Ich kann nicht kochen

Tatort Spannung, Spleen und gar nicht fade: Der Bodensee-"Tatort: Im Netz der Lügen" überzeugt durch Internetverständnis, Expertendarstellung und einen cowboyhaften Perlmann

The Next Uri Geller am Start! Oder zumindest so eine Mischung aus Guru, Scharlatan und Superweisen in Gestalt des hausstauballergisch-schnupfenden Professor Lorenz (Marek Ehrhardt) im Tatort: Im Netz der Lügen. Eine große Figur, ein "hochinteressanter Mann", wie der restlos begeisterte Perlmann (Sebastian Bezzel) meint, der sogar vom Tatort (am See, in Zusammenhang mit Joggen ein Topos, der sich breitmacht) früher abhaut, damit er das Seminar vom Professor nicht verpasst.

In diesem Moment ist noch nicht klar, um wen es sich bei diesem Experten handelt, der in leerem Saal und vor großer Leinwand seine Theorien zu so genannten Mikro-Expressions raushaut. Der aufmerksame Zuschauer ist skeptisch, seine im Laufe der Jahre gewonnene, quasi natürliche Abneigung gegen Vorgesetzte (LKA-Schwäne sind grundsätzlich mit dem Bösen im Bunde, wenn sie die Kreise unserer liebgewonnenen Ermittler-Stockenten stören) beziehungsweise einmalig involvierte Koryphäen von außen (zuletzt Redls Polizeischuldirektor bei Lena Odenthal) lässt den Auftritten des Macker-Professors etwas Halbseidenes anhaften – zumal Frau Blum (Eva Mattes) bei weitem reservierter zu sein scheint als der putzig-tumbe und für falsche Vaterfiguren anfällige Perlmann.

Wenn sich aber herausstellt, dass der Professor eine fest auf dem Boden des Bürgerlichen Gesetzbuchs verankerte Version von Thomas Manns Cipolla (Mario und der Zauberer) ist, gleichwohl er mit den leicht anrüchigen Attitüden des Unsympathen versehen ist – dann ist das ein großes Plus dieses Tatorts. Solche absurden, "unrealistischen" Charaktere, die übertrieben sind, ohne der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, müssen als Bereicherung begriffen werden.

Never trust a Laptop-Verstecker

Der Mimiksucher Lorenz liest also in fremder Leute Gesicht wie in einem Buch und Oliver Kahn dereinst das Spiel: Sein Spürblick ("Das ist Verachtung/Überraschung/Wut") bringt Perlmann und Frau Blum erst auf den alkoholgeschwängerten Hintergrund der Powerrichterin Heike Göttler (joggt mit Gewichten an den Händen: Karin Giegerich), den diese mit straightem Gefühlsunderstatement auszubalancieren versucht. Das Internet führt in dieser Folge Menschen zueinander, die im analogen Life nie zueinander gefunden hätten – in diesem Fall: solche mit Vorliebe für spezielle Sexualpraktiken, was lobenswerterweise mit diskretester Normalität behandelt wird (Buch: Dorothee Schön). Damit funktioniert das oft gescholtene Netz als schöne Nebelmaschine für die Ermittlerlogik von räumlicher Nähe und Tatmotivkausalität – der Lokalpolitiker, der ebenfalls dem gezielten Datingsex frönt und hernach um seine Anonymität besorgt ist, ist eine hübsche Abschweifung zu falschen Fährten.

Die Nebenhandlung von Beckchens Tête-à-tête mit dem größten Schmierfinken der Welt des Bodensees, die Perlmann schließlich im elegant-nachdrücklichen Stile John Waynes beendet, kann einmal für eine Nebenhandlung begeistern. So ist Im Netz der Lügen ein überzeugender, auch spannender Tatort, dem es – darauf wird zumindest hier ja Wert gelegt – vielleicht an den großen gesellschaftlichen Themen (sieht man vom kachelmannesken Komplex des Vergewaltigungsfalles und der Misogynie dieses Gerichtspräsidenten ab) mangelt und dessen Personal nicht immer (die Powerrichterin!) so überzeugt wie der zum Uni-Hausmeister verdammte Laptop-Verstecker Ernst Heck (Matthias Freihof, bekanntlich – wenn der Schlenker ins Boulevardeske gestattet ist –, der einst Kommilitone von gleich zwei aktiven Tatort-Kommissar-Darstellern, Simone Thomalla und Jan-Josef Liefers).

Dass das Hecks perfidem Plan zugrunde liegende und zuletzt vielleicht etwas häufig verwendete Rache-Motiv den Raum am Ende etwas eng macht, darf nicht verschwiegen werden. Das ist der Nachteil der hier performeten Kriminalitätsdisziplin. Die Vorteile liegen auf der Hand: So ein disparater Feldzug eignet sich dramaturgisch sehr schön, immer neue, serielle Attacken zu reiten und einander weit entfernte Figuren in einen Zusammenhang zu bringen.

Wieder was gelernt: Wir lügen 200 Mal am Tag

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

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