Gerade hat der Bundesgerichtshof das Strafverfahren um einen Gerichtsmediziner, der für den Tod eines Menschen verantwortlich sein soll, wieder an das Landgericht Bremen überwiesen.
"Die dortigen Richter hatten den verantwortlichen Polizeiauftragsarzt bereits zweimal mit unterschiedlichen Begründungen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.
Der BGH als Revisionsinstanz hob nach dem ersten Freispruch jetzt auch den zweiten wieder auf, so dass der Fall noch einmal aufgerollt werden muss."
Ende des Jahres 2004 flößte der Mediziner in Bremen auf einem Polizeirevier Laye Alama Condé das Brechmittel Ipecacuanha und mehrere Liter Wasser ein. Da Condé di
Der BGH als Revisionsinstanz hob nach dem ersten Freispruch jetzt auch den zweiten wieder auf, so dass der Fall noch einmal aufgerollt werden muss."Ende des Jahres 2004 flößte der Mediziner in Bremen auf einem Polizeirevier Laye Alama Condé das Brechmittel Ipecacuanha und mehrere Liter Wasser ein. Da Condé die Substanz und das Wasser nicht freiwillig zu sich nehmen wollte, legte der Mediziner ihm eine Magensonde. Am Ende waren 0,5g Kokain gesichert und Condé lag im Koma.Ungefähr zur selben Zeit lernte ich, wie man Säuglingen eine Magensonde legt. Das kann notwendig sein, wenn die Kinder nicht in der Lage sind genug Nahrung aufzunehmen. Dabei wurde auf eine Gefahr hingewiesen, die dazu führen kann, dass das Herz des Säuglings plötzlich langsamer schlägt oder ganz aufhört. Verantwortlich dafür ist der gleiche Nerv, der dafür sorgt, dass man beginnt zu würgen, wenn man sich den Finger in den Hals steckt: der Vagusnerv.Der Vagusnerv zieht durch den Brustkorb und gibt unter anderem Fasern an das Herz ab. Aufgabe des Vagus ist, das Herz zu bremsen. Beim legen einer Magensonde besteht die, wenn auch sehr kleine Gefahr, das Bremspedal zu stark durchzudrücken. Man muss also auf die Reaktion des Kindes achten um schnell reagieren zu können. Außerdem muss man sich gut überlegen, ob das Kind eine Sonde benötigt, das Risiko gegen den Nutzen abwägen.Bei den meisten Vergiftungen sieht man davon ab, eine "Magenspülung" zu machen oder den Patienten zum erbrechen zu bringen, weil die Gefahr der Aspiration besteht. Darunter versteht man, dass etwas vom Hochgewürgten in Luftröhre und Lunge gelangt. Das kann zur Lungenentzündung oder Ertrinken führen.Das Risiko beim Einsatz von Brechmittel war spätestens bekannt, seit 2001 in Hamburg ein 19 jähriger starb, nachdem versucht wurde "Beweismittel zu sichern". Er war unter dem Verdacht des Drogenhandels festgenommen worden. Auch Condé überlebte den Einsatz des Brechmittels nur wenige Tage und wachte aus dem Koma nicht mehr auf.Als kleines Kind habe ich einmal die Kugeln der Kanone meines Playmobil-Piratenschiffs verschluckt. Das ist lange her, daher weiß ich nicht mehr, warum ich es gemacht habe, vielleicht war ich kein kluges Kind. Glücklicherweise war meine Mutter bereit, meinen Mangel an Intelligenz zu kompensieren und hat einige der Kugeln gerettet. Details werde ich nicht nennen, doch als ich die gewaschenen Kugeln freudestrahlend in meinen Händen hielt, hatte ich gelernt dass nichts verschwindet, wenn ich es verschlucke, alles taucht wieder auf.Vielleicht haben die Ärzte aus Bremen und Hamburg nicht mit Playmobil gespielt, doch spätestens im Studium sollten beide die Erkenntnis der Wiederkehr des Magen-Darm-Kanals gelernt haben. Die Frage kann also gestellt werden, warum sie dieses Wissen nicht mit den Sicherheitsorganen geteilt und abgewartet haben. Anstatt abzufüllen.Nach dem Tod in Hamburg wurde der Brechmitteleinsatz zwar Ausgesetzt aber erst 2006, nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, endgültig verboten. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1999 noch verkündet, dass der Zwangseinsatz von Brechmittel "in Hinblick auf die Menschenwürde und die Selbstbelastungsfreiheit keinen grundsätzlichen verfassungsgerichtlichen Bedenken unterliegt". Wenn das Zwangsweise einflößen einer Flüssigkeit, die einen zum kotzen bringt nicht die Menschenwürde antastet, was tut es denn dann?Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) sprach, vor dem Tod Condés, von einem "tragischen Einzelfall" immerhin sei das Brechmittel seit 1992 fast 1000x eingesetzt worden. Da wird der Mediziner in mir hellhörig. Wenn von 1000 Personen eine stirbt ist das kein Einzellfall. Bremen hat ca. 500 000 Einwohner, wenn man also die Zahl, ganz unwissenschaftlich auf 80mio Einwohner hochrechnet, kommt man auf 160 Tote in 10 Jahren in der ganzen Republik. Das ist natürlich polemisch, klingt aber wie ein feuchter Traum der Mitglieder der NSU (Hatte ich erwähnt, dass es sich in beiden Fällen um Menschen schwarzer Hautfarbe handelt?). Vielleicht hat der Einsatz von Brechmittel tatsächlich "nur" zwei Menschenleben gefordert, das Risiko weiterer Schäden mindestens am Leib, wenn nicht am Leben, schien jedoch Röwekamp nicht zu interessieren Brechmitteleinsatz sei unverzichtbar im Kampf gegen "Schwerstverbrecher". Diese müßten nun einmal mit "körperlichen Nachteilen" rechnen, so Röwekamp vor der Todesmeldung.Dazu fallen mir zwei Dinge ein. Zum einen habe ich eine Zeit genau dort gewohnt, wo Condé festgenommen wurde, am Sielwall in Bremen. Vielleicht habe ich ihn sogar einmal an irgendeiner Ecke stehen sehen. Bedrohlicher fand ich persönlich allerdings das Publikum der umliegenden Kneipen ab 23 Uhr. Unter "Schwerstverbrechern" verstehe ich etwas anderes. Viel interessanter ist jedoch ein Bericht über den Rückgang der Kriminalität in New York seit den 80er Jahren. Es scheint als habe vor allem Präsenz der Polizei an "Hotspots" zum Rückgang von Kriminalität geführt, weniger eine harte Gangart. Nichts anderes ist Brechmitteleinsatz aus meiner Sicht, ein wenig hört es sich nach einer "Auge um Auge"-Menalität an.Vielleicht sehe ich das auch alles falsch und es ist eine Frage der Abwägung. Tastet es die Menschenwürde eher an, wenn man jemandem Zwangsweise Brechmittel einflößt oder wenn ein Staatsbeamter die Fäkalien eines mutmaßlichen Delinquenten durchsuchen muss?
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