Das Rind im Manne

Kino Matthew McConaughey spielt in „Dallas Buyers Club“ einen heterosexuellen Macho, der durch seine Aidskrankheit den Wandel zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft zeigt
Ausgabe 06/2014
Ron Woodroof (Matthew McConaughey) stellt sich auf die "neue Weltordnung" ein
Ron Woodroof (Matthew McConaughey) stellt sich auf die "neue Weltordnung" ein

Foto: Ascot Elite

Das Schnauben in der Rodeo-Arena kommt von einem Mann, nicht von einem Stier. Ron Woodroof hat Sex, nebenher, zwischendurch, mit zwei Frauen, die er bezahlt mit dem Geld, dass er durch mehr oder weniger legale Wetten beim Rodeo verdient. Die Interessen von Ron Woodroof lassen sich reduzieren auf Begriffe, die von moralisch engagierteren Zeitgenossen als Sünde registriert würden: Alkohol, Drogen, Prostituierte, Glücksspiel. Das einzige Detail in seinem kargen Zuhause, das ihm etwas bedeutet, ist ein Bild, das seine Mutter gemalt hat.

Es ist Mitte der achtziger Jahre, und Rock Hudson ist gerade an Aids gestorben. Ron Woodroof ist ein Cowboy, und Männer, die Männer lieben, sind für ihn „Schwuchteln“, mit denen er nichts zu tun haben will. In Jean-Marc Vallées Film Dallas Buyers Club, der auf einer wahren Geschichte beruht, bekommt Woodroof allerdings mehr mit Schwulen zu tun, als er glaubte, dass ihm lieb sein würde: Er hat Aids, seine heterosexuellen Freunde halten ihn folglich selbst für schwul, und in den Krankenhäusern und Selbsthilfegruppen, die das Sozialleben von Woodroof nun ausmachen, trifft er nur auf Leute, die er früher hasste.

Mehr Kopf als Körper

Vallées Film erzählt die Annäherung strikt ökonomisch. Woodroof sucht nach Medikamenten, die sein Leiden verringern und sein Leben verlängern. Er findet sie abseits der von der – und das wird ohne größere Empörung dargelegt – Pharmalobby beherrschten amerikanischen Schulmedizin; in Mexico, Japan, Israel, Europa. Der umtriebige Woodroof macht aus Solidarität ein Geschäft, und dafür braucht er Helfer aus der Community: den Transsexuellen Rayon (Jared Leto).

Woodroof führt Mittel für bessere Therapien ein, als die Studien in den amerikanischen Kliniken sie testen, und gibt die Medikamente an die zahlenden Mitglieder seines „Buyers Clubs“ aus, um illegale Praktiken zu umgehen. Ins Visier der FDA, der Food and Drug Association, ist er da schon geraten; den Kampf gegen die Behörde, die Interessen der Industrie, nicht der Menschen schützt, endet in einem glücklosen Prozess, nach dem sich Vallée einen Schlenker in die Welt der großen Gefühlserzeugung erlaubt: Mitarbeiter, Freunde, Mitglieder des Clubs applaudieren dem geknickt heimkehrenden Woodroof.

Dallas Buyers Club ist ansonsten ein ruhiger, distanzierter Film, der die achtziger Jahre mit unaufdringlichen Gelb- und Brauntönen ausmalt. Die Konvention streift Vallée vorsichtig, wenn sich in der Beziehung zur Ärztin Dr. Eve Saks (Jennifer Garner) eine Art Liebesgeschichte andeutet, die in der Überreichung des von der Woodroof-Mutter gemalten Bildes ihren Höhepunkt an Intimität erlebt.

Schildkröte mit Stolz

Zu den mit Preisen abbildbaren Qualitäten des Films gehört Matthew McConaugheys präzise, nicht exaltierte Darstellung Woodroofs, die dem Schauspieler schon einen Golden Globe eingebracht hat und ihn zu einem Anwärter auf den diesjährigen Oscar als bester Darsteller macht. Der runtergehungerte McConaughey ist mehr Kopf als Körper, steckt wie eine Schildkröte in einem dünnen Panzer aus schlabbernden Hemden und zu großen Jeans und beansprucht noch in seinem staksig-unrunden Gang so etwas wie Stolz.

An Größe gewinnt die Geschichte allerdings erst durch ihren Bezug zur Gegenwart (Drehbuch: Craig Borten, Melisa Wallack). Denn Dallas Buyers Club erzählt scheinbar beiläufig, wie sich Zeiten ändern, wie Ressentiments verloren gehen, wie kulturelle Praktiken sich modifizieren. Die Krankheit macht aus dem Macho von gestern den modernen Mann von heute. In der mexikanischen Klinik eines albertschweitzerhaften Menschenfreundes, dem die Approbation entzogen wurde, sinniert Woodroof erstmals über die „neue Weltordnung“. In der geben nicht Hetero-Macker, wie er einer war, den Ton an, vielmehr herrscht Gleichberechtigung zwischen „Asiaten“, „Homos“ und welche Gruppen Woodroof noch einfallen, die er vormals verachtet hätte.

Die exemplarische Szene des Films spielt deshalb eben nicht auf einem Bullen oder im Rücken einer nackten Frau. Sie findet in einem Supermarkt statt, in dem Woodroof Rayon lehrt, dass gutes Essen die eigene Gesundheit fördert. Auf das trostlose Angebot aus industrieller Massenware schaut die Betrachterin heute im Wissen um den auch im Arrangement seiner Waren ambitionierteren Bio-Markt. An einem Kühlregal begegnet Woodroof einem Gefährten aus früheren Jahren, den er mit Gewalt zwingt, Rayon die Hand zu geben. Und der auch deshalb alt aussieht, weil er sich für das falsche, das ungesunde Essen interessiert.

Dallas Buyers Club Jean-Marc Vallée USA 2013, 117 Minuten


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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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