Empörung erster Klasse

Amazon Menschen fordern zum Boykott des Online-Lieferanten auf. Ihre Computer sind aber die von Apple, hergestellt in chinesischen Fabriken unter schlimmen Arbeitsbedingungen.

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Schlimme Zustände bei Amazon. Sagt die ARD. Sicherheitspersonal im Nazi-Look, arme spanische Wanderarbeiter. Hölle Nordhessen. Kaum erholt von der letzten Erregung (war auch ein Hesse, FDP-Minister), geht es schon die nächste Runde auf der Wut-Bahn. Wer will noch, wer hat noch nicht? Menschen hacken auf ihren Mac Pros Petitionen ins Netz, fordern zum Boykott des Online-Lieferanten auf. Das ist in etwa so seriös wie der Hinweis eines Pyromanen auf das Brandrisiko einer Kerze. Jeder weiß, wie schlimm die Arbeitsbedingungen in chinesischen Fabriken sind. Trotzdem muss jeder ein Apfel-Produkt haben und ergeht sich in Jeremiaden, wenn der Firmengründer stirbt. Das gilt für das Schweineschnitzel (schon mal so einen Mastbetrieb gesehen?) und hört bei Textilien und Kinderspielzeug nicht auf. Ganz zu schweigen von Drogerieketten und Lebensmittel-Discountern, angesichts derer sich fast jeder gerne rühmt, dort günstigen Champagner einzukaufen, obwohl sich mittlerweile herumgesprochen haben sollte, dass dort mies bezahlte Zeitarbeiter die Regale bestücken und auf Schritt und Tritt von Kameras kontrolliert werden. Kann mal jemand das Geschrei abstellen?

Ohne Frage werden diese Zustände zu Recht beklagt. Aufregung kleidet auch erst einmal mehr als Indifferenz. Und es ist mehr als erfreulich, dass es Menschen gibt, die sich mehr anstrengen als andere, Iieb gewonnenen Gewohnheiten zu entwachsen und bei der Kaufentscheidung moralische Gesichtspunkte walten zu lassen. Zu klären ist nur, ob man schnellfeuergewehrartig und mit scharlachroten apoplektischen Flecken im Gesicht allen anderen auch via Facebook und Twitter mitteilen muss, was das vermeintlich Richtige ist – anstatt jeden selbst darüber entscheiden zu lassen. Schließlich hat man nicht gerade eine neue Krebs-Therapie entdeckt. Was wollen die Kreischenden uns sagen? Dass sie echte Lebensführungsfachleute sind? Dass sie mehr Charisma haben als Claudia Schiffer oder Harry Potter? Dass eine Tat nur dann eine gute ist, wenn man bellt wie ein alter asthmatischer Knacker, der sich das Gekröse heraushustet?

Es ist der erhobene Zeigefinger, der stört. Dieses pietistische Dauergeheul, dass letztlich nur sagen will: Seht her, das Abendland geht unter. Nur ich kenne den Ausweg. Und jeder, der nicht meiner Meinung ist, würde auch Mousse au Chocolat vor hungernden Biafra-Kindern verschütten. Im aktuellen SPIEGEL, dem einstigen Blatt für bürgerliche Empörung, beschwurbelt Dirk Kurbjuweit den deutschen Willen zum Verbessern, zum Denunzieren und Gscheidhaferln als sozialen Kitt, der unsere Nation zusammenhält. Denn woanders ist es ja viel schlimmer. Siehe Berlusconi-Italien, Korruption-Griechenland etc. Dann doch lieber im bräsigen Deutschland. Das Zeigen auf das Andere ist immer der Wunsch nach Schwarz-Weiß. Zu viele Grautöne sind unerwünscht. Die unausgesprochene Forderung an den „Anderen“ lautet, er möge sich anpassen und die eigene Sicht auf die Welt übernehmen. Wir sind gut, der Giganto-Konzern Amazon ist schlecht. Steve Jobs war ein kluger Kopf, Bill Gates ist das Böse, die Krake.

Die Guten reden ungern über Machtfragen, geschweige denn über eigene Interessen. Lieber geht es um Werte, allen voran Freiheit und Verantwortung. Das kostet nichts und befriedigt das Bedürfnis nach Selbstbespiegelung, nach Rückhalt im Eigenen, nach Selbsterhöhung. „Schatz, ich habe heute bei Facebook die Welt gerettet. Irre, oder?“ Ein Mausklick entfernt ist die Moralseife. Die Maus aber ist die schöne von Apple. Irgendwo in einem chinesischen Sweatshop zusammengekloppt. Wundern muss man sich über das allgemeine Gutmenschen-Outing natürlich nicht. Schließlich ebbt die Empörungswelle nicht ab, wenn man den Rechner verlässt und sich des Abends auf der Fernsehcouch niederlässt. Jeden Tag wird ein neuer Konzern übers Knie gelegt, jede Talkshow ist mit einem halben Dutzend Experten besetzt, die nicht in der Lage sind, über den mickrigen Tellerrand des eigenen Bewusstseins hinauszusehen. Da würde die aus der Mode gekommene Haltung einer ruhigen Betrachtung eher stören. Aber lieber wird tief in die Wort-Moralkiste gegriffen: Von Scham, Wut und Hass ist da schnell die Rede. Wo Moral auf der Zunge geführt wird, kippt schnell der faule Geruch des Totschlagarguments aus dem Maul. Schwupps, wird der Amazon Account gelöscht, nur der Rest, der bleibt daheim und wird nicht nach Cubertino geschickt – wenn Aufregung, dann designseitig auch auf Höhe der Zeit.

Dabei ließe sich im Falle von Amazon ganz geräuschlos etwas tun: Man muss nur bei der nächsten Bundestagswahl das Kreuzchen an der Stelle machen, die dazu führt, eine stets mädchenhaft grinsende Arbeitsministerin abzuwählen, deren Arbeitsagentur die heute in Bad Hersfeld unwürdig behandelten Menschen unter widrigen Umständen ins Land geholt hat. Das ist selbstverständlich kein heroischer Akt. Nach dem Gang ins Wahllokal wird man zu Hause nicht empfangen wie Heimkehrende aus dem Krieg. Das ist eher fade. Das ist nur Demokratie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Calsow

Schriftsteller ("Quercher und die Thomasnacht", "Quercher und der Volkszorn", "Quercher und der Totwald") und Journalist, lebt am Tegernsee.

Martin Calsow

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