Eier! Zu Weihnachten!

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"Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen

  • Polizeipräsident i.R. Siegfried Stumpf als Polizeiführer des Einsatzes vom 30.09./01.10.2010 im Mittleren Schlossgarten in Stuttgart
  • Ministerpräsident a.D. Steffan Mappus
  • Innenminister a.D. Heribert Rech
  • Umweltministerin a.D. Tanja Gönner
  • Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart Dr. Wolfgang Schuster
  • Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Bahn AG Dr. Rüdiger Grube
  • Hany Azer, ehemals Projektleiter der DB Projektbau GmbH
  • u.a.

wegen Körperverletzung im Amt u.a. wird abgesehen (§ 152 Abs. 2 StPO)."

Mit dieser Verfügung hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart am 15.12. den oben genannten Hauptverantwortlichen des brutalen Polizeieinsatzes vom 30. September 2010 („Schwarzer Donnerstag“, über 400 Verletzte) ein Weihnachtsgeschenk der ganz besonderen Art beschert. Sie wurden von allen Vorwürfen in diesem Zusammenhang entlastet. Mehr noch: Liest man die 39-seitige Verfügung, bekommt man den Eindruck, dass sich die unabhängige B/W-Justiz gerade noch so zurückhalten kann, um den Verantwortlichen und den dazu gehörigen Polizeiprügeltruppen nicht ein explizites, amtliches und weihnachtlich-warmherziges Lob auszusprechen.

Aber selbst wenn man nicht Augenzeuge dieses Tages war, stellt man fest, dass die Staatsanwaltschaft mega-dick aufträgt, sich darüber aber in ihrer eigenen Verfügung in zahlreiche, schwere Widersprüche verstrickt: Einmal ist die Rede davon, dass man nie und nimmer mit derartig „aggressivem“ und „verbissenem“ Widerstand gerechnet habe. An anderer Stelle liest man jedoch, dass die Wasserwerfer bereits vollgetankt von weit außerhalb Stuttgarts (Biberach) zum Einsatz rollten. Das DRK verständigte man erst gar nicht vorab, wie es bei Großeinsätzen üblich und vor allem Pflicht ist, weil... s.o. . Rettungssanitäter zur Versorgung Verletzter ließ man nicht in den Schlossgarten, weil die „tumultartigen“ Umstände dies angeblich nicht zugelassen hätten. -Und der Osterhase ist in den Weihnachtsmann verliebt.

Ersichtlich wird aus dieser Verfügung allerdings auch die völlig überhastete, hochriskante Planung des Einsatzes, der dann, bevor er überhaupt mit den eigentlichen Demonstranten konfrontiert wurde, schon völlig aus dem Ruder gelaufen war (siehe PDF ab Seite 8). Wäre es alles nicht so schlimm, könnte man sich eigentlich schlapp lachen über das stümperhafte, jedes Klischee toppende Vorgehen der Polizei: Einheiten aus Bayern fahren an Stuttgart vorbei und stehen hilflos irgendwo auf Autobahnraststätten, bis eine Nanny mit Blaulicht sie dort abholt. Man ruft sich gegenseitig verzweifelt an auf dem Handy, hat aber die falschen Nummern. Geländekarten sind falsch bedruckt, Polizeiketten enden, trotz Sichtkontakt, im Nirwana, usw. .

Gleichwohl ist nie in Erwägung gezogen worden, den gleich zu Beginn und ohne "Feindkontakt" völlig aus dem Ruder gelaufenen Einsatz zu beenden, da „damit zu rechnen war, dass die Polizei bei einem erneuten Einsatz zu einem anderen Zeitpunkt auf noch größeren Widerstand stoßen werde, zumal der genaue Standort des Grundwassermanagements bzw. die zu fällenden Bäume dann bekannt gewesen wären.“ (S. 16 PDF)

Statt dessen um 13.16 Uhr eine Lagemeldung aus der „Hauptkampflinie“ in entsprechendem Eisernes-Kreuz-mit-Eichenlaub-Duktus: „Müssen räumen, um Gitter-Lkw einfahren zu lassen. Kann dies mit Wasserwerfer geschehen? Störer teilen sich in Gruppen auf, wir kämpfen uns durch die ersten vierhundert durch. Das wird ein sehr rustikaler Einsatz.“ http://d1.stern.de/bilder/stern_5/magazin/2010/KW41/Vorab/Dietrich_Wagner_fitwidth_420.jpgVielleicht hätte der verantwortliche Kradmelder besser Luftunterstützung statt Wasserwerfer anfordern sollen; dann hätte man sich auch die ganze Scheindemokratie im Anschluss mit Schlichtung und Volksabstimmung samt Kretschmann sparen können.

