Tatort Der Saisonauftakt stimmt optimistisch, insofern der Saisonhöhepunkt noch aussteht: Die Luzerner Folge "Geburtstagskind" hat nicht vor, den Zuschauer zu überfordern
Alter Joke unter Tatort-Aficionados: Wenn zum Saisonauftakt eine Schweizer Folge gesendet wird, fängt dann die Saison überhaupt schon an? Wäre schön, wenn sich Markus Gabriel ("Warum es den Tatort nicht gibt") der "junge Himmelsstürmer" (Dirk Thiele) unter den deutschen Philosophen, sich dieser Frage einmal annehmen, vermutlich hat der aber gerade alle Hände voll zu tun zwecks Ruhm. Und dann ist es eben, wie's ist: neue Spielzeit.
Luzern noch nicht so fokussiert, könnte man zu Saisonbeginn zur Entschuldigung vorbringen, hätte dann allerdings das Problem zu sagen, wann der jüngere Schweizer Tatort je fokussiert gewesen wäre – abgesehen von der Dani-Levy-Fastnachtssause ist Luzern doch immer eher so: Abstiegsrang. Da müsste mal Pep
#246;nnte man zu Saisonbeginn zur Entschuldigung vorbringen, hätte dann allerdings das Problem zu sagen, wann der jüngere Schweizer Tatort je fokussiert gewesen wäre – abgesehen von der Dani-Levy-Fastnachtssause ist Luzern doch immer eher so: Abstiegsrang. Da müsste mal Pep "Beppi" Guardiola Pressekonferenzen abhalten und das Positionsspiel auf ein higher Level hieven – "fluide", die Delikatessvokabel der current High-End-Fußballbetrachtung, wäre jedenfalls nicht das, was einem zu dem Fall "Geburtstagskind" einfiele. Ganz zu schweigen von den Lücken im Mittelteil, wo dramaturgisch sich große Leere auftut.Der Film von Tobias Ineichen weiß zwar schon, wie ein schmucker Film heuer aussieht (Kamera: Michale Saxer), aber über einen schicken Look (die fancy Darkroom-Effekte zum Schluss!) kommt die Geschichte vom toten, schwangeren Kind Amina (what a Name: Carla Chiara Bär) nicht hinaus. Was zum einen an der Musik (Fabian Römer) liegt, dem unzweifelhaft größten Sacktreter der Folge. Jeder Moment muss mit Gefühlsgedräu verputzt werden, mal so satiehaft-nachdenklich mit zwei nacheinander hingeworfenen Klavierakkorden, wenn der Nebel über den Tatort weht; mal so fernsehunterhaltssendungseingangsmusikdynamisch, wenn der Lehrlingslover Fabian Gross (Scherwin Amini) beim biologischen Vater (was für eine Gestalt: Marcus Signer) einbricht. Geh mir aus der Sonne, möchte man dem Soundtrack zurufen und dabei eine Geste machen, als vertriebe man eine Fliege, die einem um den Schädel fliegt.Ausbruch ins ValiumZum zweiten ist Flücki (Stefan Gubser) einfach zu limitiert als Sympathieträger, so hart zu sagen uns das fällt. Der Beppi würde Flücki entweder nach Wolfsburg verscherbeln oder wenn nicht auf die Bank setzen, dann aus dem Spielzentrum nehmen. Gubsern repräsentiert eine Mittelmäßigkeit, die den größten Umverteilungs- und Gleichtstellungsanwalt in tiefe Depressionen stürzen könnte, weil Flücki einfach so ohne all das ist, was Reiz ausmacht. Die Hardcore-Christen um Beat Halter (Oliver Bürgin) sind als Gegenpart ein Witz: Etwas lächerlich zu machen, das keiner kool findet, ist keine Kunst. Und nicht mal dabei sieht der Flücki gut aus: Selbst wenn er sich aufregt, wie auf den Platten von dem Jugendzentrums-DJ (einer der wenigen Charaktere mit Potential, der hat wenigstens Probleme), dann geschieht das auf Valium.Die Dispute mit