Tatort Die Folge "Todesschütze" aus Leipzig könnte man als Werbung für Sekundenkleber nehmen, ohne den das Jugendgewalt-vs-Zivilcourage-Ding nicht zusammenhalten würde
"Das Leben lebt nicht", lautet ein Satz Ferdinand Kürnbergers, der es in der Szene zu einiger Prominenz gebracht hat als Motto, das Theodor W. Adorno seinen Minima Moralia vorangestellt hat. Um "Moralia" geht es in dem Leipziger Tatort Todesschütze, minimal ist der Aufwand, der dafür getrieben wird, und Ferdinand Kürnberger, gestorben im dix-neuvième siècle, kann unmöglich gewusst haben, wie viel er über den Leipziger Tatort im immer noch jungen 21. Jahrhundert damit gesagt haben würde.
Man ist als Außenstehender aka Zuschauer beim Tatort immerfort mit Resultaten beschäftigt, deren Zustandekommen kein Pay-TV-Sender überträgt. Und gerade Todesschütze ist nun ein herrlicher Anlass, sich dieses beklagenswerten Zustands bewus
rträgt. Und gerade Todesschütze ist nun ein herrlicher Anlass, sich dieses beklagenswerten Zustands bewusst zu werden: Man würde doch zu gern wissen, ob das Drehbuchschreiben (hier: Mario Giordano und Andreas Schlüter) für eine Reihe, auf die man in der ARD sicherlich stolzer ist als auf den Degeto-Schmonz, von dem man meint, dass die Zuschauer ihn sehen wollten, tatsächlich so uninspiriert-grobschlächtig ausfallen kann oder ob die lausige Hardcore-Didaktik von Todesschütze sich jenen Normierungsprozessen erst verdankt, die von der völlig unhinterfragten, vorauseilenden Angst der zuständigen Produzenten und Redakteure in ein vielleicht nur stimmiges, womöglich gar anspruchsvolles Buch hineingetragen wird und dort sogleich schlimmste Verwüstungen anrichtet.Als Außenstehender aka Zuschauer wird man durch Todesschütze jedenfalls mit einem Pattex-Tatort erstaunlichster Manier konfrontiert. Alles ist zusammenklebt und hält, wenn überhaupt, nicht über den Abspann hinaus – wer in fünf Jahren, wenn die Zeit fortgeschritten sein wird, diesen Tatort noch einmal sieht, wird sich die Zombie-Auftritte von Lehrer Winkler (Stefan Kurt) und den ganzen Showdown nur noch als Trash allererster Kajüte erklären können.Ohne Türen zu schlagenDas Zusammenkleben funktioniert nach einfachem Muster: Man holt sich einfach von überall her, was von auf den ersten Blick gut aussieht. Also eine namhafte Besetzung (Kurt, Wotan Wilke Möhring, Antonio Wannek, Winnie Böwe), ein paar gesellschaftlich prekäre Themenblöcke (Zivilcourage vs. Jugendgewalt, polizistischer Corps-Geist, Kinderwunschism, Problemfamilien), Bilder (Kamera: Wolf Siegelmann) und, äh, Musik (Jens Langbein und Robert Schulte Hemming), weil doch Musik in diesen Filmen, die da im Fernsehen laufen, meistens vorkommt.Und dann wird eben zusammenklebt. Etwa in der Szene, in der Rächer Winkler in den Imbiss einmarschiert, in dem die Verschweiger-Polizisten Maurer (Rainer Piwek) und Rahn (Möhring) nachts ihre Wurst essen, er hält seinen Vortrag, die Polizisten ziehen ab, reden und treffen am Auto auf die Aufklärer-Polizisten, Filter Saalfeld (ihr Gesicht erscheint doch immer in sehr eigenem Licht: Simone Thomalla) und Sono Keppler (Martin Wuttke), und wieder sind drei Informationen gegeben, die den Fall ausmachen sollen.Latürnich wollen wir keinem Realitätsabgleich das Wort reden; dass so was im richtigen Leben nicht vorkommt. Es handelt sich ja um einen Film und nicht um das richtige Leben, aber in einem richtigen Film würde einem nicht so unaufgenehm aufgestoßen, dass in Todesschütze alles, was gerade eine Information loswerden muss, seinen Auftritt bekommt wie in der Türe schlagenden Boulevardkomödie auf der Stadttheaterscene. Es würde einem mit ein wenig Sinn für die innermost details einer Geschichte nicht aus jedem Moment so sehr die Wirkung, die erzielt werden, das, was verstanden werden soll, angehen wie bei diesem strangen Flugblatt-Tannenbaumschmuck am Hause Rahn, der den von dem ruchlosen "Pinscher von der Presse" (Sono Keppler) namens Christian Remmler (Was soll denn das für ein Boulevard-Journalistenbild sein!) aufgehetzten "Volkswillen" symbolisieren