Rio Bravo Girl

Film Wenn die Suche nach dem Wasser trostloser wird, übernehmen die Frauen das Regiment: Kelly Reichardts feministischer Western "Meek's Cutoff" ist große Kunst

Es passiert nicht viel in diesem Film, und genau davon handelt er. Drei Familien besiedeln 1845 den Westen. Sie haben einen Trapper angeheuert, Stephen Meek (Bruce Greenwood), der ihnen den Weg weisen soll. Meek’s Cutoff heißt Kelly Reichardts Film, und „Cutoff“ meint das Substantiv zu „abschneiden“, das einmal mit den Vorstellungen der Siedler spielt und sie dann auf die Realität zurückwirft: Abschneiden heißt hier nicht, den Weg abzukürzen, sondern die Reisegesellschaft um ihr Ziel zu bringen.

Meek’s Cutoff ist ein Spätwestern in einem Sinne, in dem dieses Wort erst Sinn ergibt. Kein Abgesang auf die glorreiche Zeit der Besiedlung, die in einem Filmgenre Ausdruck fand, und der deshalb noch immer die Tränen Hollywoods trocknete über seine großen Jahre. Vielmehr ein nachgereichter Kommentar, der das Unerzählte, das Abgekürzte in den filmischen Mythen wieder in die Geschichte hineinträgt. Das klingt didaktisch, ist aber so einleuchtend, dass man sich fragt, warum niemand vor Kelly Reichardt und ihrem Drehbuchautor Jon Raymond auf solch einen Film gekommen ist.

In Kelly Reichardts Filmen (Old Joy, 2006; Wendy and Lucy, 2008) herrscht eine Ästhetik der Konzentration, die nie in karges Kunstwollen umschlägt. Diese Reduktion nennt man, wo es um das filmische Erzählen geht, ökonomisch. Und meint damit eine Sparsamkeit der Mittel, die nur so viel aufwendet, wie ausreichend ist. In anderen Zusammenhängen steht Ökonomie hochtourig für eine Wirtschaft, an die sich die Bilder von Schaffenskraft, Überschuss und Wohlstand heften. Dass Meek’s Cutoff durch sein Ökonomischsein jener Ökonomie nun das Kraftvolle austreibt, verweist auf die Klugheit des Entwurfs: Nach den Western einen Western zu erzählen bedeutet auch, den kapitalistischen Mythos zu hinterfragen, der in der Landnahme begründet wird.

Meek bleiben nur Schauergeschichten

Kelly Reichardts Film weiß um die Bilder, die man kennt. Bilder, in denen die Weite des amerikanischen Raumes durchmessen wird mit wilden Fahrten und schnellen Schnitten, in denen ausgreifende Bewegung durch das rasche Überblenden von gegeneinander gefilmten Landschaften veranschaulicht wird. Durch Berg und Tal.

Hier geht es über Berg und Tal, dauern die Überblendungen, sind die Landschaften nicht kontrastiv, sondern additiv gewählt. Als die Siedler von einer Anhöhe ins Tal müssen, führt der Film das riskante Procedere vor, den das vorsichtige Herablassen der Wagen selbst von flacheren Hängen hinab bedeutete. Man sieht, wie lang es dauert, ehe eine Flinte geladen und abgefeuert ist, als ein Ureinwohner (Rod Rondeaux) sich dem Treck nähert und, als die Frauen den Schuss endlich gelöst haben, lange wieder verschwunden ist.

Der Film fokussiert auf die Frauen, die im klassischen Western hinter den Helden verschwinden. Wenn die Suche nach dem Wasser trostloser wird, übernehmen sie unscheinbar das Regiment. Die Auseinandersetzung zwischen Meek und dem gefangenen Ureinwohner, der eine andere Sprache spricht, wird zur Entscheidung für das Überleben. Meek, der anderswo der kanonische Held wäre, versucht seine Macht durch Schauergeschichten zu behaupten. Die Frauen entscheiden aus reinem Kalkül: Emily (Michelle Williams) flickt dem Fremden den Schuh, damit er ihr dankbar sein muss. Meek’s Cutoff ist ein feministischer Western, und auch das ist nicht didaktisch, sondern große Kunst.

Am Ende steht ein Baum.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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