaubensfragen berät. Ihr älterer, 13-jähriger Sohn heißt Jean-Charles. Eine wahrhaftige Bilderbuchfamilie! Als nun noch der junge Priester Achille bei der Familie einzieht, sich höchst inspirierend in Elisabeths Sendung einbringt und alsbald das Vertrauen aller Familienmitglieder gewinnt, scheint die Idylle perfekt. Von diesem Punkt an allerdings beginnen die göttlichen Proben im Minutentakt auf die entsetzte Katholikin hinunterzufahren. Als Erstes stirbt ihr Mann bei einem vermeintlichen Jagdausflug. Dass er sich in Wirklichkeit bei der Ausbildung der gläubig-militanten Wehrsportgruppe "Soldaten von Pius XII" für den Heiligen Krieg gegen den Islam befand und sich aus Blödheit selbst den Schädel wegblies, weiß Elisabeth natürlich nicht. Auch nicht, dass Bruder Achille den gerade zum Jüngling reifenden Jean-Charles äußerst anschaulich an die Botschaft von Liebe und Frieden heranführt und Elisabeths Spross damit in eine tiefe Existenzkrise stürzt. Doch als die Kirche in Gestalt des intrigierenden Bischofsanwärters (Philippe Nahon – der Metzgermeister aus SEUL CONTRE TOUS, Schlächter aus HIGH TENSION und Garant dafür, dass es ans Eingemachte geht!) auch nach erschöpfender Beweislage partout nichts von Päderastie wissen will und Elisabeth dazu brutal beleidigt, ist das Maß voll! Fortan ist sie auf konsequentem Rachefeldzug gegen all jene, die im Namen des Herrn Schindluder treiben. Wie Regisseur Lannoo in seinem dritten Film mit der Kirche abrechnet und alle erdenklichen Heiligen Kühe buchstäblich schlachten lässt – das ist so wundervoll derb, hart und aberwitzig. Da hilft kein Beten mehr.

Ein nicht unwichtiges Handlungselement ist, dass sich der 13jährige Jean-Charles nach den irritierenden Erlebnissen rund um seine Verführung das Leben nimmt, der amtierende Bischof ihn verbal als neues Mitglied der Hölle verunglimpft und diese Tragödie die Mutter in die konsequente Rache treibt. Der Film richtet sich meiner Meinung nach allerdings nicht konkret gegen die katholische Kirche sondern gegen religiösen Fanatismus allgemein, Bigotterie und Machtwahn in elitären Vereinigungen. Der Film überzeugt durch eine sehr gute Bildgestaltung und eine sorgfältige Entwicklung der Charaktere, die durch ausgezeichnete Schauspieler/innen getragen wird. Hervorheben möchte ich schauspielerisch den Darsteller des 13jährigen Jean-Charles. Was unter deutscher Regie auf Fernsehspielniveau von einem nicht minder begabten Jungdarsteller zu sehen gewesen wäre, möchte ich mir nicht vorstellen.

Note = 2

19:00 Uhr, Kino 9: ROBIN HOOD

Deutschland, deutsche Originalfassung

In Anwesenheit von Regisseur Martin Schreier

Deutschland in naher Zukunft: Nach dem Zusammenbruch der EU befinden sich Dax und Dow Jones auf Dauertalfahrt, immer mehr Menschen landen auf der Straße, Armut und Verzweiflung greifen um sich – der Sozialstaat kollabiert. Sonderermittlerteam Alex (Ken Duken) und Sophie haben sich darin verbissen, einen der Verantwortlichen der Finanzkrise, Rainer von Kampen, mit legalen Mitteln zur Strecke zu bringen. Doch der Machtmensch ist trotz unermüdlich zusammengetragener Beweise für die Staatsbeamten unantastbar. Da stößt Alex auf eine Bande von Bankräubern, die durch eine spektakuläre Reihe von überfällen die Finanzmetropole Frankfurt am Main in Atem hält. Zusammen mit Hacker-Genie und OpenLeaks-Mitbegründer Sergeij (Stipe Erceg) macht er der Gang ein ungewöhnliches Angebot – und kann in einer genialen Aktion der Nationalbank einen empfindlichen Schlag versetzen. Von der Öffentlichkeit wird der unbekannte "Robin Hood" gefeiert, von den raffgierigen Spekulanten jedoch erbarmungslos gejagt. Skimütze statt Strumpfhosen, Mausklick statt Bogenpfeil: So sieht für Jung-Regisseur Martin Schreier (für THE NIGHT FATHER CHRISTMAS DIED als einziger deutscher Oscar-Kandidat für den Student Academy Award 2010 nominiert) das coole Update des "Rächers der Enterbten" im Bankenzeitalter aus. Für sein brandaktuelles Drehbuch gewann er den Prime Time Award – und konnte den temporeichen Thriller als hochprofessionellen Abschlussfilm seines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg realisieren.

Das Publikum raunt nicht eben positiv überrascht, als der Film als Fernsehproduktion für Pro7 angesagt wird.
Fazit: Wesentlich besser als befürchtet. Die schauspielerischen Leistungen sind solide, Ausstattung und Bildgestaltung sind nicht sensationell aber sorgfältig und die Geschichte hat sehr viele sozialkritische Aspekte und ist überwiegend gut konstruiert, wobei sowohl der Actionanteil als auch ein gewisser Sozialkitsch im letzten Drittel streckenweise etwas überstrapaziert werden. Was als die nahe Zukunft Deutschlands erzählt wird, ist in Griechenland, Zypern und Spanien bereits bittere Realität.
Wie der Regisseur - gebürtiger Bad Homburger und langjähriger Wahl-Frankfurter, wenn ich mich richtig erinnere - anschließend in der Diskussion erzählt, ist sehr informativ. So war eine Produktion für das Fernsehen die einzige Möglichkeit, seine Geschichte so oder so ähnlich zu erzählen; ein Interesse für eine Kinoauswertung habe niemanden interessiert und insgesamt sei es enorm schwierig, in Deutschland Genrekino zu produzieren, da das meise sowohl bei Gremien der Filmförderung als auch bei co-produzierenden Fernsehsendern abgelehnt werde. Gedreht wurde in Frankfurt und Umgebung sowie in der Stuttgarter Gegend, da die Filmakademie und das Land Baden-Württemberg finanziell beteiligt sind und erwarteten, dass ihr gestiftetes Geld in Baden-Württemberg ausgegeben wird. Es sind Fernsehaufnahmen sowie selbst gemachte Aufnahmen der Bloccupy-Proteste in Frankfurt zu sehen, was eine autentische und bedrückende Atmosphäre erzeugt.
Wir bekamen eine um zehn Minuten verlängerte Version zu sehen. Auf Pro7 wird die Standardlänge von 90 Minuten netto zu sehen sein - mal sehen, welche zehn Minuten fehlen ...