soll, und wo im Hintergrund immer noch ein Nachbar mit Hund rumsteht, der das Kopfschütteln des sozialen Drucks repräsentiert.Bullshit-Bingo, againDie sogenannte Geschichte, die Todesschütze erzählt, eignet sich wieder einmal hervorragend zum Bullshit-Bingo spielen (bitte wählen Sie die "Zunehmende, immer brutaler werdende Jugendgewalt"-Karte), weil die Geschichte keine ist, sondern eine zusammengeklebte Collage aus allen Stanzen, die zum Thema in gröbsten Zeitungstexten gesagt werden können: "Es gibt immer weniger Leute mit Zivilcourage", "Muss extrem brutal sein", " Koma? Kenn ich nur vom Saufen". Das Elend solcherart Drehbuchs, das seine Geschichte gar nicht mehr erzählen muss, weil es einfach die Standards zum Thema zusammenkloppt, zeigt sich schon in einem der ersten Sätze, wenn Frau Winkler (Natascha Paulick) die Trambahn-Stresser zurechtweist mit dem auch schon durchreflektierten Satz "Ihr vergreift euch immer an den Schwächsten", und einer der drei dann sagt: "Ey, komm, die Milf will Stress."Denn darin steckt, was "Todesschütze" zur Originalität schon reicht, dass hier der Begriff "Milf" eingeführt aus dem Porno-Milieu ("Mothers I like to fuck"), mit dem diese totalverwahrloseste next Generation eben so arbeitet. Das Problem ist nur, dass die Figuren so grobe Schemata von Jugendsprach-Repräsentanten sind, dass man im Leben nicht auf die Idee käme, den "Milf"-Begriff durch so etwas wie Charaktere legitimiert zu sehen, sondern darin immer nur eine Drehbuchautoreneitelkeit entdecken kann, die sagt, ich weiß was – in dem Fall: wie die krasse Jugend von heute eben so spricht.Und so geht es die ganze Zeit. Nichts ist verständlich aus den präsentierten Abläufen heraus, die sogenannte Geschichte erklärt sich immer nur aus dem Raunen, das um das angetippte Themenfeld herrscht. Warum etwa die drei Stresser beschließen, ihren Fuß kinoreif zwischen die sich schließende Trambahntür zu halten und "extrem brutale" Gewalt an den Winklers zu performen – keine Ahnung. Aber öffentliche Verkehrsmittel, deviante Jugendliche, Zivilcourage – da war doch was, Sie als Zuschauer, werden sich sicher erinnern.Law-and-Order-ExekuterAusbaden müssen das die Schauspieler, die allesamt Sätze aufsagen, die nichts mit so etwas wie einer Rolle zu tun haben; aus der Ärztin ("FALLS, sie wieder aufwacht") tönt schon die Drohung gesellschaftlicher Empörung; bei den beiden Verschweiger-Polizisten sieht man in der Uniform immer nur das Kostüm, das Piwek und Möhring eben anziehen mussten und nie Polizisten, und aus jeder Zwischenbilanz von Filter Saalfeld spricht das Wissen des Drehbuchs, das nach 87:30-Minuten das Ding zu Ende erzählt kriegen muss. Die einzigen Ausnahmen bilden der Burgtheaterwuttke, der versucht, den unoriginellen Drehbuchsätzen (Wie kann man denn das, haha, "Bingo"-Motiv in den letzten 20 Minuten einführen?) zumindest durch Distanz etwas abzugewinnen, und der Polizeistellenleiter des Stuttgarter, bald Weimarer Theaterintendanten Hasko Weber, der immerhin eine eigene Färbung in die Figur bekommt.Politisch bleibt von solchen Abenteuern dann nur konservativer Konsens übrig, eine Reise nach Jerusalem um den Stammtisch zum Thema, die statt etwas Eigenes, Spezifisches zu erzählen, noch mal sagt, was alle sagen. Wobei das Furchtbare daran ist, dass das, was auf dem Bullshit-Bingo-Zettel als "Kindheitstrauma vor Gericht" von den Law-and-Order-Exekutern dann verhöhnt wird, in dieser Anlage schon mitgedacht wird, wenn Sono Keppler Prekär-Robin (Vincent Krüger) dessen Schicksal zusammenschnurrt (kranke Oma, kein eigenes Zimmer), das in einer viel umfassenderen Darstellung geeignet wäre, etwas über Verhältnisse mitzuteilen, die nicht für cheape Grund-Folge-Logiken taugen.Kurz gesagt: Wer für funktionierende Logistik etwas übrig hat, sollte zum Hamburger Hafen fahren.Ein Satz, mit dem man auf Stehempfängen reüssieren könnte: " Bin halt 'n Genussmensch"Etwas, das wir kürzlich erst intensiv gedacht haben: " Ich hab's versucht, es ist so sinnlos"
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