Hunger nach Gerechtigkeit

Asyl Vor dem Brandenburger Tor sind wieder Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten. Können sie damit ihre Forderungen durchsetzen?
Man lässt sie im Regen stehen: Flüchtlinge protestieren in Berlin
Man lässt sie im Regen stehen: Flüchtlinge protestieren in Berlin

Foto: Martin Schlak

Sie hungern wieder. Mitten in Berlin, vor dem Brandenburger Tor. 23 Flüchtlinge aus Bayern sind dort gestern in den Hungerstreik getreten. Jetzt läuft die übliche Maschinerie an. Man kennt das mittlerweile. Die Hauptstadtredaktionen schicken ihre Reporter, die Fernsehsender ihre Kamerateams. Politiker werden kommen. Sie werden versprechen sich zu kümmern. Und in zwei Wochen, in einem Monat? Wird sich dann etwas geändert haben?

Es regnet auf dem Pariser Platz im Zentrum der Hauptstadt, die Protestierenden haben dünne Plastik-Jacken übergezogen und Schirme aufgespannt. "Wir werden durchhalten", sagt Brook Biru aus Äthiopien auf Englisch. "Und zwar solange, bis unsere Forderung nach einer Anerkennung der Asylanträge erfüllt sind." Seit Mittwochnachmittag haben sie nichts mehr gegessen. Jemand hat Wasserflaschen gekauft, so gibt es wenigstens etwas zu trinken. Die Polizei beobachtet die Szene. Die Demonstration ist zwar angemeldet. Die Beamten würden allerdings eingreifen, wenn der Protest "Camp-Charakter" bekomme, sagte ein Polizei-Sprecher. Dafür genügt es bereits, wenn die Flüchtlinge nachts Schlafsäcke ausbreiten.

Kein Zurück mehr

Biru gehört zu einer Gruppe von Flüchtlingen aus Bayern, die sich Anfang September für mehrere Wochen in der Münchner Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbunds einquartiert hatten. Sie waren dort nach einem Protestmarsch untergekommen, als sie Schutz vor der Polizei suchten. Der DGB duldete das zunächst, machte aber klar, dass die Unterbringung keine Dauerlösung sein könne. Als mehrere Vermittlungsversuche zwischen Gewerkschaft und Flüchtlingen scheiterten, wurden die Protestierenden am 15. September wieder auf die Straße gesetzt. Jetzt sind sie, per Zug oder Mitfahrgelegenheit, nach Berlin gefahren.

Für sie gibt es kein Zurück mehr. In ihr Land zurück können sie nicht, in die Aufnahmelager zurück wollen sie nicht. "Dort gehen wir zugrunde", sagt Biru. Die anderen Flüchtlinge nicken. Sie haben jetzt nichts mehr zu verlieren. Aber können sie gewinnen?

Schon vor einem Jahr hungerten Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor. Sie trafen sich damals mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) und der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), die zusagten, sich für eine Liberalisierung des Asylrechts auf politischer Ebene einzusetzen. Daraufhin unterbrachen die Flüchtlinge ihren Streik – als aber nichts geschah, setzten sie ihn fort. Anfang Dezember vergangenen Jahres waren sie schließlich ausgezehrt, beendeten den Hungerstreik ohne sichtbares Ergebnis. Sechs Monate später gab es ebenfalls einen Hungerstreik in München. Dieses Camp wurde schließlich Ende Juni von der Polizei geräumt, nachdem Vermittlungsgespräche gescheitert waren. Ärzte befürchteten damals, Menschen könnten sterben.

Erpressung?

Der Ärger der Flüchtlinge fokussiert sich im Moment auf Manfred Schmidt, den Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Amtsleiter und Flüchtlinge hatten ein Gespräch über deren Situation vereinbart, das am 30. September stattfinden sollte. Schmidt sagte es dann wieder ab. Begründung: Im Vorfeld hätten die Flüchtlinge immer wieder öffentlichkeitswirksam ihre Forderungen unterstrichen – auch die nach der kompromisslosen Anerkennung der Asylanträge, teilt das Bundesamt für Migration dem Freitag auf Nachfrage mit. "Diese Forderungen umzusetzen würde bedeuten, die Prinzipien unseres Rechtsstaats außer Kraft zu setzen." Man sei weiter dialogbereit, so das Bundesamt, doch: "Ein Gespräch mit Vertretern der protestierenden Flüchtlinge ist aktuell nicht terminiert."

Warum leistet sich ein Land, dem es doch angeblich so "gut geht" (Kanzlerin Angela Merkel), diese Hungercamps? Die Antwort ist einfach: Die Behörden in diesem Land lassen sich eben nicht gerne erpressen.

Man kann darauf pochen, dass die Gesetze für alle gelten – und seien sie noch so reformbedürftig. Man kann das aber auch zynisch finden. Mindestens ein Flüchtling aus dem Berliner Camp musste bereits ins Krankenhaus eingeliefert werden. Muss etwa erst jemand vor Hunger sterben, bevor die Politiker einlenken?

Die Flüchtlinge dokumentieren den Hungerstreik auf ihrem Blog.

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Geschrieben von

Martin Schlak

Journalist und Physiker. Schreibt Geschichten über Wissenschaft. Beobachtet, wie Technologie unsere Gesellschaft verändert.

Martin Schlak

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