Meine Mutter sagte immer: „Lass das Kind!“, wenn mir jemand etwas zu verbieten versuchte. Das ist wahrscheinlich meine früheste Kindheitserinnerung. Ich nehme an, dass ich da noch gar nicht sprechen, nur hören konnte. Also, was soll eigentlich an dem Artikel „das“ so schrecklich sein? Warum sind die Unionsparteien entsetzt, wenn Familienministerin Kristina Schröder, wie kürzlich, „das Gott“ sagt? Kann man nicht auf den Gedanken kommen, „Gott“ sei etwas Ähnliches wie ein Kind – ein noch nicht entstandenes, aber in Entstehung begriffenes Wesen? Ernst Bloch würde das auch sagen.
Schon Rainer Maria Rilke ist auf den Gedanken gekommen. „Und du: du bist aus dem Nest gefallen“, redet er seinen Gott an, „bist ein junger Vogel mit gelben Krallen/und großen Augen und tust mir leid./(Meine Hand ist dir viel zu breit.)“ „Und ich fühle dein Herz und meines klopfen/und beide aus Angst.“ Auch wenn man ein religiöses Stück des katholischen Komponisten Olivier Messiaen anhört, spürt man, dass ihm „Gott“ als ein Kind vorschwebt.
Kristina Schröder wollte wohl kaum ihren Feminismus hervorkehren. Sie hat ja nicht vorgeschlagen, „der Gott“ durch „die Gottheit“ zu ersetzen. Sie kam nicht irgendwann auf den Gedanken, sondern vor Weihnachten, dem Geburtstag des Christkinds. Auch ein theologisches Fass wollte sie ersichtlich nicht aufmachen, sondern machte sich Gedanken über die Erziehung ihrer achtzehn Monate alten Tochter. Wenn dieses Kind hört, wie man ihm den Artikel „das“ zuordnet, wird es auch den Ausdruck „das Gott“ verstehen. Doch die sich christlich nennende Partei der Familienministerin ist entsetzt. Warum eigentlich?
Es bestätigt sich wieder einmal, was Politologen längst analysiert haben: Während es unter den westeuropäischen Parteien mit dem „C“ im Namen welche gegeben hat, die wirklich christliche Politik machen wollten, ist in Deutschland das „C“ eine Drapierung, die kaum verhüllen kann, dass CDU und CSU ganz gewöhnliche konservative Parteien sind.
Solche Parteien sind dazu da, sich gegen die Erneuerung der Sitten zu stemmen und ihr allenfalls mit Verzögerung nachzugeben. Mit Religion hat das gar nichts zu tun. Man hat eben immer „der Gott“ gesagt und dabei soll es bleiben. Auch bei Schröder beobachtet man diese Haltung, doch weil sie Mitglied einer kleinen bekenntnisbewussten Sonderkirche ist, die sich die „Selbständige Evangelisch-Lutherische“ nennt, nimmt sie wohl manchmal die christlichen Dinge etwas ernster als ihre Parteifreunde.
Das Weihnachtsfest ist vorbei, nicht so die Zeit des Christkinds. Weil das Fest der „heiligen drei Könige“ bevorsteht, bleibt Schröders Gedanke noch ein paar Tage aktuell. Es gibt Philip Rösler auf dem „Dreikönigstreffen“ der FDP, es gibt aber auch diese Könige aus der Bibel, eigentlich sind es „Sterndeuter“, die sich nach Bethlehem aufgemacht haben. Sie huldigen dort einem Kind.
Der Evangelist Matthäus schreibt das so hin, um eine Prophezeiung von Jesaja auf Christus zu beziehen. Der Beginn eines Auswegs wird sichtbar, mitten im Nihilismus: „Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht leuchtend der Herr auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz.“ Nein, nicht „der“ Herr geht auf, sondern „das“ Kind. Und man kann nicht sicher sein, ob es nicht noch aus dem Nest fällt. Dann wäre die Hoffnung der „Völker“ vergebens.
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