Tolle Wurst

Polizeiruf 110 Der Sonntagskrimi ist eine Reihe, keine Serie - das kriegt das Gedächtnis angesichts des jüngsten Clinch-Kapitels zwischen Bukoff und Frau König im Polizeiruf zu spüren

Rostock schwächelt. Da hatten wir gerade nach der letzten, ungemein dichten Folge unsere anfängliche Skepsis in hemmungslose Sympathie verwandeln wollen, da kommt die Folge ...und raus bist du! dazwischen.

Der leichter Abtörn hat zwei Gründe: Zum einen merkt man am Polizeiruf aus Rostock, der eine Serie sein will, dass der Sonntagskrimi nur eine Reihe ist. Die lebt zwar von der Kontinuität, jeden Sonntag um 20.15 Uhr am Start zu sein. Ist darin aber völlig heterogen, wie man nicht nur an der bisweilen unglücklichen Häufung von gewissen Nebendarstellerauftritten sieht (Brambach, Bülow, Arnd Klawitter), sondern auch den Qualitätsschwankungen von Frankfurt bis Bremen.

Dass der Polizeiruf Rostock innerhalb dieser Vielfalt mit der Binnenspannung der Serie arbeiten will, ist im Ansatz nicht zu beanstanden und durch das relativ "zeitnahe" (Wolfgang Schäuble) Senden der ersten beiden Folgen auch honoriert wurden. Aber eigentlich: Quatsch. Wenn ...und raus bist du! da anfangen will, wo Feindbild vor über drei Monaten aufgehört hatte, ist das Gedächtnis überfordert. Die Details der letzten Folge, als Bukoffs Gegenspieler Subocek (Aleksandar Jovanovic) dingfest gemacht worden war, sind jedenfalls nicht mehr so präsent, dass man Bukoffs schlechte Laune in Erwartung des Frau-König-Berichts voll deep nachempfinden könnte. Außerdem sind Alexander "Sascha" Bukoff (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau) für unseren Geschmack eh viel zu flirtatious drauf, als dass der spannungsheischende Bericht noch anders ausgehen könnte als das Hornberger Schießen aka der Kachelmann-Prozess.

Schön übertrieben

Das zweite Problem von ...und raus bist du! ist die Nebengeschichte mit der in die Obdachlosigkeit gefallene, ihrer Tochter entfremdeten Mutter Nathalie Schieke (Ursina Lardi, Buch: Wolfgang Stauch). Der tiefe Fall erklärt sich am Ende zwar durchaus, aber bis dahin liegt dieser als "Problem" scheinbar einfühlsame Strang der Folge quer im Magen (Regie: Christian von Castelberg). Müssen Arme immer so bemuttert werden von Gefühl und Musik (nahm sich anfangs eigentlich ganz gut aus: Ralf Wienrich, Eckart Gadow)?

Nein, zeigt die Folge selbst am Beispiel der fidelen und völlig fiktiven Müllsammler-Combo aus Schrotthändlertycoon Lukas Gehring (schön übertrieben: Jan Georg Schütte) und dem ätherisch-alkoholischen Rentnerpaar Margit (die große Christine Schorn) und Kran Schütte (Jan Peter Heyne). Kann man auch noch mal drüber nachdenken, ob die einzige Alternative zur Bemutterung von Armen deren Spleenigkeit ist – andererseits gucken wir für so was ja auch Fernsehen und nicht die Leute im Park an.

Das Buch wirkt an manchen Stellen zwar fast ein wenig zu smart ("Ist wie Autokino ohne Kino"), verfügt aber auch über ein paar Ungelenkheiten, um seine Story am Laufen zu halten. Dass Pappnase Pöschel (Andreas Guenther) am Grill im Revier sich plötzlich an das zweite Namensschild am Briefkasten des toten Müllsammlers erinnert, erscheint ein wenig weit hergeholt. Auch die umstrittene Tochter macht nicht unbedingt bella figura, wenn sie in der ersten Hälfte der Mutter erklärt, wie gut es ihr im Wohlstand der Leiheltern gehe, als habe sie ihre Gefühle durch die Lektüre des FDP-Programms verloren. Um dann doch dahin auszubüxen, wo ihr Herz die ganze Zeit geschlagen hat.

Lobenswert in Rostock bleiben die kräftigen Charaktere – auch wenn Bukoff vielleicht nicht mit jeder Verdächtigen zur Schule gegangen sein muss – und die hübschen Bilder (Kamera: Martin Farkas).

Eine Rechenaufgabe: Von 1,6 Millionen Alleinerziehenden empfangen 40 Prozent Hartz IV, worunter wiederum 95 Prozent Frauen sind – wie viel ist das in absoluten Zahlen?

Findet man nur noch bei Müllsammlers zu Hause: das einstmals verbreitete Honecker-Portrait

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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