Kann und muss ich meinen Doktortitel nun auch vergessen?

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Noch ist nicht klar, wie die Causa Guttenberg ausgehen will. Aber bei seiner Anhängerschaft zeichnet sich doch eine Verteidigungslinie immer deutlicher ab: 'Ach, diese Doktorarbeit ist doch nicht so wichtig, ein fürchterlicher Pedant (lic. ein Korinthenkacker), wer auf ein paar nicht ausgewiesenen (Guttenberg würde sagen, nicht "gesetzten" Zitaten) herumreitet.' So klang es gestern in einem Kommentar des unsäglichen Sigmund Gottlieb in den Tagesthemen durch, so schon in der Bild-Zeitung gestern, so vollends im Kommentar von Franz-Josef Wagner heute:

"Ich habe keine Ahnung von Doktorarbeiten. Ich flog durchs Abitur und habe nie eine Universität von innen gesehen. Also, ich kann von außen sagen: Macht keinen guten Mann kaputt. Scheiß auf den Doktor."

Dass Wagner keine Uni von innen gesehen hat, hätte spätestens nach der Niederschrift dieses Artikels keiner besonderen Erwähnung bedurft, wer seinen Auftritt neulich in der Talkshow 3 nach 9 gesehen hat, muss sogar bezweifeln, ob der Mann den Eingang gefunden hätte. Aber egal. Viel verheerender ist, dass Wagner, der ja zuweilen ein gutes Gespür für Stimmungen hat, damit einer weit verbreiteten Auffassung folgt.

Als direkt Betroffener kann ich sagen, dass eine Doktorarbeit in Deutschland nicht mehr viel gilt. Sichtbar wurde für mich der Niedergang, als sich der gelernte Betonbauer (ein ehrenhafter Beruf!) und spätere Diskjockey Matthias Roeingh in der Öffentlichkeit "Doktor Motte" nannte, und keiner gefragt hat, ja worüber hat der denn eigentlich promoviert; nicht die ungezählten Loveparadejünger, nicht einmal die so genannte kritische Öffentlichkeit.

Es ist eben so, dass auch in Kreisen, wo man es traditionell doch vermuten würde, diese Arbeit kaum noch etwas gilt. Wenn ich als "Doktor " von meinen Kollegen angesprochen werde, dann nicht in respektvoller Absicht vor der Arbeit, die dahinter steckt, sondern nur in einer billig-ironischen Weise, ja manchmal glaube ich sogar schon Häme aus dieser Anrede herauszuhören. Wieso haben ich (und noch ein Kollege, der ungenannt bleiben will) den Doktorttitel im Impressum des Freitag wohl verschwiegen? Ja, eben.

Immer öfter muss ich mich vor Kollegen sogar dafür rechtfertigen, dass ich diesen Doktor überhaupt erworben habe. "Was bringt das eigentlich?" wurde ich schon so oft gefragt, dass ich mich langsam selbst frage: Ja was eigentlich, den unterstellten Statusgewinn jedenfalls nicht, sondern unendlich viel Mühe, soziale Isolation, muffige Bibliotheken, Tausende von Zigaretten und schließlich ein Werk, das bei meinem Ableben ausser mir bestenfalls zwei Menschen (Erst- und, aber schon da bin ich nicht ganz sicher, Zweitgutachter) ganz gelesen haben werden.

Dann aber sage ich mir wiederum, denke an die Strasse, in der du wohnst, die Julius-Leber-Str., benannt nach dem großen Widerstandskämpfer des 20. Juni, die eigentlich Dr.-Julius-Leber-Str. heißen müsste, denke an Dr. Martin Luther King, an Dr.hc Dr. hc Joschka Fischer, denke aber auch an Dr. Helmut Kohl (Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945), an Dr. Guido Westerwelle, last but not least erinnere dich an Dr. Edmund Stoiber (Der Hausfriedensbruch im Lichte aktueller Probleme), ein gigantischer Aufstand der Anständigen zeichnet sich da ab, ein Aufschrei höre ich dann, dem Mistkerl und seiner Kamarilla geben wir es jetzt, was heißt da, ein paar Zitate nicht "gesetzt"?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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