Trotzdem, also

Tatort Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: die Münchner Folge "Allmächtig" ist vermutlich sogar etwas über dem Durchschnitt. Sie könnte aber auch ganz anders sein

Wenn das deutsche Fernsehen von sich selbst erzählen will, flunkert es. Kann Zufall sein, kann auch Gründe haben: Es will sich nicht zu nahe kommen. Auf dem Jahrestreffen des Verbands der Film- und Fernsehdramaturgie (VeDRA) gab es in diesem November in Berlin eine schöne Szene bei einem Gespräch über den, natürlich, Tatort. Die Autorin Dorothee Schön war gefragt worden, ob es Tabus bei den Stoffen gebe, worauf sie antwortete, dass die Geschichte einer Spielfilm-Redakteurin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die unter falschem Namen Drehbücher schreibt und die von einer Gruppe erboster Autoren umgebracht würde, wohl kaum zu vermitteln sei. Woraufhin Josephine Schröder-Zebralla, die verantwortliche Tatort-Redakteurin des RBB, Frau Schön aus empirischer Erinnerung beipflichtete ("hat sich ja auch nie jemand getraut") und anfügte: "Wir träumen von solchen Stoffen."

Die Zuschauerin womöglich auch. Zu sehen kriegt sie allerdings Folgen wie Allmächtig (BR-Redaktion: Claudia Simionescu), in denen ein widerlicher Fernsehfuzzi namens – wir haben öfter auch mal "Alfred Andersch" verstanden – Albert A. Anast (Alexander Schubert) alle möglichen Leute mit laufender Kamera bullied für Videoclips, die dann steil geklickt werden. Der medienkritische Entwurf von so was stammt aus den frühen neunziger Jahren, als das Privatfernsehen die Öffentlich-Rechtlichen nachhaltig traumatisierte durch seinen Erfolg. Deswegen müssen der Ivo (Miro Nemec) und der Franz heute noch erklären, wie verachtenswert das ist ("sozialer Abwärtsvergleich").

Leider ist eine Figur wie dieser Fernsehfuzzi ohne Realität (Buch: Gerlinde Wolf, Harald Göckeritz und Edward Berger): Die Szenen sind so gedreht, dass sie wie alles aussehen, bloß nicht wie Fernsehen. Die von Anast bedrängten Opfer, die das Heer der Verdächtigen stellen, wehren sich nicht oder so blöd (der hammerschwingende Ex-Nazi), dass man's nicht glaubt: Wer nicht gefilmt werden will, hielte doch die Hand vor die Kamera. Oder rennte weg. Oder so.

Markus Lanz

Anast ist eine Karikatur, eine Übertreibung, durch die man nur unschärfer sehen kann – solch ein Fernsehen wie das von diesem Widerling ist natürlich böse. Dabei wäre es doch viel brisanter, interessanter, aufreizender, sich den ganz alltäglichen Korruptionen zu stellen, denen eines Boulevardreporters, der zur Arbeit geht, weil er an Karriere glaubt oder auch nur den Kindern die Ausbildung bezahlen muss, dem, was ein Markus Lanz wegdrücken muss an Widerlichkeit, wenn er die Leute auf Klischees festlegt, die über sie kursieren, weil er sonst so gar nicht fragen könnte – immer rein in die Wunde. Oder gar denen einer ganz gewöhnlichen Journalistin.

Stattdessen schießt Allmächtig Löcher in die Luft und flüchtet sich durchs Anagramm (Satan) ins unendlich Universelle der Religion. Man kann Filme schwer dafür kritisieren, was sie nicht sind, sich aber schon fragen, warum der Tatort es sich mit dieser Flitzpiepe so leicht macht in der Verteilung von Gut und Böse. Dazu passt, dass es am Ende Rufussen (Albrecht Abraham Schuch) war, die rechte Hand des – in solchen Kontexten immer suspekten – Pfarrers (der große Ernst Stötzner). Und dazu passt auch, dass selbst am Täterraten uninteressierte Leute wie ich hier schon beim zweiten Auftritt von Pfarrer und Rufus alles Geld der Welt auf letzteren gewettet hätten. Die fehlende Spannung geht im Feuerwerk im Fernsehstudio auf, in dem Rufus dann dramatisch beichtend dann alles nacherzählt, was man wusste.

Zaghafte Himmelschöre vor finaler Explosion: Jochen Alexander Freydanks Regie will auf eine Wuchtigkeit hinaus, die laut "Kino" ruft als Synonym für die dicke Hose des Ästhetischen. Kann man alles machen, es fragt sich aber, was die Zeitraffer-Büro-Choreo beim Falllösen am Ende sagen soll. Oder was die Luftaufnahmen vom Franz-Ivo-BMW, der in ein Waldstück einfährt, eigentlich erzählen wollen. Shining auf Dienstfahrt? Bayern ist schön? "Was des wieder kost'!"

Das Beste am Film sind die Franz-Ivo-Vertrautheiten ("Kannst du dir vorstellen, jemals von hier wegzugehen" – "Nicht ohne dich"), die eigentlich Zuschauer-Franz-Ivo-Vertrautheiten sind, auch wenn sie manchmal etwas platt daherkommen wie das Nein zur Zusammenarbeit des potentiellen Assistenten Karlhuber (David Baalcke). Ehe nun ein falscher Eindruck entsteht: Es ist nicht schlimm.

Ein Verweis, der unglaublich aktuell wirkt: "Nelson Mandela hat das gesagt"

Eine berechtige Frage: "Was gab's denn am Freitag zu feiern?"

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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