Note mit Wohlwollen = 2-

Am Anfang der Publikumsdiskussion läuft eine Maus oder Ratte durch die Sitzreihen. Da hier diverse halb volle 5-Liter Eimer Popcorn herum stehen und deren Inhalt teilweise auf dem Boden verteilt sind, ist das kein Wunder. Kinobesuchern dieses Multiplexers sei sowohl vom Kauf offener Knabbereien wie Popcorn oder Nachos als auch vom Ausziehen der Schuhe im Sommer abgeraten.

21:30 Unr, Kino 9: BLANCANIEVES

Spanien, Stummfilm mit Musik, englische und spanische Zwischentitel

Eine Tragödie steht am Beginn von Carmens Leben: Ihr Vater, der berühmte Matador Antonio Villalta, wird in der Arena vom Stier schwer verletzt. Der Schock leitet bei ihrer hochschwangeren Mutter die Wehen ein und die schöne Flamencotänzerin stirbt bei Carmens Geburt. Fortan hat die Kleine mit den großen Kulleraugen unter ihrer bösartigen Stiefmutter Encarna, der ehemaligen Krankenschwester des nach dem Unfall gelähmten Antonio, zu leiden, sofern diese nicht gerade im Domina-Outfit den Chauffeur züchtigt. Als Carmen heranwächst, wird sie Encarna ein solcher Dorn im Auge, dass sie ihr nach dem Leben trachtet. Doch damit treibt sie Carmen sieben kleinwüchsigen Toreros in die Arme, die ihr ererbtes Talent für den Stiefkampf erkennen und sie als ihren Star auf den hinreißenden Namen Blancanieves – Schneewittchen taufen. Die Brüder Grimm verirren sich mit THE ARTIST im Wald und treffen auf Tod Brownings FREAKS – so könnte man in Ansätzen diese wohl bezauberndste und skurrilste Adaption des Märchens von Schneewittchen und den sieben Zwergen umschreiben. Mit seiner perfekt inszenierten, bildgewaltigen Stummfilm-ästhetik wirkt Pablo Bergers BLANCANIEVES wie ein vergessener Schatz aus den 20er-Jahren und wurde völlig zu Recht mit Preisen geradezu überhäuft. Derart poetisch, berührend und schrullig hat man diese Fabel noch nie erzählt gesehen.

Der 2011er Erfolgs-Stummfilm THE ARTIST scheint Manches möglich gemacht zu haben. Da ist auch die Kreativität möglich, eine Schneewittchen-Variation als Stummfilm in schwarz-weiß ins Stierkampf-Milieu der 20er Jahre zu verlegen.
Die Stierkampf-Szenen und die Idee des Stierkampf-Milieus gefallen mir gar nicht, da ich befürchte, dass die Stierkampf-Szenen echt sind.
Erzählerisch und schauspielerisch ist der Film grandios, fesselnd und rührend. Die Methode, auf Sprache völlig zu verzichten und alle schauspielerische Energie auf Mimik und Körpersprache zu konzentrieren, bringt eine erstaunliche Ausdruckskraft hervor.

Note = 2

Montag, 9. September 2013

15:15 Uhr, Kino 9: FRANKENSTEIN´S ARMY

Niederlande, USA, Tschechische Republik, englische Originalfassung

Manche Menschen vererben Häuser, andere Schmuckstücke und wieder andere ihre Briefmarkensammlung. Dr. Frankenstein vererbte das Wissen, Tote zum Leben zu erwecken. Im Auftrag der Nazis perfektioniert sein Nachfahre nun diese Kenntnisse: Viktor lötet munter Leichen- und Maschinenteile zu grotesken Tötungswerkzeugen zusammen. Auf diese Hybriden aus Fleisch, Stahl und Hakenkreuzbinde trifft eine Einheit russischer Soldaten. Dabei würden diese sich lieber für die Schandtaten der Wehrmacht revanchieren als selbst dezimiert zu werden. Wir folgen der Handlung aus Sicht der roten Invasoren, die ihren Feldzug mit eigenen Kameras festhalten. Allerdings wird das überstrapazierte Stilmittel hier endlich mal spannungsfördernd eingesetzt: Wir fühlen uns wie in ein Ego-Shooter-Game katapultiert und müssen uns hautnah gegen die Monstrositäten verteidigen – die besonders im letzten Drittel immer absurdere Formen annehmen und brutale Zerfleischungen stakkatoartig auf uns runterrasseln lassen. Natürlich ist FRANKENSTEIN‘S ARMY augenzwinkernder Trash in Reinkultur, in dem die Deutschen noch Hans und Fritz heißen. Doch es ist der niederländisch-amerikanischen Koproduktion hoch anzurechnen, dass sie in Hinsicht des Blutzolls keine Experimente macht.

Der Film ist im so genannten Found-Footage-Stil gedreht. Die Handlung besteht also auschließlich aus angeblichen Dokumentarfilmaufnahmen der Filmfiguren. Und das nervt. Die Idee ist prinzipiell sogar gut. Allerdings wurde hier mit größtenteils tschechischen Darstellern auf englisch gedreht, was teilweise unfreiwillig komisch und sehr oft unverständlich ist. Die Kreaturen sind teilweise sogar phantasievoll und Angst einflößend gestalten, oft ist aber bei der Wackelkamera wenig zu erkennen wie bei Massaker-Effekten. Wenn dann mal etwas genauer zu erkennen ist, habe ich schon den Eindruck, dass es ein Versehen ist. Dr. Frankenstein wird von Karel Roden, dem einzigen bekannten Darsteller und Prototyp für osteuropäische Schurkenrollen gespielt, was nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal ist. Insgesamt wirkt der Film wie eine Amateurproduktion, die gleich direkt für den Heimvideomarkt entwickelt wurde.

