Sie hatte ihre toten Männer lieber zu Haus

Knochen. Die Griechin plauderte, erzählte von ihrem vierten Mann, dessen Überreste sie in der Ledertasche transportiert hatte. Er war über zwanzig Jahre jünger gewesen als sie...

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sie hatte die ausgebeulte, abgeschabte Einkaufstasche mit den ausgeblichenen Knochen nicht ein einziges Mal losgelassen, während sie mich beobachtete. Sie saß einfach da, ganz in schwarzes Tuch gehüllt. Unter dem überstehenden Kopftuch schien sie sicher zu sein, dass ich ihre Blicke nicht bemerken würde.

Sie war, genau wie ich, auf dem Weg von Samos nach Athen, wie sie mir etwas später erzählte. Mit dem feinen Unterschied, dass sie in der größten Stadt Griechenlands lebte und ich nur auf der Durchreise war. Genauer gesagt wohnte sie in Piräus, der acht Kilometer vorgelagerten Hafenregion. Außerdem besaß sie ein kleines Ferienhäuschen mit Garten auf der Insel Samos, in der Nähe des Dorfes Kyriaki .

Sie lud mich völlig selbstverständlich zum Abendessen ein. Ihre Wohnung war angenehm kühl und dämmerig. Ein altes, großes Haus in dem sie, wie es aussah, nur das Erdgeschoß nutzte. Im großzügigen Hauptraum, von dem alle Zimmer abgingen, gab es einen wunderschönen alten, schwarzen Kamin aus Granitsteinen, neben dem so etwas wie ein Hausaltar aufgebaut war. Fotos von jungen Männern in Uniformen oder Matrosenanzügen, eingefasst in schwere silberne Rahmen, standen zwischen Kerzen, Kreuzen und Ketten. Sie gab mir ein gelb-braunes, leicht bitteres Getränk und verschwand im Nebenraum. Irgendwie war die Situation ein ganz bisschen unheimlich.

Alles erschien alt, aber doch irgendwie Zeitlos. Wie meine Gastgeberin. Auch sie konnte ich sehr schwer einschätzen. Ihre überraschend jugendlichen, frischen und frechen Augen, im Kontrast zu diesem vielfältigen Gesicht, das sicherlich doppelt so alt wie meines war. Ihre Bewegungen hingegen waren eher die einer jungen Frau.

Eine alte Diele knarrte, als ich einige Schritte zurück trat. Ich wandte mich um und entdeckte in einer dunklen Ecke überraschend noch ein weiteres Möbelstück. Eine stumpfschwarze Truhe. Wuchtig und schwer, aber bei diesen Lichtverhältnissen kaum zu erahnen. Als ich die Kiste fast erreicht hatte, stieß ich mit dem Fuß gegen etwas nachgiebig Klapperndes. Es fühlte sich in etwa so an wie das, zum Teil noch fellumhüllte, jedoch gänzlich fleischlose Skelett eines Maulesels, auf das ich vor Jahren eines Nachts in der südlichen Sahara getreten war.

Ich bückte mich, um es deutlicher erkennen zu können. Es war ihre braune Ledertasche. Sie war unverschlossen und etwas Rundes schimmerte kaum wahrnehmbar aus der Öffnung. Neugierig tippte ich es mit dem Mittelfinger an. Es war hart, trocken und glatt. Etwas mutiger geworden, ertastete ich die Form einer mittleren Bowlingkugel. Tatsächlich - eine verformte Bowlingkugel mit zu großen Löchern. Ich nahm sie heraus und hob sie hoch. Sie war leichter als vermutet.

Ein schwacher Lichtstrahl fiel auf meine Hand und ließ mich erstarren - meine Finger steckten in den Augenhöhlen eines Totenschädels.

Die Tür öffnete sich vollständig. Nackt, in ein Handtuch gehüllt und lässig an den Türpfosten gelehnt, lächelte sie mich an:

“Das ist meine Mann - ich mache uns gleich etwas essen und - Tee?“

Das Abendessen im Kerzenschein bestand aus leckerem kalten Reis in Weinblättern, Auberginen und aufgebackenem Fladenbrot. Dazu Salat mit schwarzen Oliven und weißem Retsina. Zum Nachtisch gab es griechischen Kaffee. Keinen Tee.

Während des Essens beobachtete ich sie noch einmal genauer und war mir sicher, dass sie ihr sechstes Lebensjahrzehnt schon überschritten hatte. Sie plauderte, erzählte von ihrem vierten Mann, dessen Überreste sie in der Tasche transportiert hatte. Er war über zwanzig Jahre jünger gewesen als sie und zur See gefahren. Sie wären sehr glücklich miteinander gewesen. Von ihren anderen drei Männern, deren Bilder auf dem Altar standen, erzählte sie Ähnliches. Alle waren wesentlich jünger als sie und zur See gefahren und leider auch recht jung gestorben. Sie lägen schon in der Truhe. Auf mein ungläubiges Gesicht hin erklärte sie mir gelassen, dass die Friedhöfe auf Samos überfüllt wären. Wegen des felsigen Untergrundes müssten die Angehörigen die Knochen ihrer toten Verwandten nach zwei bis drei Jahren einsammeln und sie anschließend in tönernen Urnen in einer Kapelle oder einer Kirche bestatten.

Sie hätte ihre Männer aber lieber bei sich zu Hause.

An jenem heißen Sommerabend in dem kühlen alten Haus, erzählte sie mir von ihren Beziehungen zu den Reedern und Kapitänen aus Piräus, die immer auf der Suche nach geschickten Matrosen wären. Es wäre für sie ein leichtes, mir einen Job zu vermitteln. Sie würde auch immer am Hafen stehen und winken, wenn mein Schiff auslaufen würde. Und bei meiner Ankunft am Kai auf mich warten.

Am Ende dieses Abends bat sie mich, doch bei ihr zu bleiben...

Gerade wieder aktuell. In Griechenland allerdings wohl weniger kriminalisiert als in anderen Ländern. Mehr.

Etwas gekürzt aus: "Geschichten die das Leben schreibt"
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Meyko

Mein BUCH DES JAHRES 2018 "Happen" wurde durch den weiteren Band "Happen II"ergänzt. (Homepagelink unten - Meyko 2018)

Meyko

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden