Tatort Soll man Kiel kielholen? Frank Schätzing und ein Superforschungsschiff machen auf dicke Hose in der Folge "Borowski und das Meer", in der sonst nicht viel geht
Am Kieler Tatort: Borowski und das Meer schockiert einen zuerst, wie weit die eigene mediale Konditionierung fortgeschritten ist. Man sieht im Folgenvorspann Bilder von schwebendem Unterwassergetier und, zack, setzt der Speichelfluss ein, soll heißen, man denkt: Frank "Der Schwarm" Schätzing. Und, zu allem Übel, kommt 10 Sekunden später das Insert für den special guest: Frank Schätzing. Der alte Trickster.
Im – sorry, but – Presseheft erklärt der beliebte Bestsellerautor die Gründe (3) für sein Engagement: Er kennt das "Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel", das sich in dieser Folge selber spielt (1.). Er schätzt, how special, den Kieler Stud Boro (Axel Milberg), "ein faszinierend sympathischer Unsympath" (2.)
special, den Kieler Stud Boro (Axel Milberg), "ein faszinierend sympathischer Unsympath" (2.). Und dann (3.) "ist da meine Faszination fürs Meer." Das kann man mal erfolgreiches Branding nennen – dass Fränkie "Richard Branson" Schätzing es tatsächlich geschafft hat, so mit dem "Meer" assoziiert zu sein wie sonst nur Joachim "Jochen" Gauck mit dem "Lebensthema Freiheit" (Gauck).Irgendwie sind einem diese Privatisierungsbrandings aber unsympathisch unsympathisch – das Meer und die Freiheit sollten doch für alle da sein. Man würde also am liebsten wissen (4.), wie die Zusammenarbeit mit Frank "Thanks for the party!" (Schreibt der im Presseheft) Schätzing in Wirklichkeit zustandegekommen ist, wer sich da wem aufdrängt und wie sehr bei der Koordination der Folge eine Rolle spielt, dass Fränkie-Boy gerade mit seinem neuesten Schocker Breaking News in der Manege vom Literaturzirkus vortanzt. Der ARD (NDR-Redaktion: Sabine Holtgreve) ist freilich auch zuzutrauen, dass das alles Zufall ist.InstitutszampanoWas nicht sein kann: Dass Schätzing wegen seines endgeilen Spiels verpflichtet worden ist. Die Szenen mit ihm wirken eher wie betreutes Filmen, man schaut Schätzing in seiner Rolle als nicht näher bestimmter Institutszampano totaldefensiv, hofft also, dass es nicht so schlimm wird wie damals bei Theo "Fadime ist tot" Zwanziger oder bei Berti "Es riecht nach Gas" Vogts.Dass es den kreativ Verantwortlichen ähnlich geht, lässt sich daran erkennen, dass Schätzing eben eine Rolle als nicht näher bestimmter Institutszampano auf den Leib geschrieben bekommen hat – er kann da so engelhaft-ephemer rumschwirren und Sätze hinterlassen ("Oh ja, das isses"), ohne in Gegenfragen oder Dialoge verwickelt zu werden. Das eine Mal, wo die Selbstreferenz gewagt wird ("Kenn' ich Sie?" – "Nur wenn sie Krimis mögen", ha, ha), löst dann auch Schamgefühle aus, wie man sie als Besucherin von kleinen Zirkussen kennt, in denen die Ziegen sich einmal im Kreis drehen – man bangt das mit allerhand good will zu.Es lässt sich also sagen, dass Schätzing mit seiner Performance dem zweiten Stargast von Borowski und das Meer in nichts nachsteht: dem Tauchschiff Jago, das Boro fantasialand-autostadt-esk mal ausprobieren darf. Für Geschichte und Inszenierung völlig sinnlos, aber es soll halt gewuchert werden mit den Pfunden: ein production value, bei dem man sich nicht erst die Mühe gemacht hat, es auszupacken, die Szene befindet sich noch exakt auf dem Level der Idee, die ihr vorausging: "Ey, wär doch fetzig, wenn Boro in dem Ding mal auf Tauchgang geht."AugenhöheWomit wir, finally, beim Großenganzen wären. Um es vorsichtig zu sagen: Kiel kriegt, nach den großen Erfolgen in der Saison 2011/12, in Borowski und das Meer nämlich keine Galavorstellung der eigenen Stärke aufs Parkett, sondern tritt auf wie der BVB beim 0:3 gegen den abstiegsgefährdeten HSV – schlechteste Leistung, die man von Boro und Sarahbrandt (Sibel Kekilli) je gesehen hat.Beide finden nicht in eine Geschichte, die sich nicht gewaschen hat (Buch: Christian Jeltsch) – man riecht die Intentionen zehn Meilen gegen den Wind, und es müffelt nach unausgegorener Globalpolitik. Hat Köln letzte Woche sehr genau ermittelt, kriegt man hier alle Einfälle als Klumpen serviert: Dass jemand auf das Stichwort "Seltene Erden" zuschauerinformationsbeflissen "Das ist ein Milliardengeschäft" sagt – never heard that one before.Die mühsame Etikettierung von Marte Adam (Nicolette Krebitz) als Oma-Kind, die nicht minder mühsamen Pseudodramatisierungen von Marex-Chefin und Party Animal Sylvana "Fuck" Vegener (Karoline Eichhorn), die dem Fame von Boro zuarbeiten sollen ("Hat wahrscheinlich dieser Kommissar Borowski angeordnet!"), oder dieser allermühsamste Neuseeländer, der/den Sarahbrandt anklampfert – kann machen, wer Ludwigshafen oder Erfurt "auf Augenhöhe" (Karl-Heinz Rummenigge) begegnen will. Wobei, Erfurt: Ein Spaßvogel könnte auf die Idee, dass die ultraspannende Verfolgungsjagd da noch übrig war und am Computer einfach auf Kiel umgerechnet wurde.UntersturmbannführerkillerWas merkwürdig ist, weil Regisseurin Sabine Derflinger zuletzt doch nicht uninteressant im Tatort und beyond gearbeitet hatte. In Borowski und das Meer aber liefert sich die Inszenierung einen Wettstreit mit dem Buch in Sachen Behäbigkeit: Der Clou, dass Jensi Adam (Andreas Patton) nur bühnenreif von der Reling gefallen ist, nicht aber tot, wird ebenso unpointiert in Szene gesetzt wie der ermittlungsbeschleunigende Umstand, dass es dank Sarahbrandts Computerskills völlig egal ist, ob Umschläge mit brisanten USB-Sticks bei der Polizei ankommen oder in den Händen von untersturmbannführerhaften Betriebskillern (Aleksander Tesla) scheinbar beseitigt werden.Überhaupt, dieser Killer; wie der am Ende mit offenem Visier seinen Auftrag zu Ende bringt, was doch seinem Credo widerspricht ("Ich lass mir nicht bei der Arbeit zuschauen"). Beziehungsweise, dieses Ende: Big Verhafte im Auditorium – wir dachten immer, Sonntagabend wären die Kinder schon im Bett, die man mit solchen Winnetou-Old-Shatterhand-Gerechtigkeiten zu beeindrucken glaubt.Immerhin lassen sich Grundsatzregeln ableiten aus Borowski und das Meer: Damit schlechte Dramaturgien funktionieren, muss sich die Polizei dämlich anstellen. Und es bleibt offen, wofür "Winfred Tabarelli Leitender Kriminaldirektor a.D." seinen Fachberatungscredit im Abspann bekommen hat.Eine rhetorische Frage, die in der Wirklichkeit als unlogisch zurückgewiesen würde: "Würden Sie mich sonst so großzügig entlohnen, wenn ich ein Vollidiot wäre?"Ein rhetorische Frage, die man großzügig Entlohnten stellen könnte: "Was sind Sie für eine Pfeife?"Eine Frage, die man auf AFD-Parteitagen jedem außer Bernd Lucke stellen könnte: "Stand Adam ihrer Karriere im Weg?"Eine Satz für jede Gelegenheit: "Eigentlich hab' ich heute frei"
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