Note = 6+

17:00 Uhr, Kino 9: LOVE ETERNAL

Irland, englische Originalfassung

Dass es sich bei Brendan Muldowney um einen Filmemacher handelt, der mit Haut und Haar für das Medium brennt, ließ sich schon bei seinem Debüt SAVAGE erkennen, das mit der kompromisslosen Wucht eines Gaspar Noé zuschlug. Den extremen Themen ist der Ire ebenso treu geblieben wie dem unkonventionellen Erzählansatz. Allerdings legt er für seine Verfilmung des Romans "Loving the Dead" von Kei ôishi den Vorschlaghammer zur Seite: Seine Geschichte eines jungen Mannes, der sich nur dann wirklich lebendig fühlt, wenn er Toten nahe sein kann, ist zärtlicher, als es für einen Film über Nekrophilie erwartbar wäre. LOVE ETERNAL ist ebenso wenig NEKROMANTIK wie VERTIGO, weder krass noch obsessiv, sondern saugt sich hinein in die Gefühlswelt seines Protagonisten, der als Junge nach dem Tod seines Vaters ins Schlingern gerät und Jahre später vom Tod der Mutter komplett aus der Spur getragen wird. Vom akkurat geplanten Selbstmord hält den depressiven Ian – der ein bisschen an Jamie Bell erinnernde Robert de Hoog – schließlich nur die Entdeckung eines Mädchenleichnams ab. Weshalb er fortan immer die Nähe von Frauen sucht, die sterben wollen. Manchmal schließt er mit ihnen einen Pakt, gemeinsam in den Tod zu gehen. Wobei stets etwas schief geht, was zu wunderbar komischen Situationen führt. Aber vielleicht sucht eine Seite in ihm auch nur das Leben und die Liebe – wenn auch an ziemlich ungeeigneten Orten. In der Zwischenzeit müssen aber für die toten Lebensabschnittsbegleiterinnen erst einmal Gräber im Garten geschaufelt werden ...

Neben den wenigen wirklich komischen Momenten überwiegen eine sehr genaue Charakterisierung und eine starke Traurigkeit über Tod und verlorenen Lebensmut. Die starken Darsteller überzeugen und die Rettung der letzten Protagonistin vor dem Freitod ist ermutigend.

Note = 2

19:15 Uhr, Kino 9: THE LORDS OF SALEM

USA, englische Originalfassung

Wann schläft dieser Mann eigentlich? Rob Zombie bringt jedes Jahr ein Album raus, ist ständig auf Tour und als Comic- und Coverkünstler aktiv. Kultstatus hat er auch bei der Horrorfilmgemeinde inne: 2003 debütierte er mit der TCM-Hommage HOUSE OF 1000 CORPSES und legte mit der Fortsetzung THE DEVIL‘S REJECTS, dem HALLOWEEN-Remake samt Sequel und der Trickfilm-Explosion EL SUPERBEASTO facettenreich nach. Nun fügt der Tausendsassa seinem Schaffen eine weitere Klangfarbe hinzu: THE LORDS OF SALEM ist ein im besten Sinne altmodischer Okkult-Grusler, der mit verstörender Bildsprache und fiebriger Atmosphäre punktet. Ex-Junkie Heidi LaRoc (Zombies Göttergattin Sheri Moon) hat eine schwere Zeit hinter sich. Halt findet sie in ihrer nächtlichen Radioshow mit Whitey und Herman (DAWN OF THE DEAD-Legende Ken Foree). Eines Nachts bekommt Heidi eine Platte in den Sender geschickt, die sie nichts Böses ahnend in ihrer nächsten Sendung auflegt. Doch der Song erweckt einen vor Jahrhunderten vernichteten Hexenkult. Von nun an wird Heidi von Schreckensvisionen geplagt, die sie zusehends in den Wahnsinn treiben. Moralprediger haben es ja immer schon gewusst: Rockmusik verbreitet satanische Botschaften …

Optik, Ausstattung, Musik (z.B. zwei Stücken von Velvet Underground) und Darsteller sind exzellent und erzeugen richtig gute Gruselstimmung. Der Handlungsablauf überzeugt mich nicht wirklich. Wiederholt werden spannende Szenen gezeigt, die sich dann als Albräume und Visionen von Heidi herausstellen. Hier habe ich immer wieder das Gefühl, dass die Handlung stockt und sehr gute Ideen abgewürgt werden.

Note = vorerst 3-

21:30 Uhr, Kino 8: 100 BLOODY ACRES

Australien, englische Originalfassung

Reg und Lindsay sind zwei ungleiche Brüder, die irgendwo in den Weiten der australischen Pampa mehr schlecht als recht die Familientradition in der Düngemittelbranche weiterführen. "Morgan‘s Organic Blood & Bone Fertilizer" wird jedoch eines Tages zum Hit, als der Zufall den bauernschlauen Rednecks ein paar Unfallopfer in die Hände spielt. Deren kaliumhaltige Überreste entpuppen sich unverhofft als wahrer Segen für die landwirtschaftliche Zweitnutzung. Doch die menschlichen Ressourcen sind knapp. Glücklicherweise stößt Reg schon kurz darauf auf drei konzertwütige Teenager mit Wagenpanne und bietet umgehend eine Mitfahrgelegenheit an … Mit 100 BLOODY ACRES schickt sich nun zehn Jahre nach den Spierig Brothers (UNDEAD) ein weiteres australisches Brüderpaar an, dem Rest der Welt zu zeigen, wo beim Känguru der Beutel hängt. Cameron und Colin Cairnes zelebrieren in ihrer wilden Blut-und Boden-Comedy unbekümmert eine Kreuzung aus handfestem Splatter und völlig absurder Situationskomik. Ein herrliches Panoptikum skurriler Charaktere darf sich in dieser sonnendurchfluteten Horrorparty nach Lust und Laune austoben.

