Nachruf Er hat die Arbeitsgesellschaft radikal kritisiert, mit dem "Schwarzbuch Kapitalismus" breite Schichten erreicht und die Krise lange kommen sehen. Zum Tod von Robert Kurz
Robert Kurz auf dem Attac-Kapitalismuskongress 2008
Foto: Hanno Böck
Robert Kurz verstarb am Mittwoch, den 18. Juli 2012, im Alter von 68 Jahren an den Folgen einer Nierenoperation. Ein herausragender Kopf des deutschen Marxismus ist damit, wie man sagt, für immer verstummt, doch wird sein umfangreiches Werk zu vielen noch lange sprechen. Unter allen deutschen Marxisten war Kurz wohl der, dem die größte Aufmerksamkeit auch der außermarxistischen Öffentlichkeit zuteil wurde. Sein erfolgreichstes Buch, das Schwarzbuch Kapitalismus, veröffentlicht 2001, hat bisher fünf Auflagen erlebt, wenn man die erweiterte Neuauflage 2009 dazuzählt, und wurde von allen großen Zeitungen besprochen. Weithin bekannt wurde er indessen schon durch sein Buch von 1991, das so sehr in die Zeit passte und ihr zugleich den Krieg ansagte: D
g ansagte: Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie.Der Titel war Programm, und das Programm fortzuschreiben, konnte Kurz in den folgenden zwei Jahrzehnten nicht schwerfallen. Er gehörte zu denen, die den Ausbruch der Krise der Weltökonomie im Jahr 2008 lange vorausgesehen hatten. Zur Immobilienspekulation sagte er 2001 in einem Vortrag: „Wenn diese Blase platzt, entspricht der Unterschied zur Weltwirtschaftskrise etwa dem, ob man aus dem Erdgeschoß oder aus dem 50. Stock 'runterfällt. Und deswegen versuchen die internationalen Finanzinstitutionen und das Bankensystem mit allen Mitteln, diese Blase am Platzen zu hindern. Sie versuchen eine logische, und ich denke, letztlich praktische Unmöglichkeit, nämlich dieses fiktive Kapital entweder bis in alle Ewigkeit weiterwuchern zu lassen, sozusagen als unproduktive, aber gültige Geldschöpfung, oder eben diese Blase sanft platzen zu lassen. Ein sanftes Platzen kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen.“Den unsanften Krisenprozess konnte Kurz noch bis zum Ende des vorigen Jahres in seiner Kolumne im Neuen Deutschland begleiten, und wie immer waren seine Kassandrarufe zum Erschrecken: Der Glaube der Politiker, sie hätten aus früheren Krisen gelernt und könnten deshalb die jetzige überwinden, sei illusionär, schrieb er etwa, denn sie bedächten nicht, dass es sich um Krisen in einem ständigen Wachstumsprozess handle, die also jedesmal auf höherer Stufenleiter ausbrächen und deshalb stets neuartige Implikationen mit sich brächten; und: Wenn der Euro zusammenbreche, müsse die D-Mark extrem aufgewertet werden und in der Folge werde der deutsche Export stranguliert.Arbeit, Ware, Geld abschaffenÜber sein theoretisches Werk lässt sich selbstverständlich streiten. Selten jedoch kann ein Streit so lohnend und produktiv sein wie hier auf diesem hohen Niveau; es wäre zu wünschen, dass er jetzt verstärkt fortgeführt würde. Das angekündigte posthume Erscheinen seines letzten Buches Geld ohne Wert. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie in diesem Jahr könnte den Anlass geben. Will man Kurz im gegenwärtigen Marxismus verorten, so sind es besonders zwei Eigentümlichkeiten, durch die er heraussticht. Die eine ist, dass er nicht erst kritisiert, was Marxisten als „abstrakte Arbeit“ bezeichnen, also die Arbeit als Basis der Warenförmigkeit der auf den Märkten gehandelten Güter und letztlich des Geldes. Er sieht das Übel vielmehr schon in der „konkreten Arbeit“, die den irgendwie nützlichen Gebrauchswert der jeweiligen Ware produziert. Schon diese „konkrete Arbeit“ werde von der „abstrakten“ bis ins Mark bestimmt. Kurz wird so zum radikalen Kritiker der „Arbeitsgesellschaft“.Die zweite Eigentümlichkeit: Weil Arbeitsethos ein Kennzeichen der gesamten „Moderne“ seit dem 16. Jahrhundert ist, erweist sich Kurz ebensosehr als kritischer Modernisierungstheoretiker, wie seine Analyse immer von den Marxschen Grundkategorien ausgegangen ist. Beide Eigentümlichkeiten haben ihn für viele Debatten, die geführt werden, anschlussfähig gemacht und so zu seiner Bekanntheit beigetragen. Zugleich aber musste sein Gegenstandpunkt zur Moderne vielen die Sprache verschlagen, denn der empfohlene Ausweg besteht darin, „konkrete Arbeit“, Ware und Geld radikal abzuschaffen um einer neuen Ökonomie willen, in der die Menschen ihre Tätigkeiten nur noch sprechend, im permanenten „Palaver“, aufeinander beziehen. Die Zeit dazu sei infolge des ökonomischen Gewinns und der Arbeitszeitersparnis, die von der mikroelektronischen Revolution ausgingen, reichlich da.Man muss dieser Analyse nicht folgen, um erkennen zu können, dass sie wichtig und anregend ist. Die Debattenkultur ist leider nicht so entwickelt, wie sie es sein sollte. Fast scheint es, als werde mit einem wie Kurz in der „bürgerlichen“ Öffentlichkeit sachlicher diskutiert als in marxistischen Kreisen, wo es häufig, einer längst überholten Hermeneutik zufolge, nur darum geht, ob jemand Marx „richtig verstanden“ habe oder nicht. Am Werk von Kurz ist aber offenbar, dass es äußerst Bedenkenswertes selbst dann enthält, wenn man die Frage unbeantwortet lässt, ob seine Marxinterpretation und sogar überhaupt seine Grundannahmen angemessen erscheinen oder nicht. Robert Kurz ist tot, doch er lebt auch weiter: Er hat alles gesagt, was er sagen wollte, und es ist ihm gelungen, die Öffentlichkeit dafür zu interessieren.
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