Was dann aber am 30. September 2010 gegen 18.43 Uhr geschah, wirft ein bezeichnendes Licht auf die militanten Anti-S21-Demonstranten: „Gegen 18:43 Uhr wurde, wie die Videoauswertung ergeben hat, ein Wasserwerfer aus der Menschenmenge heraus mit Eiern beworfen.“ (S. 15 PDF) Mit Eiern! Gegen Wasserwerfer! Der Polizei! Also Volkseigentum! Das ist ein starkes Stück und an Brutalität und Menschenverachtung nicht zu überbieten. Es ist bislang nicht bekannt, ob diese eierwerfenden Unmenschen sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu verantworten haben werden.

Bis zu dieser ungeheurlichen Meldung von 18.43 Uhr allerdings erfahren wir seitenlang und etwa ein Dutzend mal (von wem auch immer; wahrscheinlich von fehlgeleiteten Bayerischen Polizisten, die zu diesem Zeitpunkt auf einem Autobahn-Rastplatz stehend, sich in Stuttgart wähnten), dass „Demonstranten Steine aufnehmen“, dass gar Steinwürfe seitens der Demonstranten erfolgen. Um gegen Ende dieser quasi in Stein gehauenen Suada den dürren Satz zu lesen: „Letztlich indes konnten mittels der polizeilichen Videoaufzeichnung Steinwürfe von Demonstranten nicht hinreichend nachgewiesen werden. “ (S.15 PDF) So ein Mist aber auch. Aber keine Sorge, bewiesen oder nicht, wer abends mit Eiern auf gepanzerte Wasserwerfer wirft, dem ist alles zuzutrauen. Wahrscheinlich sogar hartgekochte Eier.

Usw. usf. .

Verantwortlicher Staatsanwalt übrigens ist Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler, dessen Abberufung von den Grünen bereits verlangt wurde. Vor der Landtagswahl. Und danach leider nicht mehr. Inzwischen aber scheint er sich, wie man an dieser „Verfügung“ unschwer erkennen kann, bewährt zu haben. Er hat ja durchaus auch seine sensiblen, empathischen Seiten. Besonders wenn es um die strafrechtliche Verfolgung von SS-Mördern geht, hat er seine Fähigkeit, genau zu differenzieren hinlänglich unter Beweis gestellt.

Und so geht es denn auch lustig und heiter weiter in dieser Weihnachts-Verfügung aus Stuttgart, wenn die Aussagen der verantwortlichen Politiker vor dem leicht skurrilen Untersuchungsausschuss durch die Staatsanwaltschaft bewertet werden. (S.22 u. 23 PDF).

Es folgt eine ellenlange, redundante Begründung, warum die Polizei unter dem ehemaligen und in den vorzeitigen Ruhestand geflüchteten Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf nichts falsch aber alles richtig gemacht hat. Anstrengend zu lesen, aber aufschlussreich. (S. 24 - 38 PDF)

Und falls es bis dahin der Letzte noch nicht kapiert haben sollte, folgt auf Seite 39, der letzten Seite der hoch-amtlichen Verfügung, das wirklich Entscheidende und Allerwichtigste in würziger Kürze:

B. Mitglieder der Landesregierung

(Ministerpräsident a.D. Mappus, Innenminister a.D. Rech, Umweltministerin a.D. Gönner)

Wie bereits dargestellt, waren in die konkrete Planung des Einsatzes und in dessen Durchführung weder der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus noch die damalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, Tanja Gönner oder der Innenminister Heribert Rech eingebunden. Soweit der Ministerpräsident während des Einsatzes mit dem Polizeiführer einmal fernmündlich kurz sprach, erfolgte dies nur zu Informationszwecken und nicht zur Einteilung von Weisungen. Dasselbe gilt für Innenminister Rechs Erscheinen vor Ort in den Abendstunden des 30.09.2010. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ergibt sich daraus nicht. Dies ist auch das Ergebnis des Mehrheitsvotums des Untersuchungsausschusses. “ (PDF S. 39)


Alles klar soweit? Wunderbar. Weggetreten!

Epilüg:

„Es bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich Einsatzkräfte vor Ort durch die situationsbezogen angemessene Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Demonstranten einer Körperverletzung im Amt schuldig gemacht haben. “ (PDF S.24)






Der im Video zu sehende, glatzköpfige Prügelpolizist wurde ebenfalls von jener Staatsanwaltschaft von allen Vorwürfen frei gesprochen. Er leistet inzwischen wieder seinen Dienst, darunter auch im Stuttgarter Schlossgarten.

In Baden-Württemberg regiert eine grün-rote Koalition. Das müsste man abschließend doch noch einmal in Erinnerung rufen, da man sonst vielleicht den Eindruck bekommen könnte, im Südwesten sei möglicherweise die Nachricht noch nicht eingetroffen, dass der 2. Weltkrieg jetzt doch irgendwie vorbei und verloren ist.

***

siehe auch hier:

  • Stuttgarter Erklärung (openpetiton.de; eine Stellungnahme Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger, die weiter Widerstand gegen das Projekt leisten wollen und um Unterstützung bitten)
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