Provinz-Hinterwäldler bringen junge Durchreisende um – zum Fünfhundertsten … Diesmal zur Abwechslung in Australien.
Nach einem guten Anfang wird die Geschichte immer unkoordinierter und konfuser. Da ist es dann auch irgendwann egal, ob die unbeteiligte Nachbar-Oma oder sonst wer umgebracht wird oder werden soll. Und weder die Bruderkonstellation noch die Figuren überhaupt sind interessant genug, um mit ihnen zu bangen oder die Handlung voran zu bringen. Die Idee mit der Düngemittelfabrik ist zwar originell, aber der Effekt ist irgendwann aufgebraucht. Ganz ehrlich weiß ich jetzt nach über einer Woche gar nicht mehr, wie der Film ausging – keine gute Situation für einen Kinofilm und keine Empfehlung.

Note = 4 ---

23:30 Uhr, Kino 8: TULPA

Italien, Originalfassung, italienisch mit englischen Untertiteln, teilweise englisch

Bei Tag ist Lisa eine knallharte Geschäftsfrau, die sich erfolgreich in der krisengeplagten Finanzwelt behauptet. In ihrer spärlichen Freizeit streift die attraktive Blondine des Nachts durch den exklusiven Privat- Club Tulpa auf der Suche nach sinnlichen Abenteuern. Ihr wohlgeordnetes Doppelleben gerät jedoch mächtig durcheinander, als mehrere ihrer erotischen Spielgefährten bestialisch zugerichtet im Leichenschauhaus enden. Der geheimnisvolle Kiran, Clubbesitzer und Guru des tibetanischen Tulpa-Kults, weiß über die Morde offenbar mehr, als er preisgibt. Lisa verstrickt sich immer tiefer in einen nicht enden wollenden Albtraum und driftet langsam in die Paranoia ab. Jedes Mitglied des Clubs könnte der sadistische Killer sein – oder aber das nächste Opfer … Ein maskierter Mörder mit schwarzen Handschuhen, abstruse und spektakulär trashig inszenierte Hinrichtungen, in rotes Licht getauchte Räume, laszive Musik, literweise Blut und reichlich nackte Haut. Nach dem düsteren SHADOW feiert Federico Zampaglione mit seinem dritten Film TULPA den italienischen Giallo à la Argento (in seinen besseren Zeiten) als Rausch aus Sex und Gewalt im Retro-Stil. Die Geschichte zu TULPA stammt zudem von Genre-Veteran Dardano Sacchetti, der in seiner eindrucksvollen Karriere Drehbücher für die Ikonen des deftigen Italo-Horror, wie Fulci, die Bavas, Deodato und Lenzi, schrieb. Den Fans dieser besonders schrägen Spielart des Thrillers sei Zampagliones Hommage unbedingt an ihr rabenschwarzes Herz gelegt!

Der große Knüller ist es wirklich nicht, aber gut gemachte, ordentliche Unterhaltung. Handlungsabläufe und besonders einige wenige Figuren wie der merkwürdige Althippie-Guru-Barman aus dem Tulpa-Club sind ein bischen absurd und grenzen an unfreiwillige Komik. Spannend ist der Film auch. Und wie im Giallo nicht unüblich erweist sich als Täter eine Person aus dem direkten Umfeld, mit der eigentlich niemand hätte rechnen können/sollen/dürfen. Den Vorstandsvorsitzenden von Lisa´s Unternehmen spielt Michele Placido, der Mafia-Jäger aus den 80er Jahren.

Note = 2-

1:30 Uhr. Es regnet in Strömen und die Betriebszeit der öffentlichen Verkehrsmittel ist eingestellt. Ich darf bei schrecklicher Nässe mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Nach der knappen halben Stunde habe ich trotz geeigneter Regenjacke keinen trockenen Faden am Körper – selbst wenn eine solche Regenjacke total wasserdicht ist, bildet sich innen Kondenswasser und man fühlt sich wie in nasser Frischhaltefolie eingewickelt.

Dienstag, 10. September 2013

13:00 Uhr, Kino 9: FRESH MEAT

Ich habe die Wahl zwischen einem mutmaßlichen Deprimierungsdrama, in dem ein nuklearer Ernstfall und eine Selektionsauswahl für den Schutzbunker simuliert werden, und der unterhaltsamsten und überraschendsten Thrillerkomödie des Jahres und entscheide mich nochmals für die übergeschnappte Kanibalensatire. Auch und besonders, wenn man den Film bereits kennt, ist er blendende Unterhaltung und der mit Abstand beste Partyfilm des Jahrgangs.

15:00 Uhr: Kino 9: TRES-60

Spanien, Originalfassung, spanisch mit englischen Untertiteln

Guillermo ist zwar immer ein bisschen müde, dafür aber Surfer, Model und "irgendwas mit Marketing"-Student. Ein ganz normaler, cooler Typ eben. Doch als ihm im Haus seiner Eltern ein dunkles Geheimnis wortwörtlich vor die Füße fällt, verliert der sonst so ausgeglichene junge Mann die Fassung. Auf einem alten Fotofilm entdeckt er gemeinsam mit seinem kleinen Nerd-Bruder Hinweise für ein grausames Verbrechen. Kann er durch die Bilder unter Umständen aufklären, warum sein ehemals bester Freund seit Jahren verschwunden ist? Eine Fotografie herausgeschnittener Organe scheint einen glücklichen Ausgang der Ermittlungen vorab zu verneinen. THREE-60 verzichtet konsequent auf Blut und Totschlag, um seiner sympathischen Darsteller-Clique akribisch bei den Recherchen zu folgen. Diese führen im Laufe der Handlung zu den Reichen und Mächtigen (aber gewiss nicht Schönen) der Stadt. Unter denen befindet sich übrigens auch Charlie Chaplins Tochter Geraldine mit teuflischen Plänen. Die Themen sind dabei grausame Kost, welche Regisseur Alejandro Ezcurdia aber durch lockeren Humor und ästhetische Bilder verdaulich macht. Apropos attraktiv: Sara Sálamo bewirbt sich mit THREE-60 hochambitioniert als "Miss Eye-Candy" des aktuellen Festivaljahrgangs. Es wird weniger geschockt, sondern vielmehr geknobelt und hinterfragt – zum Beispiel die Moral der Protagonisten im letzten Akt. Nach kruden Enthüllungen und schweißtreibendem Thrill schließt sich der titelgebende Kreis in einer unvorhersehbaren Verzweiflungstat.