dem vorgesetzten Regierungsrat Mattmann (der große Jean-Pierre Cornu) schnitzen sich ihre Schärfe aus den Abenteuerklötzern des Kindlichen: Wenn es doch nur einmal darum ginge, tatsächlich die Zwänge des Systems zu zeigen, also Vorgesetzte, die Erwartungen haben, Druck aufbauen und Diskussionen nicht führen mit dem Hinweis darauf, dass sie vorgesetzt sind – das wäre mal was. So aber? Mattmann ist ein Springteufel, der einmal pro Folge auftaucht und schlechte Laune macht, gleichzeitig aber so wenig ernstzunehmen ist, dass Flücki zurückkeilen kann, wie es ihm passt. Und seine Ruhe hat.Zur Entschuldigung von Gubsern oder auch seiner Mitstreiterin Delia Mayer aka Liz Ritschard wie überhaupt der ganzen Folge ließe sich unentwegt die Nachsynchronisation ins Feld führen: Wie kann man einem Film so etwas nur antun, zumal der Tatort doch qua Konzept mit Regionalität und zugehörigem Kolorit operiert? Dieses anhelvetisierte Hochdeutsch ist das Niemandsland der Identität, das hat doch mit dem Ausdruck der Figuren nichts zu tun, und das merkt man nicht nur an der akustischen Dosenhaftigkeit, die da im Nachhinein reinkommt durch den drübergelegten, im Studio aufgezeichneten Ton. Klingt wie ein Audio-Kommentar.Eschen zeigen sich anWas es auf inhaltlicher Ebene immerhin ist. Die Dialoge (Buch: Moritz Gerber) klingen immer schon so, als wären sie Erklärungen oder Zwischenbilanzen für Leute, die nicht zugucken können beziehungsweise zu spät eingeschaltet haben. Die Love zwischen Amina und Lehrling Fabsie Gross wird originell erzählt: Auf die Frage der Kommissare, woher sich beide gekannt haben könnten, fällt dem Vater ein, dass die Stieftochter einmal geholfen hat vor Monaten in der Sägerei: "Da hat der Fabian sie wahrscheinlich angesprochen." So geht das.Die innere Logik des Drehbuchs – und das ist keine Schweizer Krankheit, sondern der, seufz, Standard heutigen Erzählens – springt immer nur so hoch, dass die Anforderungen an Plausibilität scheinbar erfüllt sind und die Latte des Verdachts liegen bleiben kann. Sich einmal zu überlegen, dass ein Kommissar nicht einfach immer dann im Wohnwagen des Verdächtigen steht, wenn man beide für einen Dialog zur Informationsweitergabe braucht, sondern sich dafür Szenen auszudenken, die sinnvoll motiviert sind, ist ein Gedanke, den der Großteil der Tatort-Produktion gar nicht hat. Wenn Beat Halter verhaftet wird, kommt ein Polizist an und hält das ultimative Beweisstück hoch. Wenn die Kommissare Verdächtige suchen, gehen sie in Jugendklubs (oder auf Beerdigungen, auch ein Klassiker, meanwhile), und rennen dem hinterher, der sich als erstes bewegt. So was.Beeindruckend ist wenigstens, wie Flücki die Super-Esche Fabsie Gross am Ende zu Fall bringt. Licht aus im Treppenhaus! Das nimmt ein, weil es an die Übersichtlichkeit eines alten Mainzelmännchen-Clips erinnert, der sich darin genügte, Taschenlampen an und aus zu drücken: "Edi's Lightshow". Und zu loben bleibt der Schnitt (Isabel Meier), der am Anfang Sägewerksound mit Pathologiestille kontrastiert.Eine Ankündigung, die auch das Sekretariat von Markus Gabriel machen könnte: "Frau Agamben ist hier"Eine Frage, die immer zum falschen Zeitpunkt gestellt wird: "Säufst du wieder, jetzt?"
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