Ausgezeichneter Verschwörungsthriller. Darsteller, Figurenzeichnung, Handlung und Spannungsbogen sowie Optik und Ausstattung überzeugen sehr und die erbarmungslose Wendung wenige Minuten vor Schluss lässt einen ratlos im Kino sitzen.

Note = 2+

17:15 Uhr, Kino 8: FILL DE CAIN

Spanien, Originalfassung, spanisch und katalanisch mit englischen Untertiteln

Ein wahrlich beunruhigendes Kind ist Nico, ebenso hochbegabt wie durchtrieben. Ein passionierter Schachspieler und noch viel passionierterer Misanthrop. Seine distanzierte Art lässt Nicos wohlhabende Eltern einen Psychologen auf den Plan rufen – zumal der pubertierende Junge offensichtlich in den blutigen Tod des Haustieres verwickelt war und mit steigendem Argwohn auf Vater und Schwester blickt. Psychologe Julio sträubt sich gegen die Ansicht, dass Nico sich zu einem gefährlichen Irren entwickelt. Er versucht die Talente des Jungen zu fördern und die Geheimnisse der emotional defekten Familie zu lüften. WE NEED TO TALK ABOUT NICO? Nicht ganz. Zwar steht im Zentrum von SON OF CAIN ebenfalls ein sinister dreinschauender Teenager. Allerdings wirft Regisseur Jesús Monllaó Plana ein bedeutend umfangreicheres Ensemble in die moralische Grauzone. Katastrophen werden heraufbeschworen, Motive aufgedeckt – nur um kurz vor der Eskalation wieder alles umzukrempeln. Unterdrücktes Verlangen, Geltungsdrang und Neid sind die Figuren in diesem beängstigenden Spiel der unheilvollen Emotionen. Kein Dialog bleibt ohne tragende Zeile, keine Szene ohne Hinweis auf kommende Desaster. So entwickelt sich ein anstehendes Schachturnier zur nervlichen Zerreißprobe für den Zuschauer, da bis zum Ende unklar bleibt, wer in dem übergeordneten Nervenkrieg eigentlich die Züge bestimmt und welchen König es wirklich zu kippen gilt. Wer gern im Dunkeln tappt und stilvolle Psychogramme mag, dem wird die Kälte dieses Thrillers nicht mehr so schnell aus den Gliedern weichen.

Ein überwiegend gelungenes Thrillerdrama. Ist der Junge ein Soziopath? Wurde er in seiner frühen Kindheit vom Vater sexuell missbraucht? Ist er Opfer oder Täter oder beides? Kann der Jugendpsychologe helfen oder macht er alles schlimmer? Hier schwankt der Film oft und zieht das Publikum von einer auf die andere Seite, was durchaus handlungsfördernd und spannend inszeniert ist. Auch schauspielerisch überzeugen Alle, besonders die Darsteller des jugendlichen Nico und der noch jüngeren spanischen Schachmeisterin sind hervorzuheben. In einer sehenswerten und sehr würdevollen Nebenrolle als Schach-Altmeister ist Jack Taylor zu sehen; der US-Schauspieler blieb irgendwann in der Italo-Western-Zeit in Spanien hängen und spielte seitdem überwiegend in spanischen bzw. europäischen Filmen mit, aber auch immer mal wieder in Hollywood-Produktionen wie CONAN DER BARBAR oder Ridley Scott´s Columbus-Film 1492.
Allerdings kann ich auf Handlungselemente wie einen aufgeschlitzten Hund und einen gekochten Goldfisch verzichten.

Note = 2-

19:15 Uhr: WELCOME TO THE JUNGLE

USA, englische Originalfassung

Chris ist ein richtig netter Kerl. Weniger freundlich könnte man ihn auch einen Hasenfuß nennen. Bekanntlich rangiert diese Gattung in der sozialen Hackordnung ganz weit unten: In der Werbeagentur lässt er sich von Großmaul Phil seine Ideen klauen. Seine Kollegin Lisa schmachtet er lieber sehnsüchtig an, als sie um ein Date zu bitten. Selbst sein bester Kumpel Jared macht sich über ihn lustig. Zu allem überfluss werden die Agentur-Mitarbeiter nun auch noch zu einem Team-Building-Seminar in die Wildnis gejagt, um Führungsqualitäten zu erlernen. Als Leitwolf übernimmt der aufgeplusterte Ex-Marine Storm Rothschild das Coaching der bunten Horde. Doch unterliegt dieser im Revierkampf mit einheimischem Getier und so finden sich die ach so zivilisierten Werber ohne Aufsicht auf einer Insel im Nirgendwo gestrandet wieder. Ab jetzt gilt das Gesetz des Urwalds: Kämpfe, Orgien, Drogen – totale Anarchie! Das Animalische im Menschen bricht sich Bahn und Büro-Bully Phil dreht im tiefsten Busch erst so richtig auf. Mausert sich Pfadfinder Chris endlich zum Alpha-Tier? In Rob Meltzers schräger Komödie geht es wilder zu als im DSCHUNGELCAMP und bekloppter als auf GILLIGAN‘S ISLAND. Jean-Claude van Damme als durchgeknallter Coach attackiert mit einer grandiosen Selbst-Parodie die Lachmuskeln und ist nur einer der vielen Gründe, warum WELCOME TO THE JUNGLE ein barbarisches Vergnügen ist.

Sowohl atmosphärische Störungen im Betriebsklima als auch der selbstironische Gastauftritt von Jean Claude Bamm-Bamm sind ganz lustig, aber nichts Besonderes. Die Standardkomödie hat auf dem Festival eigentlich nichts zu suchen und ist ein kleiner, digital gedrehter Lückenfüller. Wirklich nicht schlecht, aber auch wirklich nichts Besonderes.

Note = 3-

21:30 Uhr, Kino 8: COTTAGE COUNTY

Kanada, englische Originalfassung

Tyler Labine – das gutmütige Hillbilly-Dickerchen aus TUCKER & DALE VS. EVIL – hat ein Problem: Wieder ist er verliebt. Und wieder kommen dadurch eine Menge Leute ums Leben! Die trügerische Idylle führt uns in ein schmuckes, kleines Cottage mit Seeblick. Hier möchte der wenig selbstbewusste Büroangestellte Todd seiner Freundin Cammie den längst überfälligen Antrag machen. Alles scheint perfekt vorbereitet. Todd hat sich im Wochenend-Nutzungsplan für die in Familienbesitz weilende Hütte lange vorab eingetragen. Der Ring ist im Koffer verstaut, die romantischen Worte peinlich genau einstudiert. Dass Cammie von der Verlobung bereits ahnt, könnte die Dinge gar beschleunigen – würde nicht unvermittelt Todds unverschämter Bruder Sal mit seinem bescheuerten, europäischen Girlfriend Masha im Türrahmen stehen. Natürlich ist Sal so ein totaler Angebertyp und Sexprotz. Jemand, der absolut NIE in den Wochenend-Nutzungsplan schaut. Da stellt sich nicht zum ersten Mal die Frage, warum die Eltern Sal so viel durchgehen lassen, anstatt dem braven Todd das geliebte Hideaway allein zuzusprechen. Egal, jetzt ist zunächst der Heiratsantrag in Gefahr. Cammie erkennt die Lage und verlangt Rausschmiss. Da Todd leider kein Mann klarer Worte ist, zieht sich die Brüder-Misere etwas in die Länge, schaukelt sich dann hoch – und endet abrupt mit Sals (von Todd höchstens unterbewusst gewollter) Enthauptung. Doch wie viele Leichen auch ihren gemeinsamen Weg noch pflastern mögen, Cammie ist nicht die Art Frau, die sich den wichtigsten Moment ihres Lebens versauen lässt!

Cammie setzt eben schon zu einem Blow-Job bei Todd an, als der nervige Bruder durch das Wohnzimmerfenster des Wochenendhauses spannt. Dann ergibt ein dummes Wort das Nächste und eine falsche Entscheidung die noch Schlimmere und der gutmütige Todd ist ein Mörder im Affekt. Die nuttige Freundin wird dann nicht mehr ganz so aus Versehen ins Jenseits geschickt. Als Cammie und Todd von der Entsorgung der zerteilten Leichen und deren Habseligkeiten im See zurück kommen, ist das Wochenendhaus voll mit Bruder Sal´s Partygästen. Bei Todd erscheint dann das schlechte Gewissen in Gestalt verrotteter Geisterzombies und für die Gäste irritierender Panikattacken. Das ist insgesamt sehr lustig anzuschauen. Die Eskalationskomödie endet mit Tragik und einigen weiteren Toten, was das Vergnügen nicht schmälert.

Note = 3+

Mittwoch, 11. September 2013

13:00, Kino 8: ZOMBIE HUNTER

USA, englische Originalfassung

Zur Freude aller Fans von herumwankenden Hirntoten steht der namenlose ZOMBIE HUNTER in den Startlöchern. Mit cooler Karre und kernigen Off-Kommentaren rast er durch die verlassenen Ecken der Staaten und metzelt sich durch den Tag. Dabei fliegen die Köpfe in schönster Videogame-ästhetik und das Blut spritzt bis auf die Kameralinse. Nerviger als die langsamen Angreifer ist für den rauen Outlaw nur eine kleine Gruppe von überlebenden. Unter ihnen ein schmieriger Masturbations-Junkie, eine mit Silikon aufgemotzte Nymphomanin und ein Geistlicher namens Jesús. Letztgenannter wird von Danny Trejo gespielt, was ja quasi das höchste Qualitätssiegel für blutigen Grindhouse-Trash darstellt und Genreliebhabern die Erwartungshaltung vordefiniert. Ruppige Kettensägenmassaker, Fusel und verschwitzte Körper – ZOMBIE HUNTER hat alles, was der geneigte Zuschauer für Bierkino mit den Atzen so braucht. Auf der Suche nach Benzin und Rache bleiben Mitglieder der Truppe nach und nach auf der Strecke, während sich One-liner und Fights zunehmend hochschaukeln. Zwischendurch eine kleine betrunkene Vögelei und verwinkelte Referenzen an die Lieblingsfilme des Regisseurs Kevin King. Inmitten von Gedärm und Geschrei bleibt eigentlich nur die Frage zu klären, wer denn hier die coolste Sau im Film ist. Der ZOMBIE HUNTER bekommt die Chicks und die Lederjacke, während Danny Trejo die Untoten stilecht in überdrehten Dubstep-Collagen mit der Axt zerstückeln darf. Wer sich das nicht schon immer gewünscht hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen!

Na ja, da haben wir´s. So groß wie auf vergangenen Fantasy-Filmfesten ist die Zombiefilm-Dichte nicht, aber ganz auf sie verzichten will niemand. Nichts gegen Zombiefilme, aber gut müssen sie sein und in den vergangenen Jahren waren die Wenigsten der vielen Zombiefilme wirklich gut. Dieser hier ist immerhin im Breitwandformat 1:2,35, also nicht direkt für den Heimkinomarkt produziert. Wirklich gut ist er trotz einiger gelungener Effekte nicht und daran ändert auch der schauspielernde Ex-Knacki und Robert-Rodriguez-Kumpel Danny Trejo nichts, der wie einst Klaus Kinski kommt und spielt, wenn Gage gezahlt wird, und hier seine Rolle als Priester auf Autopilot ableiert und 20 Minuten nach seinem Erscheinen durch Filmtod aus der Handlung ausscheidet. Obwohl Danny Trejo in Filmkatalog und Abspann als Erster auftaucht, ist die Hauptperson ein Mad-Max-Klon, der von einem austauschbaren Darsteller gespielt wird und dessen Gedanken in missglückter Film-noir-Manier ständig aus dem Off eingesprochen werden. Inklusive einer Cheerleaderin, die gleich am Anfang angefressen wird, tauchen in der Handlung nur drei Frauen auf, die alle sehr knapp bekleidet sind und - mindestens in einem Fall - von mutmaßlichen Pornodarstellerinnen gespielt werden. Fehlen dürfen nicht der pubertierende kleine Bruder sowie der schmuddelige Dickwanst als Elektronik- und Autospezialist und kurz vor Schluss einen kurzen Auftritt eines Kettensägenmassakrierers. Die Tricks sind überwiegend mäßig und teilweise sehr schlecht. So sehen digital animierte Riesen-Zombies oder Dämonentypen aus wie Ballerspiel- oder Bildschirmschonergestalten. Auch diverse Schlacht oder Ballerszenen unter den Untoten sind überwiegend misslungen; Blutfontänen sind digital animiert und Blut ist gelegentlich rosa oder lila. Auch sind diverse Kampfszenen - warum auch immer - rosa eingefärbt. Die Dialoge sind äußerst nivealos und erreichen zu Spitzenzeiten solche Zeilen wie "What did you see in there?" - "Oh - ah - oh - we saw something!".

Note = 5 ---

15:00 Uhr, Kino 9: THE LORDS OF SALEM

Meine Planung war nicht optimal, denn nun habe ich die Auswahl zwischen zwei Filmen, die ich bereits sah. Nach Gesprächen mit einigen Bekannten entscheide ich mich, noch mal THE LORDS OF SALEM zu sehen und komme zu einem besseren Urteil. Bei guten Filmen mit nicht eindeutiger Handlung und Filmsprache ist es oft notwendig, sie mehrfach zu schauen, um Einiges besser zu verstehen. Hier irritiert Regisseur Rob Zombie das Publikum dadurch, dass bei Traum- bzw. Visionsszenen nie eindeutig ist, wobei es sich um Erlebtes oder Traum bzw. Vision handelt. Der Regisseur lässt dem Publikum die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen und damit etwas ratlos zurück. Das finde ich im Zusammenhang mit der sehr guten Optik und Musik des Films beim zweiten Anschauen durchaus sehr gelungen und reizvoll und gebe eine

Note = 2+

17:15 Uhr, Kino 9: COLD BLOODED

Kanada, englische Originalfassung

Ein Überfall auf ein Juweliergeschäft geht gewaltig schief. Dieb Cordero erwacht angeschossen in Handschellen im Krankenhaus und wird beschuldigt, seinen Partner getötet zu haben. Nur er allein weiß, was wirklich passiert ist – und wo die erbeuteten Diamanten geblieben sind. Zu seiner Bewachung wird vor seinem Zimmer in einem stillgelegten Flügel der Klinik die mustergültige Jungpolizistin Frances Jane postiert. Die Gegensätze könnten nicht größer sein zwischen Cordero, dem charmanten Trickster, und der überaus pflichtbewussten Gesetzeshüterin Jane. Doch dann rückt Corderos Auftraggeber Holland mit seiner Crew an, um die Diamanten an sich zu bringen und den Verräter zu beseitigen – und dieser Gangsterboss schreckt vor absolut nichts zurück. Unversehens wird das Krankenhaus zum Schlachtfeld und das ungleiche Paar muss sich verbünden, um auf der Flucht vor den skrupellosen Verbrechern zu überleben. Der Kanadier Jason Lapeyre legt als sein Spielfilmdebüt einen dicht erzählten, intelligenten Thriller vor, der dadurch besticht, dass er auf das Wesentliche reduziert ist: treffsichere Dialoge, starke Charaktere, wohldosierte Gewaltausbrüche und einen einzigen klaustrophobischen Schauplatz, den Lapeyre vollends ausspielt. Ryan Robbins sorgt dabei für den Humor und Zoie Palmer gibt die wohl taffeste Polizistin seit BLUE STEEL.

Nach einem interessanten Start verliert der Film an Fahrt und wird nicht dadurch interessanter, dass sich die gesamte Handlung im Krankenhaus abspielt. Die Dialoge halte ich nicht für besonders treffsicher, aber das ist ja hier wie alles Geschmackssache. Der Oberverbrecher kann sich nur durch die Handschellen befreien, mit denen ihn die Polizistin an sich kettete, indem er ihr im Operationssaal die Hand absägt. Die einzige Spannung kommt für mich dann durch die Frage, ob die Polizistin ihre zwischenzeitlich verschwundene und entführte Hand wieder bekommt und ob sie wieder angenäht werden kann. Ich halte es für unlogisch, dass die Polizistin mit frisch abgesägter Hand trotz eingenommener Schmerzmittel und mit notdürftiger Versorgung so lange durch die Krankenhausflure sausen kann. Als sie als einzige für mich interessante Figur auch noch erschossen wird, interessiert mich der Film nicht mehr. Sie hatte zwar eine Schutzweste an, das halte ich aber für ein misslungenes Ablenkungsmanöver.

Keine Bewertung.

Beim Nudelrestaurant bestelle ich Pasta Arrabiata, deren Soße wirklich zur Hälfte aus fast rohen Peperoni besteht und so scharf ist, dass ich es kaum herunter bekomme.

19:15 Uhr, Kino 9: MAKKHI - Die Rache der Fliege

Indien, Originalfassung, Hindi mit deutschen Untertiteln

THE FLY als Bollywood-Actionkomödie? Was haben die Inder bloß immer in ihrer Brause drin – darauf wäre David Cronenberg selbst in seinen bizarrsten Alpträumen nicht gekommen! MAKKHI gleicht einem sensationell verrückten Looney-Tunes-Cartoon. Ein mörderisches Duell – Fliege gegen Mann – verpackt natürlich als surreal herausgeputzter Hochglanz-Masala-Trash. Der versetzt uns von Beginn an in ein Kulturschock-Delirium, wenn zwei Schmalz-Spacken um die liebreizende Schmuckdesignerin Bindhu balzen: ihr seit zwei Jahren sie vergeblich anhimmelnder, mittelloser Nachbar Nani sowie der industrielle Großkotz Sudeep, ein ruchloser Schweinehund, der sie nur verführen will. Kurzerhand ermordet der reiche Rivale Nani, der nun als Stubenfliege wiedergeboren wird. Die Fliege will sich rächen und sabotiert fortan Sudeeps Leben mit manischer Entschlossenheit, um den Schleimbolzen in den Wahnsinn zu treiben und ihn schließlich, mit Bindhus Hilfe, abzumurksen. Schikanen, Todesfallen, Verkehrskarambolagen, Killervögel, Hindi-Exorzismen: Der explosive wie destruktive Kleinkrieg fordert garantiert Lachanfälle, für die wir jede Verantwortung ablehnen. Eine grotesk-grelle Effekt-Extravaganz, bei der auch kein Insektenspray mehr hilft: Don‘t mess with the fly!

Indisches Mainstream-Kino ist etwas Besonderes. Für westliche Zuschauer ist die Art des indischen Massenkinos sehr exotisch und teilweise nicht sehr zugänglich. Es ist sehr bunt, sehr kitschig, teilweise sehr romantisch und es wird sehr viel gesungen und getanzt. Das ist auch hier so. Ich staune sehr, obwohl ich schon einige Erfahrungen mit indischem Kino habe, lache und applaudiere. Wirklich sehr gute Unterhaltung.

Note = 2+

21:30 Uhr, Kino 8: YOU´RE NEXT

USA, englische Originalfassung

Die Einladung ihrer Eltern zum 35. Hochzeitstag führt den zerstrittenen Rest der Familie Davison, einschließlich ihres Anhangs, nach Jahren der Distanz endlich wieder an einen Tisch zusammen. Dumm nur, dass dieser Tisch im Esszimmer eines abgelegenen Ferienhauses weit drausen im Wald steht, und die einzigen Nachbarn der Davisons bereits am Abend zuvor auf blutige Weise abgeschlachtet wurden! Still und unbemerkt braut sich nun das Unheil in Form eines maskierten Killerkommandos vor den nachtschwarzen Fenstern zusammen. Und noch bevor der Nachtisch serviert ist, erliegt der erste Gast bereits einem gut platzierten Kopfschuss. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Überlebenden verlagert sich daraufhin in wilder Eile von Rinderbraten und Pudding auf die mehr essenziellen Fragen des Lebens: Wer sind die Angreifer? Was wollen sie? Und vor allem: Wer von den Anwesenden kann am schnellsten rennen? Da trifft es sich gut, dass ausgerechnet Erin, die neue Freundin von Sohn Crispian (AJ Bowen aus THE SIGNAL), einige erstaunlich effektive Selbstverteidigungsstrategien auf Lager hat … YOU‘RE NEXT könnte der diesjährige Crowd Pleaser des Fantasy Filmfest werden. Ein cleveres Script, ein cooles Tempo und jede Menge blutige Einlagen treiben den Film auf ein großartig fieses Finale zu. Regisseur Adam Wingard, dessen Mumblecore-Serienkiller-Thriller A HORRIBLE WAY TO DIE noch eher ernste Töne anschlug, versammelt hier ein spielfreudiges Darstellerensemble (unter ihnen Filmemacher Ti West und RE-ANIMATOR-Ikone Barbara Crampton) in einer gutgelaunten und im besten Wortsinn klassischen Splatter-Komödie, die sich ungeniert aus dem filmgeschichtlichen Fundus irgendwo zwischen MURDER BY NUMBERS und FUNNY GAMES bedient und altbewährte Versatzstücke mit erfrischender Verve neu interpretiert. Wingards Entdeckung Sharni Vinson tragt den Film dabei mühelos voran. Ihre grandiose Verkörperung der Erin, die mit wirklich allen erdenklichen Mitteln ums Überleben kämpft, lässt Vinson umgehend zu einer der neuen, vielversprechenden weiblichen Ikonen des modernen Horrorfilms werden. Erins heroischer wie stoischer Einsatz gegen die Mörderbande mündet in eine Vielzahl präzise inszenierter Gore-Gags, die immer wieder geschickt mit den Erwartungen des Zuschauers spielen. Ein erfreulich ruppiger Fun-Splatter-Hit. Für Filme wie YOU‘RE NEXT wurde das Fantasy Filmfest erfunden.

Ich komme eigentlich rechtzeitig und lande in der einzige ausverkauften Vorstellung des gesamten Festivals ganz links in der ersten Reihe.
Die Handlung ist nicht unoriginell und nicht schlecht erzählt. Allerdings hat die optische Umsetzung doch erhebliche Mängel. Durchgehend wird die Wackelkamera eingesetzt. Wackelkamera ist in besonderen Szenen und Handlungen ein geeignetes Stilmittel, um eine schwierige Situation oder die Unentschlossenheit oder Verletzbarkeit einer Person zu unterstreichen. Wird aber ständig Wackelkamera eingesetzt und in keiner längeren Phase Ruhe ins Bild gebracht, halte ich das für ein Stilmittel der Inspirationslosigkeit oder für ein Mittel, um von sichtbaren Fehlern im Bild oder in der Handlung abzulenken. Besonders im Rasiersitz ist die ständige Wackelkamera sehr nervig.

Note = 3-

Fazit: Das war mit Abstand das beste Fantasy-Filmfest seit vielen Jahren. Es gab überdurchschnittlich viele gute bis sehr gute Filme, weniger Schrott als in den vergangenen Jahren und einen ansprechenden Eröffnungsfilm; der Schlussfilm hätte besser sein können, hier hätte ich FRESH MEAT gewählt. Insgesamt ein großes Lob. Als zweites Fazit muss ich ergänzen, dass einige Festivalbesucher/innen einschließlich mir selbst in den vergangenen Jahren aus guten Gründen und gegebenen Anlässen am Meckern waren - das Meckern lohnte sich scheinbar.

S. auch:

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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